Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand. Petra Lillmeier
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2.4.2Wilhelm Wittenbruch: „Inneneinsichten“171
Die Untersuchungen von Wilhelm Wittenbruch – in Kooperation mit Walter Werres (kurz: „Wittenbruch“) – sind im Rahmen dieser Arbeit von besonderer Bedeutung, da sie in den aktuellen Stellungnahmen der (Erz-)Bistümer immer wieder zitiert und als grundlegender wissenschaftlicher Bezugsrahmen zur konkreten Verfasstheit Katholischer Grundschulen in Nordrhein-Westfalen bis heute herangezogen werden.172
Wittenbruch und Werres unternehmen – wie im Vorwort ihrer Untersuchung angekündigt – den Versuch, das zuletzt aufgezeigte Desiderat zu schließen oder doch zumindest einen Beitrag zu einem gesellschaftlichen Diskurs zu leisten. Ihre Abhandlung stellt dabei sehr richtig eine auffallende „Enthaltsamkeit“ innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion bezüglich der Frage nach der Katholischen Grundschule im Unterschied zur Frage nach der Schule in kirchlicher Trägerschaft fest: „Für katholische Bekenntnisschulen als ‚staatliche Regelschule’ sucht man ähnliche Diskussionen[173] aber vergeblich. Hier ist ein erstaunliches Reflexionsdefizit zu verzeichnen.“174 Ferner stellt er fest, dass es wohl der „damaligen Amtskirche“ kaum an einer tatsächlichen Profilierung dieser Schulform gelegen gewesen sei, wohl weil man insgeheim davon ausgegangen sei, dass diese Schulart keine wirkliche Überlebenschance habe.175 Insgesamt, dies sei im Hinblick auf eine historische Einordnung angemerkt, bezieht sich Wittenbruch in seiner Untersuchung auf die Richtlinienentwicklung und die schließlich 1985 in Kraft gesetzten Richtlinien für das Land NRW.
Im Rahmen dieser Untersuchung interessieren die von Wittenbruch konstatierten Grundzüge Katholischer Grundschulen unter der Fragestellung, ob und inwiefern der Verweis auf „Wittenbruch“ für heutige Katholische Grundschulen (noch) eine Orientierungsmöglichkeit darstellt. Dazu ist der Ansatz – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die inzwischen erfolgte Richtlinien- und Lehrplanrevision zunächst in ihrer vorläufigen Form von 2003 und schließlich verbindlich seit 2008 – auf seine Aktualität hin zu befragen. Die formale Einordnung der Forschungsarbeiten von Wilhelm Wittenbruch in das Kapitel „Historie“ zeigt allerdings bereits an, dass es sich hierbei um einen Ansatz handelt, der nur noch sehr begrenzt auf die heutige Situation Katholischer Grundschulen anzuwenden ist, so dass im Rahmen dieser Arbeit sowohl der historische Ertrag als auch die Grenzen dieses Ansatzes zu untersuchen und aufzuzeigen sind.
Zunächst ist nach der methodischen Anlage des Forschungsprojekts „Innenansichten“ zu fragen. Dabei handelte sich um ein empirisches Projekt. Im Rahmen einer „Ideographischen Schulforschung“ befragten Wittenbruch u. a. 1987 insgesamt 108 Schulleiterinnen und Schulleiter und erstellten ferner auf der Grundlage von drei Einzeluntersuchungen drei Porträts Katholischer Grundschulen.
Die Ergebnisse dieser empirischen Studie legte Wittenbruch in seinem Buch „Innenansichten“ dar. Dabei führt er eingangs aus, dass er mit seiner Beschreibung keine „Musterform“ Katholischer Bekenntnisgrundschulen zeichnen wolle. Auch gehe es ihm nicht um einen Diskurs über das „Für und Wider“ dieser Schulart. Vielmehr sei der Ausgangspunkt seiner Überlegungen der gesicherte rechtliche Rahmen dieser Schulart, der – zum Zeitpunkt seiner Untersuchung – auch staatlicherseits nicht zur Disposition stand.
Wittenbruch hob in seiner Untersuchung auf die besondere Bedeutung der Einzelschule als Motor schulischer Entwicklung ab: die aus der Richtlinienkompetenz des Staates und der pädagogischen Freiheit des Lehrers sich ergebende Aufforderung zur Gestaltung eines spezifischen Schulprogramms führe zu einem Handlungsspielraum, der es der Einzelschule ermögliche und sie verpflichte, ihr besonderes Profil inhaltlich zu füllen und zu gestalten.
Diese Bedeutung der Einzelschule176 – als Ausgangspunkt und Motor der Schulentwicklung – haben Wittenbruch u. a. richtig erkannt und dargestellt. Auch stellen sie mit Recht heraus, dass das spezifische Profil einer Grundschule immer das einer „konkreten Schule vor Ort“ sein muss – mit konkreten Lehrerinnen, Kindern und Eltern innerhalb ihres charakteristischen Umfelds. Damit war Wittenbruch 1985 in gewisser Weise „Trendsetter“, denn tatsächlich hat es bei den meisten Grundschulen seit der Richtlinienrevision von 1985 noch eine ganze Zeit gedauert, bis sich diese Sichtweise konkret durchsetzte und in den entsprechenden Schulprogrammen ihren Ausdruck fand.177
In heutigen, aktuellen Diskussionen um Schulentwicklung, Schulprofil und Schulprogramm geht es indessen nicht mehr um die Fragestellung, ob und inwieweit es einen pädagogischen und didaktischen Handlungsrahmen für die Einzelschule gibt. Schulentwicklung und die Ausbildung eines spezifischen Schulprofils heben vielmehr „ab auf die Besonderheit der einzelnen Schule und deren spezielle Angebote für die in ihr lebenden und lernenden Schüler“178. In diesem Rahmen sind Schulprogramme zu sehen als ein fortzuschreibendes Konzept, das getragen ist vom Bestreben der Einzelschule, die Qualität schulischen Lernens zu verbessern. Schulprogramme sind damit im heutigen Verständnis wichtige Instrumente der Qualitätsentwicklung und -sicherung der Einzelschule. Auf diesen Fragenkomplex wird insbesondere im dritten Teil dieser Untersuchung zurückzukommen sein, weil sich hieraus die Frage ableitet, welche Konsequenzen aus dieser Sichtweise für die Entwicklung und Profilierung einer Katholischen Grundschule zu ziehen sind.179
Ein weiterer Aspekt fällt ins Auge: Wittenbruch deutet und verwendet den Begriff „Schulprogramm“ im Sinne einer Auslegung der Richtlinien. Insofern ist der Gedanke der Einzelschulentwicklung von ihm nicht konsequent verfolgt180 worden, sondern verbleibt in gewisser Weise auf der Ebene der Administration.181 Zudem erfährt der von Wittenbruch noch bemühte Begriff des Schullebens heute in der allgemeinen Grundschulpädagogik eine Weiterentwicklung durch den Begriff der Schulkultur, der – neueren Ansätzen zufolge – immer deutlicher als integrativer Ausdruck eines umfassenden, kohärenten und kohäsiven Schulentwicklungsprozesses Verwendung findet. Schulkultur als Sammelbegriff umfasst nach Schorch182 in der Regel die Bereiche „Lernkultur, Erziehungskultur, Organisationskultur“. In den aktuellen Richtlinien von NRW ist zwar der Begriff des „Schullebens“ erhalten geblieben, innerhalb der Qualitätsstandards aber um den Begriff der „Schulkultur“ ergänzt worden.
Einen weiteren Ansatzpunkt profilierter Schulentwicklung sieht Wittenbruch im Aspekt des „Erziehenden Unterrichts“. Er trennt zwischen sachorientiertem Unterricht und sozialem Lernen, woraus sich für ihn ergibt: Sozialorientiertes Lernen macht Schulleben aus, das im Schulprogramm seinen Ausdruck findet. Sein Ergebnis aus den drei genannten Befragungen ist, „daß christliche Pädagogen das fragmentarische Erziehungsprogramm einer staatlichen Schule, die sich ja nur auf jene ‚Elemente der Ethik’ beschränken kann, über die in der pluralistischen Gesellschaft Konsens besteht […] vervollständigen können.“183 Einmal davon abgesehen, dass es auch zum Zeitpunkt der Untersuchung kein geschlossenes katholisches Milieu mit einheitlichem Werte- und Normsystem gegeben hat, bleibt kritisch anzufragen, ob Wittenbruch mit seiner Aussage, die Erziehungskonzepte von Gemeinschaftsgrundschulen seien letztlich bruchstückhaft und gleichsam als unvollständig zu betrachten, Recht hat. Somit konstatiert Wittenbruch einen Mehrwert Katholischer Grundschulen gegenüber der Gemeinschaftsgrundschule.
Wittenbruchs Methode der „Ideographischen Schulforschung“ hat mit Blick auf die Katholischen Schulen in freier Trägerschaft auch heute seine Berechtigung, insofern sie aus der Praxis heraus „Innenansichten“ erlaubt. In Anwendung dieser Methode auf die öffentliche, staatliche Regelschule, die die Katholische Grundschule