Grundfragen des Staatskirchen- und Religionsrechts. Группа авторов

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Grundfragen des Staatskirchen- und Religionsrechts - Группа авторов Mainzer Beiträge zum Kirchen- und Religionsrecht

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und Volksreligion und der sich seit 1803 staatlicherseits immer konsequenter durchsetzenden Trennung der kirchlichen und der weltlichen Gewalt und Rechtssphären muss diese Beziehung der beiden Institutionen, die für sich Autonomie beanspruchen, geklärt werden. In den Teilen der Welt, wo sich die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat in eine Trennung der Sphären, sei sie nun absolut oder in einer Art versöhnter Verschiedenheit ausgeprägt, wird die Antwort auf das, was Religion aus der Sicht des Staates ausmacht, anders beantwortet werden. Für viele heutige Nationen der vormaligen Kolonien und Missionsgebiete gilt aber auch, dass sie – vom Geist der französischen Aufklärung geprägte – Revolutionen gegen das Joch der Kolonialstaaten durchgemacht haben und insofern vor einem ähnlichen staatskirchenpolitischen Erbe stehen, wie es in Europa der Fall ist. Daher und weil es hier im Schwerpunkt um das deutsche Staatskirchenrecht geht, ist es nicht verfehlt, von dem Religionsverständnis des religionsneutralen Staates auszugehen.

      Die Schwierigkeit besteht nur darin, ein Solches zu bestimmen. Hier scheint vor dem staatlichen Selbstverständnis des nachaufklärerischen Staates ein Dilemma auf. Einerseits kann der Staat, wenn er religiös-weltanschaulich neutral sein will, den Inhalt dieses Begriffs „Religion“ nicht selbst definieren. Andererseits kann er sich, wegen der Gefahr von Missbräuchen, aber auch nicht von einer bestimmten Definition anderer außerstaatlicher Institutionen abhängig machen. Insofern hat sich das Bundesverfassungsgericht für eine Definition entschieden, die in der Literatur als die sog. „Kulturvölkerformel“4 bezeichnet wird. Danach wird eine Religionsgemeinschaft angenommen, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Es muss sich um einen Glauben handeln, der unter zivilisierten Völkern etabliert ist. Dieser muss allgemeine ethische und moralische Prinzipien entwickelt haben. Diese Grundregel wird heute in einem weiten Auslegungsrahmen aufgefasst, wonach eine bestimmte ganzheitlich angelegte Betrachtungsweise ausreicht um von Religion oder Glaube zu sprechen. Dieser Rechtsgedanke wurde bereits grundlegend in der sog. Lumpensammlerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts5 entfaltet:

       „Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG steht nicht nur Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, sondern auch Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur6 die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben. Voraussetzung dafür ist aber, daß der Zweck der Vereinigung gerade auf die Erreichung eines solchen Zieles gerichtet ist. (…)

      Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht außer Betracht bleiben. Zwar hat der religiös-neutrale Staat grundsätzlich verfassungsrechtliche Begriffe nach neutralen, allgemeingültigen, nicht konfessionell oder weltanschaulich gebundenen7 Gesichtspunkten zu interpretieren8. Wo aber in einer pluralistischen Gesellschaft die Rechtsordnung gerade das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis wie bei der Kultusfreiheit voraussetzt, würde der Staat die den Kirchen, den Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften nach dem Grundgesetz gewährte Eigenständigkeit und ihre Selbständigkeit in ihrem eigenen Bereich verletzen, wenn er bei der Auslegung der sich aus einem bestimmten Bekenntnis oder einer Weltanschauung ergebenden Religionsausübung deren Selbstverständnis nicht berücksichtigen würde.“9

      Der Begriff bleibt also so weit, dass er für eine Fülle von religiösweltanschaulichen Auffassungen, die mehr oder weniger organisiert auftreten, anwendbar. Das Bundesverfassungsgericht hat in weiteren Entscheidungen (siehe Fn. 4) diese grundlegende Betrachtungsweise entfaltet. Stellvertretend für diese sei hier die „Bahá’í Entscheidung“ angeführt. In dieser Verfassungsbeschwerde ging es zentral um die Frage der Anerkennung der persischen Glaubensgemeinschaft als Religion im Sinne des deutschen Staatskirchenrechts. Dabei kommt es dem Staat lediglich zu, „den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrundezulegen.“10 Eine entsprechende Prüfung entfällt, wenn nach aktueller Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeinem wie auch religionswissenschaftlichem Verständnis die betreffende Gemeinschaft unstrittig als eine Religionsgemeinschaft wahrgenommen wird.11 Diese Sichtweise erlangt gerade im Lichte der religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaften zunehmende Bedeutung.

      Merke: Kriterien zur Anerkennung als Religion/Religionsgemeinschaft:

      1. Ziel der Gemeinschaft ist wenigstens die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder.

      2. Unbestreitbarkeit der Wahrnehmung der Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft nach der aktuellen Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und dem allgemeinem wie auch dem religionswissenschaftlichem Verständnis.

      3. Aus verfassungsrechtlicher Sicht halten wir fest: Eine Religionsgemeinschaft ist unabhängig von einer bestimmten Rechtsform jede freie Gemeinschaft von Gläubigen, die durch ein gemeinsames oder verwandtes Glaubensbekenntnis verbunden sind und sich die allumfassende Erfüllung der sich aus dem Glaubensbekenntnis ergebenden Aufgaben zur Aufgabe gemacht hat.

      Aufgrund der Besonderheit des deutschen Staat-Kirche-Verhältnisses zwischen den Extremen von Staatskirche und Laizismus lohnt es sich dieses Rechtsgebiet zu erschließen. Und das beginnt mit der Definition und ihren historischen Wurzeln.

      Der Begriff „Staatskirchenrecht“ scheint in der deutschen Rechtssprache erstmals im Jahre 1855 verwendet worden zu sein.12 Das war die Zeit in Europa, als die Staaten nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 versucht haben ihr Verhältnis zur römischen Kirche auf ein neues Fundament zu stellen. Dabei standen sich zunächst die über Jahrhunderte tradierte kuriale Auffassung von der Superiorität der Kirche über den säkularen Staat und die staatswissenschaftliche Ideologie der Superiorität des Staates über die Kirche nahezu unversöhnlich gegenüber. Die erste Begegnung der katholischen Kirche mit einem auf Volkssouveränität gestützten demokratisch-republikanischen Staat wurde für die Kirche zu einem tief traumatischen Erlebnis. Daher erklären sich die von da an noch über 100 Jahre währenden Ressentiments gegen bürgerliche Gesellschaften.

      Der Terminus „Staatskirchenrecht“ beschreibt nach diesem überlieferten Verständnis, ganz allgemein und zugleich umfassend, jenen Teil des staatlichen Rechts, der sich mit Religion und Religionsgemeinschaften befasst.

      Staatskirchenrecht ist: „die Summe jener staatlichen Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen, Staatsverträge), welche Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrem Verhältnis zum Staat, untereinander und zum einzelnen Mitglied oder Nichtmitglied sowie die Rechtsstellung einzelner physischer und juristischer Personen unter dem Gesichtspunkt von Glaube, Gewissen und Weltanschauung betreffen.“13

      Der Begriff erscheint im Kontext der wachsenden religiösen Pluralisierung etwas einseitig. Zudem wird rein sprachlich der Eindruck erweckt, als seien Staat und Kirchen miteinander institutionell verwoben. Um die Weite und Neutralität des historisch überkommenen Begriffs zu erfassen14, bedarf es erläuternder Bemerkungen. Es geht nicht nur um die Beziehungen der Institutionen Staat und Kirche, sondern auch um die in den Menschenrechten und dem jeweiligen Verfassungsrecht wurzelnden Rechte der Religionsgemeinschaften und der einzelnen Gläubigen. Das Staatskirchen- und Religionsrecht behandelt also in umfassender Weise alles Kirchliche und Religiöse, das für die staatliche Rechtsordnung relevant ist.15 Auch wenn der Begriff damit nur einen Teil der tatsächlichen Wirklichkeit des rechtlichen Verhältnisses von Staat und Religion abbildet, ist er nach wie vor der üblicherweise verwendete Begriff und daher auch heute, trotz der veränderten Rahmenbedingungen, nicht obsolet. Freilich eignet er sich im religionspluralen Staat nur noch, wenn es um die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Staat und den (christlichen) Kirchen geht, weil hier aufseiten der Religionen typische Verkirchlichungstendenzen begrifflich vorauszusetzen sind. Allein die Berufung auf den systemprägenden Charakter der Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen16 vermag heute nicht mehr zu überzeugen.

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