Geist & Leben 2/2017. Christoph Benke

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Geist & Leben 2/2017 - Christoph Benke

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kirchlichen Tradition sah man dafür die Lebensentwürfe Ehe und Ordensstand und die Möglichkeit, in der Nachfolge Jesu als Einsiedler oder „gottgeweihte Jungfrau“ allein zu leben. Es kann hier unberücksichtigt bleiben, inwiefern ein konkreter Mensch eine spezielle Lebensform bewusst wählt oder inwiefern er sie zunächst als vom Schicksal – oder von Gott – auferlegt erlebt mit der Herausforderung, sie innerlich zu akzeptieren und zu gestalten. In allen drei Lebensformen geht es darum, mit Gott verbunden zu sein, Jesus nachzufolgen und tätige Nächstenliebe zu üben.

      Im Ordensleben geht es darüber hinaus – idealtypisch gesagt – darum, Jesus nicht nur nachzufolgen, sondern ihn auch in dieser Lebensweise nachzuahmen. Heute ist schlicht zur Kenntnis zu nehmen, dass viele Menschen, die von Herzen gern in der Kirche leben, keine dieser Berufungen in sich spüren. Man spreche Pfarrer auf ihre Erfahrungen mit Trau-Gesprächen an: Dass heiratswillige Paare ihre künftige Ehe als Berufung sehen, ist keine Selbstverständlichkeit.

      Fünftens schließlich gibt es eine Berufung zur Beständigkeit in der gewählten Lebensform. Die Erfahrung zeigt: Auch wer mit klarem Bewusstsein und in voller Freiheit eine Lebenswahl vor Gott getroffen hat, kann nicht davon ausgehen, dass sie ihn/sie ein Leben lang tragen wird. „Wenn das Wasser in einem Aquarium verdunstet ist und die Fische tot auf dem Trockenen liegen, werden sie nicht wieder lebendig, wenn man Wasser nachgießt“, sagt ein Mann nach dem Scheitern seiner Ehe. Er war weder dumm noch bösartig, noch nahm er die Dinge auf die leichte Schulter. Vielmehr kam etwas, was einmal wundervoll und passend war, zum Ende; die Kräfte waren nicht da, um es wieder zum Leben zu erwecken. Für Priester, die ihr Amt aufgegeben haben, gilt Vergleichbares. Ist es wirklich so sicher, dass jede(r), der/die in eine Lebensform in der Kirche berufen ist, auch berufen ist zur „Beharrlichkeit“ in dieser Lebensform?

      Gelegentlich hört man: Wenn es eine Berufung in die Ehe oder in das Ordensleben hinein gibt, kann Gott dann nicht auch wieder aus der Ehe oder dem Ordensleben hinaus und in eine neue Lebenskonzeption hinein berufen? Den Menschen, die solches ernsthaft diskutieren – was ja nicht zuerst eine akademische, sondern eine lebenspraktische und oft mit erheblichem Leidensdruck verbundene Fragestellung ist –, darf nicht gleich die Ernsthaftigkeit abgesprochen und unterstellt werden, sie würden für eigene „ungeordneten Anhänglichkeiten“ nur eine spirituelle Rechtfertigung suchen.

       Wie findet man seine Berufung?

      Im Exerzitienbuch beschreibt Ignatius von Loyola diesen Mechanismus so: Statt sich auf Gott auszurichten und zu fragen, was Gottes Einladung an einen selber sei, würden manche Menschen wollen, dass „Gott dorthin komme, wo man selber will“ (GÜ 154 und 155). Und weiter: „Es gibt die einen Dinge, die unter unveränderbare Wahl fallen, wie es Priestertum, Ehe usw. sind. Es gibt andere Dinge, die unter veränderbare Wahl fallen, wie es sind: Pfründen nehmen oder sie lassen, zeitliche Güter nehmen oder sie abweisen“ (GÜ 171).

      Ignatius ist nach dem Textbefund des Exerzitienbuches sehr streng: Wer eine Lebensentscheidung getroffen hat, möge sie beibehalten, auch wenn er den Eindruck bekommen hat, sie sei schlecht (in seiner Sprache: „ungeordnet“) getroffen worden. „Bei der unveränderbaren Wahl, wenn man bereits einmal eine Wahl getroffen hat, gibt es nichts mehr zu erwählen, weil man die Bindung nicht lösen kann; so ist etwa Ehe, Priestertum usw.“ (GÜ 172). Aber auch Ignatius scheint die Möglichkeit, eine „unabänderliche Lebensentscheidung“ zu revidieren, nicht gänzlich auszuschließen. Denn nach den Satzungen des Jesuitenordens sind die ersten Gelübde (Armut, Gehorsam, Keuschheit) der jungen Jesuiten zwar „ewig“, die Gesellschaft Jesu bindet sich aber erst nach den Letzten Gelübden ihrerseits definitiv an ihre Mitglieder.2

      Der Auffassung, dass es „unveränderbare Wahlen“ gibt und man sie auch treffen kann, ist sicher zuzustimmen: Wer ein Kind zeugt oder auf die Welt bringt, schafft eine nicht mehr aus der Welt zu zaubernde Realität. Fraglich ist jedoch, ob die von Ignatius angeführten Beispiele zeit- und kulturübergreifend überzeugen können, wobei gewiss die Sicht der kirchlichen Tradition zu bedenken ist: Wer das Eheversprechen oder die Ordensprofess ablegt, begibt sich in einen Zustand, der irreversibel ist. Stefan Kiechle gibt zu bedenken, dass diese strenge Haltung deswegen nicht so rigoros durchzuhalten ist, weil in manchen Kontexten das Festhalten an einer einmal getroffenen Lebensentscheidung in so unerträgliche Situationen führen kann, dass der Verbleib in ihr unmenschlich und unzumutbar ist.3 Kann man – etwas naiv ausgedrückt – Gott vorschreiben, wozu er beruft? Das hieße, zu klein von ihm zu denken, der immer „größer ist als unser Herz“ (1 Joh 3,20). Das Kriterium für die Echtheit einer neuen Berufung wird stets sein: Führt sie in einen größeren Dienst an den Menschen und in eine noch stärkere Verbundenheit und in eine tiefere Liebesbeziehung zu Gott und den Menschen?

      Im Übungsweg der Exerzitien ist die zweite Woche der Ort, um die eigenen Berufung zu suchen und zu finden. Dieses „Suchen und Finden des Willens Gottes“, d.h. die Entdeckung der eigenen Berufung, geschieht nach Franz Meures idealtypisch so: In Verbindung mit der Betrachtung des Lebens Jesu kommt im betenden Menschen ein Klärungsprozess in Gang, in dem er „aus einer persönlichen Vertrautheit mit Christus heraus die von ihm erlebten inneren und äußeren Bewegungen und Antriebe daraufhin überprüft, ob sie mehr zu Gott hinführen oder eher von ihm weg, um so zu Entscheidungen fähig zu werden, welchen Weg er vor Gott gehen soll“.4

      Es geht in der zweiten Exerzitienwoche also darum, sich auf den Weg Jesu zu machen, in den täglichen Betrachtungen gleichsam zusammen mit ihm durch sein (i.e.: Jesu) Leben zu gehen, und die für das eigene Leben bestimmende Gestalt der Nachfolge Jesu – die eigene Berufung – zu finden. Inhaltlich steht neben der zentralen Betrachtung vom „Ruf des Königs“ das Leben Jesu von der Menschwerdung bis zum Einzug nach Jerusalem im Mittelpunkt. Die für die 30-tägigen Exerzitien entscheidenden Betrachtungen über die Wahl einer Lebensform liegen in der Mitte der zweiten Woche.

      Mit der Wahl einer Lebensform oder dem Blick auf die Neugestaltung des bisherigen Lebens sind die Exerzitien aber noch nicht zu Ende. Für einen glaubenden Menschen wird die Ordnung oder Neuordnung seines Lebens hineingenommen in das zentrale Geheimnis des Lebens Jesu, um von dort seine weitere Bestätigung und Vertiefung zu finden: in das Geheimnis von Tod und Auferstehung. Darum geht es in der dritten und vierten Exerzitienwoche.

      Die dritte Woche ist inhaltlich bestimmt durch die Betrachtung des „für mich“ leidenden und sterbenden Christus. Diese Übungen dienen – idealtypisch – der Vertiefung und Festigung der in der zweiten Woche getroffenen Lebenswahl. Kreuz und Leid, im Licht der Auferstehung betrachtet, schenken Kraft zum Annehmen und damit zum Verändern, zur Heilung und Fruchtbarkeit. In der vierten Woche werden die Geheimnisse der Auferstehung und Himmelfahrt Christi meditiert. Diese Woche bildet den hellen Abschluss des Weges, den der/die Beter(in) im Auf und Ab der eigenen inneren Bewegungen zurückgelegt hat.

      Ist es nun das Bessere, mit Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Herrn stets die verzichtvollere und schmerzvollere Alternative zu wählen? In der spirituellen Tradition wurde diese Frage oft bejaht. Bisweilen sprach man von der „Kreuzesliebe“, wo es doch eigentlich um die Liebe zum Gekreuzigten geht. Kiechle zeigt in einer Analyse des Exerzitienbuches, dass in den Texten zur Lebenswahl das Kreuz nicht vorkommt. Man soll keineswegs das Schwerere und Endsagungsvollere wählen. Kriterien für Ignatius sind ausschließlich „Trost“ und „Frucht“.5

      Trost – so Kiechle – ist zu verstehen als ein „Leben in Fülle“ in Beziehung mit sich, mit den Menschen und mit Gott, eine innere Zufriedenheit und Kohärenz. Das zweite Kriterium einer guten Lebenswahl, „Frucht“, meint alles, was den Menschen in Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen lässt. Diese beiden Kriterien durchdringen sich gegenseitig: Was mir zu Trost und Wachstum verhilft, wird auch für andere fruchtbar sein und umgekehrt. Bei mehreren guten Alternativen ist für Ignatius das wichtigste Kriterium das magis: Was lässt mehr Trost und Frucht erwarten?

      Allein um des Reiches Gottes, also um etwas Gutes willen, folgten die Jünger Jesus nach: „Das Kreuz

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