Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand. Petra Lillmeier
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Die vorliegende Arbeit folgt diesem wissenschaftstheoretischen Ansatz und setzt sich mit der pädagogischen Institution Grundschule auseinander, einer Einrichtung, in der sich lebensgeschichtlich bedeutsame „Enkulturations-, Sozialisations-, Erziehungs- und Unterrichtsprozesse abspielen“.20 Sie kann mit Recht als eine zentrale Sozialisationsinstanz angesehen werden,21 innerhalb derer verschiedene direkte und auch indirekte Einflussgrößen und Erwartungshaltungen auszumachen und anzutreffen sind.22
Die Katholische Grundschule als staatliche Regelschule obliegt nun aber nicht nur diesen alle öffentlichen Grundschulen gleichermaßen prägenden Bestimmungen, Einflüssen und Erwartungen: Sie orientiert sich auch an Grundlagen eines Bekenntnisses, das sich in diesem Fall in der Katholischen Kirche als einer Körperschaft öffentlichen Rechts institutionalisiert.
Es ist also festzuhalten: Die KGS als Gegenstandsbereich stellt wissenschaftstheoretisch ein Phänomen innerhalb der pädagogischen Institution „Grundschule“ dar. Mit dem Begriff des Phänomens im allgemeinen Sinn sind hier komplexe Zusammenhänge eines Gegenstandes bezeichnet, deren Erforschung noch aussteht.23 Methodologisch greift diese Studie damit also auf eine „Phänomenologie“ zurück, worunter mit Friedrich W. Kron „die wissenschaftliche Untersuchung komplexer Gegebenheiten, also von Phänomenen der Lebenswelt in Bezug auf das, was ihnen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen zugrunde liegt“24, zu verstehen ist.
Innerhalb dieser Studie werden demgemäß methodische Grundregeln einer pädagogischen Phänomenologie25 angewandt, und zwar in der Weise, wie sie von Friedrich Kron in ein siebenschrittiges Regelwerk überführt wurde. Forschungsmethodisch rekurriert diese Untersuchung auf einzelne Aspekte dieses phänomenologischen Leitfadens. Allerdings wird dieser Leitfaden nicht in seiner systematischen Reihung aufgegriffen, sondern im Sinne eines methodischen Kanons. Dieses auf sechs Module zusammengefasste Regelwerk ermöglicht eine Komplexitätsreduktion des Phänomens Katholische Grundschule durch:
•eine präzise Beschreibung des erkenntnisleitenden Interesses,
•Abgrenzungen von anderen Phänomenen (hier insbesondere der GGS),
•Rekonstruktion der geschichtlichen Zusammenhänge und Wurzeln der KGS,
•eine tunlichst genaue Deskription der staatlichen und kirchlichen Grundlagen und Grundsätze dieser Schulart,
•eine tunlichst genaue Deskription eines wissenschaftlichen Selbstverständnisses einer Grundschulpädagogik und Religionspädagogik im Hinblick auf das Phänomen KGS sowie
•die Herausarbeitung der Grundstruktur und der Bedeutung der Akteure auf dem Hintergrund gesellschaftlicher und anthropologischer Bedingungszusammenhänge.
Notwendig ist dabei insgesamt – aufgrund der verschiedenen wissenschaftlichen Verortungen der anzusprechenden Aspekte und Teilbereiche – ein interdisziplinärer Zugriff im Rückgriff auf relevante Einzeldisziplinen in Form einer textanalytischen Annäherung. Hier wird auf eine Hermeneutik der Textauslegung als „Spezialfall der Hermeneutik“26 zurückgegriffen, „denn das hermeneutische Verstehen macht den Kern des Erfassens von Erziehungswirklichkeit aus, dem phänomenologische Bestandsaufnahme und dialektisches Reflektieren zugeordnet sind“27. Konkret wird hier von historischen Texten und Quellen (Teil I), rechtlichen, theologischen und pädagogischen Grundlagentexten (Teil II) die Rede sein, ohne deren Verstehen und Auslegen eine Klärung der Frage nach den Propria einer KGS nicht möglich ist.28
Von welcher Literaturlage kann dabei ausgegangen werden? Betrachtet man die KGS NRW als Phänomen innerhalb des bundesdeutschen Schulsystems, so stößt man auf eine äußerst dünne Literaturlage „neueren“ Datums: In den 1970er Jahren befasste sich Wilhelm Wittenbruch gemeinsam mit Walter Werres29 in einer Studie explizit mit Fragestellungen einer Katholischen Grundschule. Ferner ist in diesem Zusammenhang das „Handbuch Katholische Schule“, ein von Rainer Ilgner30 herausgegebenes fünfbändiges Werk, bemerkenswert, in dem sich Wissenschaftler in einem multidisziplinären Zugriff verschiedener Facetten Katholischer Schule zuwenden. Allerdings liegt der Fokus in dieser – wie auch diverser anderer – Literatur eindeutig auf der Katholischen Schule in freier Trägerschaft. Nur in einigen Nebenbemerkungen wird – zudem eher selten einmal – auch auf die KGS Bezug genommen. So zeigt sich insgesamt, dass zwar die Katholische Schule als Schule in freier Trägerschaft regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war und ist, nicht aber die KGS. Weil es sich bei der KGS aber um ein Einzelphänomen besonderer Art handelt, der Staat Träger dieser Schulform ist, ist eine unreflektierte Subsumierung unter den Begriff „Katholische Schule“ wissenschaftlich unzulässig und ein Rückgriff auf diese Literatur nur in zu begründenden Einzelaspekten redlich und damit möglich.
Da es Ziel und Aufgabe dieser Untersuchung ist, die nordrhein-westfälische Grundschule in der Schulart einer Katholischen Grundschule historisch zu rekonstruieren, ihren gegenwärtigen Zuschnitt multiperspektivisch zu beschreiben, sie zu proprialisieren und schließlich zu performieren, richtet sich der Blick auf Teilbereiche31 einer Grundschulpädagogik: Befragt wird das grundschulische Handlungsfeld auf seine Akteure hin, auf die dahingehend relevanten grundschulpädagogischen, religionspädagogischen und theologischen Grundfragen und Grundlagen und auf die Aufgaben und Ziele einer grundschulischen Bildung und Erziehung. Ein – hinsichtlich dieser notwendigerweise zu untersuchenden Teilaspekte einer Grundschulpädagogik und Religionspädagogik – gezielter Blick auf die Literaturlage lässt in allen Einzelfragen einen unübersichtlichen Theorienüberschuss, eine große Komplexität innerhalb der wissenschaftlichen Fachdiskussion und eine ebenso unüberschaubare Literaturlage erkennen. Die Herausforderung besteht nun darin, zu unumgänglichen wissenschaftlich begründeten Abgrenzungen und Einschränkungen innerhalb der Einzelthemen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen hinsichtlich der Akteure und Handlungsebenen von Grundschule zu finden. Der dazu notwendige Einsatz eines „wissenschaftstheoretischen Filterapparats“ ergibt sich aus der Fokussierung auf die Frage nach den Propria, den Spezifika einer KGS. Diese erkenntnisleitende Maxime bestimmt, markiert und begründet die Auswahl der Literatur sowie die notwendigen Zuschnitte und Eingrenzungen in den jeweiligen Teilbereichen.
1.4Aufbau der Studie
Die Studie ist insgesamt auf drei Teile hin angelegt:
Der erste Teil beschäftigt sich mit einer historischen Rekonstruktion des Phänomens „Katholische Grundschule“. Zu fragen ist nach den geschichtlichen Wurzeln der KGS als Grundschule innerhalb der Entwicklung des deutschen Schulsystems insgesamt und spezifisch nach ihrer nordrhein-westfälischen Schulgeschichte. Die Studie konzentriert sich auf die Fragestellung möglicher historischer Absichten der beiden Einflussgrößen Staat und Katholische Kirche mit Blick auf Wesen, Gestalt und Substanz (Propria) einer KGS. Dazu wird eine historische Einteilung vorgenommen, insofern insgesamt vier Phasen ihrer Geschichte Betrachtung finden: die Gründungsphase in der Weimarer Republik,32 ihre Nachkriegsentwicklung, sodann ihre Emanzipationsphase in den ausgehenden 1960er Jahren und schließlich ihre Etablierungsphase, die bis in die Gegenwart reicht.
Innerhalb dieser historischen Rekonstruktion sucht diese Studie nach den geschichtlichen Bau- und Konstruktionsplänen, den politischen, kirchenpolitischen, theologischen und gesellschaftlichen Bedingungen ihres Aufbaus und geht so den zeithistorischen Grundlagen einer auf Konfessionalität ausgerichteten Grundschule nach, um abschließend