Geist & Leben 2/2017. Christoph Benke

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Geist & Leben 2/2017 - Christoph Benke

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hat, wird fähig, die ihn umgebende Welt nicht länger als Objekt seiner selbst, sondern als Schöpfung Gottes und darin Gott selbst zu erkennen.

      Der kürzlich verstorbene Kapuziner und Autor Anton Rotzetter (1939–2016) ist allerdings der Meinung, dass diese der Überlieferung gemäß jüngere Version dennoch die richtige und deshalb ältere sei, da sie dem Aufstiegsschemata der abendländischen Mystik entspreche. Seine Version des Gebets lautet so:16

       Via purgativa: Reinigung

      O mein Gott und mein Herr

      nimm alles von mir

      Das mich hindert gegen Dich!

       Via illuminative: Erleuchtung

      O mein Gott und mein Herr

      gib alles mir

      Das mich fördert zu Dir!

       Via unitiva: Einigung

      O mein Gott und mein Herr

      nimm mich mir

      Und gib mich ganz zu eigen Dir!

      Anerkennung oder Anruf Gottes?

      Ob jünger oder älter, authentischer oder weniger authentisch, sicherlich entspricht diese jüngere Version unserer Logik und erhält eine Harmonie, welche der älteren Fassung abgeht.17 Diese bewahrt sich dafür eine gewisse Sperrigkeit, die auch dem Ranfteremiten selber eigen ist. Zwar war Rupert Amschwand (1916–1997) überzeugt, dass die Zukunft der älteren Version gehöre, da sie eine höhere Gebetsintensität aufweise,18 durchgesetzt hat sich aber diese mystischere Fassung. Und mit der Aufnahme in den Weltkatechismus liegt das Gebet in einer Fassung vor, die in allen übrigen Kultursprachen maßgebend werden dürfte.

      Aufmerksame Leser(innen) haben jedoch sicherlich bemerkt, dass Rotzetter eine andere Einleitung verwendet, denn jene, welche im Weltkatechismus steht. Wie heißt es richtig? „O mein Gott und mein Herr“ oder „Mein Herr und mein Gott“, also ohne „O“ und „Herr“ vor „Gott“? Nun, es gibt keine ipsissima verba, in den frühen Textzeugen lässt sich keine eindeutige Einstiegsformel definieren. Die heute übliche Version wird wohl zurecht auf Joh 20,28 zurückgeführt: „Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!“ Es ist dies der Ausruf des Apostels Thomas vor dem Auferstandenen, das erste explizite Osterbekenntnis und damit eine Schlüsselstelle. Demgegenüber erinnert die Voranstellung des Wortes „Gott“ an Mk 15,34: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ und damit an die Stunde größter (Gott-)Verlassenheit.

       Ein Gebet geht um die Welt

      Heute verehren sehr viele Menschen Niklaus von Flüe und schätzen ihn hoch, weil sie ihn und seine Kernbotschaften nicht mit einer konfessionellen Zugehörigkeit in Verbindung bringen. Sein Weg ist, wie selbst in diesem groben Überblick deutlich geworden ist, nicht frei von Brüchen, von Zweifeln, von Fragen ohne Antworten, von einem Suchen, das zu Irrwegen geführt hat. Er ist kein „einfaches“ Vorbild. Gerade damit berührt er heute Menschen in ihrem Innersten. Sie wissen sich von ihm als gläubige und suchende Menschen verstanden und getragen. Vielen ist dabei sein Gebet ein täglicher Begleiter, wie die folgenden drei Beispiele eindrücklich belegen. Der offizielle Gedenkband Mystiker Mittler Mensch zu 600 Jahre Niklaus von Flüe enthält mehrere Beiträge, welche sich explizit und teils auf überraschende Weise mit dem Gebet auseinandersetzen.

      Das Gebet um Versöhnung

      Für den gebürtigen Libanesen Nabih Yammine (*1945), dem Gründer der spirituellen Allianz zwischen dem hl. Charbel Makhlouf (1828–1898) und Bruder Klaus, ist dieses Gebet eine Anleitung auf dem „Weg der Versöhnung“. Friede, im Kleinen genauso wie nach einem langen und blutigen Krieg, sei nur möglich mit Versöhnung (franz. réconciliation) und Heilung (franz. guérison). „Versöhnung heißt in diesem Kontext“, so Yammine: „den eigenen Hass, die eigene Wut zu überwinden, oder noch besser: den eigenen Hass loszulassen, von ihm frei zu werden, und Heilung bedeutet, sich neu mit der positiven Energie des Friedens zu füllen.“19

      Das Gebet um Gelassenheit

      Der bayerische Landvolkpfarrer Josef Mayer (*1960) deutet das „Gebet um Gelassenheit“20, ganz im Sinne des bedeutenden Bruder-Klausen-Biografen Pirmin Meier (*1947), aus unserem Alltag heraus und schließt seine Betrachtung mit den Worten: „Das tiefste Geheimnis aber liegt im Lassen. Wir Menschen wollen machen, machen, und immer wieder machen. Machen, so lange, bis wir gar nicht mehr können. Ich nehme mich da keinesfalls aus. Erst wenn mir eine letzte Grenze aufgezeigt wird, bin ich bereit, etwas loszulassen, es in Gottes Hände zu übergeben. Wie gerne hätte ich in einer sehr verzwickten Familiengeschichte, die mir in den letzten Monaten zugemutet worden ist, den Löser gespielt. Aber ich musste feststellen, dass hier nur mehr abgeben und loslassen geht, weil es letztlich nur einen Löser, den Erlöser gibt. Er löst! Ich bin höchstens ein mehr oder weniger guter Handlanger. Es war das Gebet, das dann doch noch eine Lösung möglich machte, mit der sich leben ließ. Das ungeheure Vertrauen des Niklaus von Flüe ist es, was ich brauche, was wir brauchen. Aber es ist Geschenk, und es kann nur täglich neu immer wieder von uns erbeten und erbetet werden.“21

      Gebet am Sterbebett

      Eine sehr persönliche Erfahrung beschreibt der bekannte Schweizer Theologe und Buchautor Pierre Stutz (*1953). Als 1982 seine Mutter an einer tödlichen Krebserkrankung litt, betete sie jeden Abend mit ihrer Familie, die sie zuhause pflegte, das Bruder-Klausen-Gebet. Daran anschließend schreibt er: „Jeden Tag sterben wir kleine Ego-Tode durch unsere kleinen Enttäuschungen und unsere durchkreuzten Lebenspläne. Jeden Tag können wir noch mehr eintauchen in unseren Friedensgrund, um zu entdecken, dass das Wesentliche schon da ist (…) Es hat meine Mutter vertrauensvoll in die Ewigkeit begleitet. Es drückt für mich bis heute meine tiefe Hoffnung aus, dass wir im Leben und im Sterben in Gottes Liebe hineingeboren werden.“22

       Befreiendes, öffnendes Gottesverständnis

      Bereits diese drei Beispiele zeigen, wie modern und zeitlos die grundlegenden Wahrheiten von Niklaus von Flüe bis heute sind. Dazu tragen neben dem Gebet zwei „Träger“ bei, die in der symbolischen und zeichenhaften Vermittlung von Niklaus von Flüe und seiner Botschaften eine besondere Rolle spielen, das Radbild und der Ranft, sein Ort der Einsamkeit.23

      „So ist das göttliche Wesen“

      Das Radbild ist das Niklaus von Flüe am zutreffendsten charakterisierende Symbol. „Siehst Du diese Figur?“, fragte er einen Besucher und erklärte ihm: „So ist das göttliche Wesen. Der Mittelpunkt ist die ungeteilte Gottheit.“ Von diesem Mittelpunkt gehe die göttliche Gewalt aus, umfasse den Himmel und alle Welt, führe wieder hinein und sei unteilbar in ewiger Macht. Gott war und blieb für ihn das Zentrum seines Denkens und Handelns. Die Schlichtheit des Niklaus von Flüe entspricht seinen scheinbar so einfachen Kernaussagen. Wie anspruchsvoll, wie unergründlich tief „dieses Buch, in dem ich lerne“ tatsächlich ist, wird nur dem bewusst, der sich näher darauf einlässt.

      Ranft: Ort der Stille, des Gebets

      Der dritte „Träger“ ist der Ranft. Dieser identitätsstiftende, spirituelle Kraft- und Sehnsuchtsort nahe dem geografischen Zentrum der Schweiz steht – zusammen mit Bruder Klaus als herausragende und geschichtswirksame Vermittlerfigur – für ein Ankommen wie für ein Mehr an Rückzug und Reflexion, ein Mehr an Ruhe und Meditation, ein Mehr an Gelassenheit und Genügsamkeit, ein Mehr an Zuhören und ein Weniger an

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