Abenteuer Musik. Clemens Kühn

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Abenteuer Musik - Clemens Kühn

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Die erste Violine trägt einen Gedanken vor, das Cello reagiert darauf, und was nun beide daraus machen, ist richtig amüsant zu verfolgen. Worüber sie sprechen – etwas Trauriges ist es sicher nicht – und wie das komplette Gespräch bis zur ersten deutlichen Pause verläuft, könnte man sich als Hörer überlegen.

       Noch ein zweites, auf andere Weise eindrucksvolles Beispiel: der langsame Satz im Vierten Klavierkonzert Beethovens. Man hat den Eindruck, dass sich anfangs die beiden Parteien – die Streicher und das Solo-Klavier – aus tiefster Seele widersprechen oder aneinander vorbeireden. Wie aber verändert sich ihre Rolle im weiteren Verlauf?

      Laub, lieb, Lob, leise, Lampe, Lupe, leer, Loch, lustig, Leckerbissen, leblos …: Konsonanten geben der Sprache Struktur, Vokale bilden sprachliche Klangfarben. So also, wie sich Musik sprachähnlich verstehen lässt, kann Sprache musikähnlich gestaltet sein. An einem Gedicht von Clemens Brentano (1778–1842) soll das erfahrbar werden. Brentano war in seinen Gedichten mehr als ein romantischer Dichter, er war ein Virtuose und Magier der Sprache. Nebenstehend das ausgesuchte, erlesene Beispiel.

       Der Spinnerin Nachtlied

      Es sang vor langen Jahren

      Wohl auch die Nachtigall,

      Das war wohl süßer Schall,

      Da wir zusammen waren.

      Ich sing und kann nicht weinen,

      Und spinne so allein

      Den Faden klar und rein

      So lang der Mond wird scheinen.

      Als wir zusammen waren

      Da sang die Nachtigall

      Nun mahnet mich ihr Schall

      Daß du von mir gefahren.

      So oft der Mond mag scheinen,

      Denk ich wohl dein allein,

      Mein Herz ist klar und rein,

      Gott wolle uns vereinen.

      Seit du von mir gefahren,

      Singt stets die Nachtigall,

      Ich denk bei ihrem Schall,

      Wie wir zusammen waren.

      Gott wolle uns vereinen

      Hier spinn ich so allein,

      Der Mond scheint klar und rein,

      Ich sing und möchte weinen.

      Nur zwei Reim-Farben gibt es, die sich Strophe für Strophe abwechseln: »a« und »ei«. Nicht allein die dazu gehörigen Reim-Worte kehren immer wieder, sondern auch ihre Zeilen, nach einem festen System: Die zweite und dritte Zeile einer Strophe werden variiert zur zweiten und dritten Zeile ihrer jeweils übernächsten Strophe; hier die zweiten Zeilen ab Strophe eins: »Wohl auch die Nachtigall« = Strophe drei: »Da sang die Nachtigall« = Strophe fünf: »Singt stets die Nachtigall«. Entsprechend verhalten sich die zweiten Zeilen ab Strophe zwei zueinander, sowie die dritten Zeilen.

      Brentanos unglaublicher Einfall: Die Schlusszeile einer Strophe wird zur Anfangszeile der jeweils übernächsten Strophe, »Da wir zusammen waren« von Strophe eins eröffnet Strophe drei, »Als wir zusammen waren«; die Schlusszeile von Strophe zwei eröffnet … Das Prinzip gilt mit letzter Konsequenz: Das Ende der sechsten Strophe, »Ich sing und möchte weinen«, ist zugleich Anfang ihrer »übernächsten«, der zweiten Strophe, »Ich sing und kann nicht weinen«. Es ist, als ob das Gedicht erneut und immerzu ablaufen könnte. Wenn Sie beim Lesen meines Nachvollzugs durcheinanderkommen, weil Sie nicht mehr wissen, wo Sie sich gerade befinden, erleben Sie genau das, was Brentano komponiert hat. Die immergleiche Sprache malt inständig das immergleiche Bild der verlassenen Spinnerin, ohne Zeit und Ort und Richtung, eine Art andauernde, in sich selbst kreisende Gegenwart.

      Parallelen zur Musik drängen sich auf. Brentanos Gedicht ist eine minimalistische Klangkomposition. Von ihr aus ist es nur ein kleiner Schritt zu Musik, die in den Stationen 8 und 18 auftritt: zu den Klangwellen der mittelalterlichen Organa Perotins oder zu Klangfarbenkompositionen der 1960er-Jahre oder zur Minimal Music mit ihren narkotisierenden, zeitvergessenen Wiederholungen.

       Architektur

      Zwei großartige Zitate vorweg. In Goethes Maximen und Reflexionen stehen diese Sätze: »Ein edler Philosoph sprach von der Baukunst als einer erstarrten Musik und mußte dagegen manches Kopfschütteln gewahr werden. Wir glauben diesen schönen Gedanken nicht besser nochmals einzuführen, als wenn wir die Architektur eine verstummte Tonkunst nennen.« Der »edle Philosoph«, der von der »Baukunst als einer erstarrten Musik« gesprochen hatte, war Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854). In seiner Philosophie der Kunst schreibt er, dass »ein schönes Gebäude in der That nichts anderes als eine mit dem Aug empfundene Musik, ein nicht in der Zeit, sondern in der Raumfolge aufgefaßtes Concert von Harmonien und harmonischen Verbindungen ist.«

      Mit beiden Zitaten ist gesagt, was im Grundsatz immer so gedacht wurde. Musik ist eine Zeitkunst, sie ist gestaltete Zeit und verläuft in der Zeit. Architektur ist eine Raumkunst, sie entfaltet sich in Höhe, Breite, Tiefe. Beide Künste korrespondieren miteinander, und sie gewinnen Schönheit aus einer als harmonisch erlebten Darstellung. Mittelalter und Renaissance nutzten in der Architektur musikalische Proportionen, die als ein Ausdruck kosmischer Harmonie galten. Andererseits begriff man Musik als eine architektonische Kunst. Noch 1739 vergleicht Johann Mattheson die musikalische »Anordnung aller Theile« mit einem Grundriss, »fast auf die Art, wie man ein Gebäude einrichtet und abzeichnet, einen Entwurf oder Riß machet um anzuzeigen, wo ein Saal, eine Stube, eine Kammer u. s. w. angeleget werden sollte.«

      Ein wunderbares Bild: Ist es nicht wirklich so, dass man bei Musik oft das Gefühl hat, verschieden ausgestattete »Räume« zu betreten, zum Beispiel im ersten Satz von Schuberts großer C-Dur-Sinfonie mit seinen drei großflächig dargebotenen Themen?

      Worin konkret sich Musik und Architektur entsprechen, lässt sich in drei Kategorien fassen: Maß, Form, Ausgestaltung.

      Die Zahl wird zum Maß. Das betrifft Proportionen von Bauwerken genauso wie Größenordnungen von Musik. Die erste Fuge in Johann Sebastian Bachs zweibändiger Sammlung Das Wohltemperierte Klavier hat zwei gleich lange Teile aus 14 plus 14 Takten, in der Mitte durch eine erkennbare Zäsur markiert: Im Takt 14, der mit einer deutlich schließenden Wendung erreicht wird, beginnt gleichzeitig der zweite 14-Takter, der wieder einstimmig ansetzt.

      Die Einleitung zur Ersten Sinfonie Beethovens, von der in Station 11 die Rede ist, zeigt einen Zusammenhang zwischen musikalischer

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