Geist & Leben 2/2017. Christoph Benke

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Geist & Leben 2/2017 - Christoph Benke

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am Ölberg hat das Kreuz nicht angestrebt, sondern im Gegenteil Gott gebeten, diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen, allerdings mit dem Zusatz: „aber nicht, was ich will, sondern was Du willst, soll geschehen“ (Mk 14,36 parr).

      Ein in der Nachfolge Jesu zugemutetes Kreuz kann, wenn es angenommen wird, eine große Kraft entfalten. Dafür ist das Kreuz Christi das beste Beispiel. Aber wenn ein zugemutetes Kreuz im Ganzen und auf die Dauer nur lähmt und quält und Leben abtötet, dann ist es nicht heilbringend, sondern zerstörerisch. Man wird es bekämpfen oder wenigstens ihm ausweichen müssen.

       Veränderung einer „unveränderbaren“ Berufung?

      Was aber, wenn eine Situation unerträglich geworden ist und vielleicht auch die Menschenwürde beschädigt oder die Gerechtigkeit massiv verletzt wurde? Wenn die eigene Identität sich so massiv verändert hat, dass der andere, um in der Bindung zu bleiben, seine Identität massiv verbiegen müsste? Was für Paare gilt, trifft analog auch für einzelne Ordensangehörige im Bezug auf ihre Gemeinschaft zu.

      Die Entscheidung, die seinerzeit eine wertorientierte Lebensform getragen hat, kann in einer veränderten Situation nicht mehr gelebt werden. Nach gründlicher und ehrlicher Prüfung stellt jemand fest: Obwohl er sich redlich gemüht hat, sein „Kreuz zu tragen“, erweist sich die getroffene Lebenswahl im Ganzen und auf die Dauer als trostlos und unfruchtbar.

      Was wären für solche Krisensituationen die Kriterien, die zur Klarheit verhelfen, ob und wann eine bereits getroffene Lebenswahl sinnvollerweise revidiert werden darf oder sogar muss? Was spricht für die Echtheit einer neuen Berufung und wie unterscheidet sie sich von einer Neuorientierung, die nur aus einem Affekt heraus oder aus subjektiv erlebter Trostlosigkeit getroffen wurde?

      Kiechle weist darauf hin: „Hat man früher aus einem traditionellen Ordensdenken heraus allzu oft ein starres Beharren im Gewählten gefordert, was bisweilen, eben weil zerbrochene Beziehungen nicht gelöst wurden, zu unsäglichem Leiden führte, so neigt man heute im Gegenteil dazu, allzu schnell die eingegangenen Bindungen zu lösen, ohne ausreichend zu bedenken, welchen Schaden und welche Verletzungen zerbrochene Beziehungen bewirken können“.7 Ganz ähnlich argumentiert Josef Schuster: „Eine einmal getroffene Lebensentscheidung kann sich im Laufe der Zeit als ein Irrtum herausstellen, der verschuldet oder unverschuldet sein kann. Wenn eine solche Entscheidung nicht mehr ‚saniert‘ werden kann, dann sollte sie auch revidiert werden können.“8

      Sich vor Gott die Frage nach einer neuen Berufung zu stellen und sich dabei an den Kriterien von „Trost“ und „Frucht“ zu orientieren, ist also etwas ziemlich anderes und mehr als nur die Güterabwägung zwischen zwei Übeln mit dem Ziel, das geringere zu wählen. Denn was eine Berufung wirklich ist, begreift man eigentlich erst, wenn man erfasst, dass es dabei um die Beziehung zu Gott geht. Vertieft eine neue Lebenswahl die Beziehung zu Gott oder führt sie zu einer Verflachung? Lässt sie einen Menschen in Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen? Eine neue Berufung wird ohne echte Sehnsucht danach wohl kaum geschenkt werden. Michel de Certeau SJ macht darauf aufmerksam, dass die ignatianische Vorgehensweise diese Sehnsucht erfordert, also dass jemand, der vor einer Lebensentscheidung steht und seine einmalige und einzigartige Berufung sucht und dazu Exerzitien machen möchte, wirklich von einer Sehnsucht auf der Suche nach der zu fällenden Entscheidung getrieben wird. Die Funktion des „Prinzips und Fundaments“ der Exerzitien besteht darin, dem „Sehnen einen Raum zu eröffnen“.9

      Das Gegenteil wäre: Es könnte ja sein, dass jemand auf dem Standpunkt stünde: „Ich suche mal nach dem Willen Gottes, und wenn ich ihn dann gefunden habe, dann schaue ich noch mal neu, ob er mir passt und ob ich ihn dann realisieren will.“ So ein Vorgehen wäre Spielerei. Mit dem Suchen muss auch der Wunsch verbunden sein, das Gefundene dann zu realisieren. In der Phase des Exerzitienprozesses, in der jemand seine Berufung sucht, ist – idealtypisch – das eigene persönliche Gottesbild soweit gereinigt und geklärt, dass jemanden die Frage nach seiner Berufung nicht – nur – in Angst und Schrecken versetzt, sondern dass ihn das Verlangen antreibt, sie auch zu suchen und zu finden. Das angenommene Gottesbild der zweiten Exerzitienwoche ist das Gottesbild Jesu.

      Deswegen ist es für Ignatius so wichtig: So lange jemand nicht mit den Verletzungen seiner Vergangenheit ausgesöhnt ist und seine zwischenmenschlichen Beziehungen nicht einigermaßen geklärt hat, soll er nicht in die Wahlüberlegungen der zweiten Exerzitienwoche eingeführt werden. „Für den, der Übungen in der ersten Woche nimmt, ist es nützlich, gar nichts von dem zu wissen, was er in der zweiten Woche tun soll. Vielmehr soll er sich in der erste Woche so mühen, um das zu erreichen, was er sucht, wie wenn er in der zweiten Woche nichts Gutes zu finden hoffte“ (GÜ 11).

      Certeau ist weiter überzeugt: Es gibt „kein Christenleben, in dem eines Tages nicht auch eine ‚Agonie‘, ein Kampf mit Gott, auszutragen wäre. Es gibt da keine Entscheidung, die für Gott getroffen wurde und die eines Tages nicht an Gott selbst Anstoß nehmen würde. Das kann ein Trauerfall, eine Krankheit, ein Ereignis, eine lähmende Schwäche, ein schwer wiegender Absturz usw. sein – und schon ist die Sicherheit in Frage gestellt, die wir meinten, bei Gott und in seinem Willen gefunden zu haben“.10 Eigentlich sei es „normal“, dass jemand, der eine Entscheidung getroffen und seine Berufung gefunden hat, nach der Wahl mehr oder weniger stark von Versuchungen geplagt wird.11 Und selbst der Frömmste hat keine Sicherheit, dass er im Leben nicht – irdisch betrachtet – scheitern kann.12

      Kann eine neue Lebenswahl eine neue Berufung sein? Eine Auffassung, die das Ordensleben für spirituell „höherwertiger“ ansieht als ein Leben in Beziehung, würde sagen: Nur wer aus dem „Stand der Gebote“, also der Ehe, in den Ordensstand als den „Stand der evangelischen Vollkommenheit“ (so die Wortwahl in GÜ 135) wechselt, folgt einer echten Berufung. Der umgekehrte Schritt stünde unter dem Verdacht, „ungeordneten Anhänglichkeiten“ zu folgen. Aus ignatianischer Perspektive wird das entscheidende Kriterium sein – auch wenn eine neue Lebenswahl nicht in der Linie der ursprünglich getroffenen liegt, sondern eine andere Lebensoption beinhaltet – : Führt eine neue Lebenswahl aus der Dynamik der zweiten Exerzitienwoche durch das „Tor“ in die Dynamik der dritten und vierten Exerzitienwoche oder führt sie davon weg? Wer dieses Tor durchschreitet, sucht für sein künftiges Leben gerade nicht den bequemeren und leichteren Weg. Sondern er/sie will sich mehr Jesus Christus angleichen, „da er ja der Weg ist, der die Menschen zum Leben führt“.13 Er/Sie ist mehr willens und bereit, dem Wort Jesu zu folgen: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt 10,39 parr).

      1 Für die folgenden Überlegungen bin ich P. Lutz Müller SJ, Essen, dankbar.

      2 Vgl. J. Schuster, Überlegungen zur unabänderlichen Lebenswahl, in: KorrSpirEx 109 (2016), 11–20, hier: 12–13.

      3 S. Kiechle, Kriterien der Lebensentscheidung, in: M. Schambeck / W. Schaupp (Hrsg.), Lebensentscheidung – Projekt auf Zeit oder Bindung auf Dauer? Würzburg 2004, 173–187.

      4 F. Meures, Was heißt Unterscheidung der Geister?, in: Ordenskorrespondenz 31 (1990), 272–291, hier: 278.

      5 S. Kiechle, Kriterien der Lebensentscheidung, 184–187. [s. Anm. 3]

      6 Ebd. 184.

      7 Ebd. 186.

      8 J. Schuster, Überlegungen, 20 [s. Anm. 2].

      9 M. de Certeau, Der Sehnsucht Raum geben. Oder das Fundament der Geistlichen Übungen, in: GuL (2016), 92–101, hier: 94.

      10 M. de Certeau, Die Tage nach der Entscheidung. Die Bestätigung im geistlichen Leben, Teil I, in: GuL (2016), 317–327, hier: 321.

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