Abenteuer Musik. Clemens Kühn

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Abenteuer Musik - Clemens Kühn

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Mitte treten die Streicher hervor mit melodischen Linien, der Schluss gehört dem Tutti [allen] und verbindet Akkorde mit melodischen Bewegungen: Die Instrumentation verkörpert die musikalische Architektur.

      Formgebend in der Baukunst ist äußerst häufig die Idee der Symmetrie. Als ein prominentes Beispiel sei der Dresdner Zwinger genannt. Alle Bauten dieses Ensembles sind von einer Mittelachse her gedacht. Jeweils zwei gleich angelegte Seitenteile flankieren ein andersartiges Mittelstück.

      Der Dresdner Zwinger© akg-images/picture-alliance/ZB/Ulrich Hässler

      Dieser Anlage entspricht in der Musik die Gruppierung A B A, stellt man sie sich räumlich vor statt als zeitliche Folge. Das Modell kommt gleichfalls häufig vor, weil es so sinnfällig ist: auf einfache Weise Gleiches (A) mit Anderem (B) verbindet. Den klassisch-romantischen Sonatensatz, vorgestellt in Station 17, kann man in seiner Großform wie ein Stück Architektur hören: Exposition = A, Durchführung = B, Reprise = A, als veränderte Wiederkehr der Exposition. Die Romantik entdeckte das Lyrische Klavierstück für sich, »lyrisch« als Charakterbezeichnung. Robert Schumann, Johannes Brahms, Felix Mendelssohn Bartholdy haben schönste Stücke geschrieben. Das Erstaunliche ist deren äußere Gleichförmigkeit. Der allergrößte Teil aller Lyrischen Klavierstücke folgt der Gruppierung A B A: Nicht die Form sollte originell sein, sondern der Inhalt. Wer Beispiele zum Hören sucht: Schumanns Kinderszenen, Brahms’ umfänglichere Klavierstücke op. 119, Mendelssohns Lieder ohne Worte.

      Wie Architektur auf die Ausgestaltung von Musik wirken kann, zeigen drei starke Beispiele:

      die Spiegelung der Gotik – vgl. die Abbildung – im klangprächtigen Organum;

      die Mehrchörigkeit der Spätrenaissance: Musik vom Raum inspiriert und für ihn entworfen;

      die Beeinflussung kompositorischer Anschauungen. Der österreichische Architekt Adolf Loos (1870–1933), mit dem Komponisten Arnold Schönberg befreundet, war ein unbedingter Gegner architektonischer Verzierungen, etwa im Verspielten des Jugendstils. Wer sich das Looshaus in Wien anschaut, gewinnt einen Eindruck von seiner schmucklos reinen Bauweise: Architektur pur. Dokumentiert hat Loos seine Haltung in einem Text von 1908 mit dem provokanten Titel Ornament und Verbrechen. In eben diesem Zeitraum begann Arnold Schönberg, seine Musik von der Bindung an Dur und Moll zu lösen und sie zugleich hinzuführen zu einer frei fließenden musikalischen Sprache, die sich am Ungebundenen der sprachlichen Prosa orientiert. In einem späteren Aufsatz Anfang der 1930er-Jahre hat Schönberg solcher musikalischen Prosa bestimmte Eigenschaften abverlangt. Eine »unumwundene Darstellung von Gedanken ohne jegliches Flickwerk« solle sie sein, »ohne bloßes Beiwerk und leere Wiederholungen«, fern von »Weitschweifigkeit«. Ist dies nicht eine musikalische Übersetzung von Adolf Loos’ Verurteilung des schmückenden Ornaments?

       Wer es an lebendiger Musik erleben möchte: Aus dem Jahr 1911 stammen Arnold Schönbergs Sechs kleine Klavierstücke op. 19; einen guten Einstieg zum Hören bieten die Stücke II und VI. »Kleine« Klavierstücke ist wörtlich zu nehmen, drei von ihnen umfassen nur 9 Takte, die anderen wenig mehr: eine extreme sprachliche Konzentration, die das skizzierte architektonisch-musikalische Ideal in Musik realisiert.

       Mathematik

      Vier Beispiele für mathematisch-musikalische Ordnungen:

      Der Goldene Schnitt meint ein spezielles Teilungsverhältnis. Er durchschneidet einen Abschnitt in zwei unterschiedlich große Teile:

      Dabei stehen der gesamte Abschnitt und seine beiden Teile in einem bestimmten Verhältnis zueinander: Zwischen dem Ganzen (1) und seinem größeren Teil (1a) ergibt sich dieselbe Proportion wie zwischen dem größeren Teil (1a) und dem kleineren (1b). Vor allem an Werken des ungarischen Komponisten Béla Bartók (1881–1945) konnte die Proportion des Goldenen Schnitts nachgewiesen werden.

      Die Fibonacci-Reihe geht zurück auf den Beinamen »Fibonacci« des Mathematikers Leonardo da Pisa (um 1180–1240). In ihrer besonderen Zahlenfolge bildet jede neue Zahl die Summe der zwei vorangegangenen Zahlen: 1, 1, 2 (= 1 + 1), 3 (= 1 + 2), 5 (= 2 + 3), 8 (= 3 + 5), 13, 21 … Maße in alter Architektur, gelegentlich Musikwerke der Renaissance und häufiger Musik des 20. Jahrhunderts orientieren sich an diesen Größen.

      Stücke in variablen Metren komponierte Boris Blacher (1903 bis 1975): Gruppen von Tönen und Klängen sind nach mathematischen Gesichtspunkten organisiert. Das erste, sehr schnelle Stück seiner Ornamente für Klavier op. 37 (1950) vergrößert die Gruppen jeweils um ein Achtel, von 2 bis zu 9 Achteln, verkürzt sie anschließend ebenso konsequent wieder und durchläuft dies Hin und Zurück mehrere Male. Dies Ordnungsprinzip bewirkt etwas Eigentümliches: Das Hören erfährt Vergleichbares wie das Sehen beim Heran- und Fort-Zoomen von Aufnahmen.

      Die Zahl 3 verstand man immer schon als ein Symbol für die göttliche Dreieinigkeit. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts war daher die Dreiteiligkeit eines Notenwertes verbindlich; sie wurde als »perfekt« aufgefasst, als vollkommen, während heute die Zweiteilung gilt – ein Viertel umfasst zwei Achtel.

      Goldener Schnitt, Fibonacci-Reihe, Variable Metren, Zahlensymbolik: überall die Zahl als Ordnung, Zusammenhalt, sinnstiftende Kraft. Das Mittelalter, das darin antikes Denken weiterführte, begriff alle Erscheinungen als durchwirkt von ihr, den Kosmos im Großen und Kleinen ebenso wie die klingende Musik. Fundamental zeigt sich das am Verhältnis zwischen »Intervall« [dem Abstand zweier Töne] und »Zahl«. Staunen machte es, dass die grundlegenden reinen Intervalle Oktave, Quinte, Quarte auf einfachen Zahlenverhältnissen beruhen, und dass damit Intervalle umso wohlklingender sind, je einfacher die Zahlenverhältnisse ausfallen. Wer eine Gitarre oder ein Streichinstrument zur Hand hat – zur Not tut es auch ein starkes, straff gespanntes Gummiband –, kann das selbst praktisch umsetzen. Die folgende Darstellung zeigt eine ganze Saite und ihre gleichmäßigen Teilungen:

      Zupft man eine ganze Saite an, erklingt ihr Grundton. Halbiert man nun die Saite und zupft die Hälften an, erklingt der Grundton eine Oktave höher: Die Oktave zu dem Grundton beruht demnach auf dem Saitenlängen-Verhältnis 1:2 = halbe zu ganzer, doppelt so langer Saite. Die Quinte zu dem Grundton der ganzen Saite erklingt, als Längenverhältnis 2:3, bei Dreiteilung der Saite: zupft man Zweidrittel von ihr an. Die Quarte zu dem Grundton erklingt, als Verhältnis 3:4, bei Vierteilung der Saite: zupft man Dreiviertel von ihr an.

      Die Symbolkraft von Zahlen ist auch heute noch geläufig, etwa die 4 als Symbol von »Welt«: vier Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Elemente, Temperamente. In barocker Musik sind Zahlenbeziehungen und Zahlensymbolik lebendig. Viele Musiker forschten zumal in Johann Sebastian Bachs Werk danach; sie kamen zu Ergebnissen, die einleuchtend, verblüffend, spekulativ oder fragwürdig sind. Hier drei unterschiedliche, aber auch umstrittene Beispiele,

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