Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
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![Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten - Группа авторов Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten - Группа авторов Erfurter Theologische Studien](/cover_pre983180.jpg)
Mit welch gut durchdachter Strategie Huber sein Ziel zu erreichen suchte und wie Steicheles Reaktion auf dessen durchaus gewagten Vorstoß ausfiel, darüber informierte jener Steinhuber wie gewohnt in aller Ausführlichkeit: „Mir lag an zwei Dingen: 1.) ihm die ganze u. volle Wahrheit tüchtig sagen zu können und dieß 2.) in einer Weise, daß er sich selbst sagen müsse, ich hätte dabei weder ihn verletzen wollen, noch mein Interesse verfolgt, sondern einzig u. allein sein eigenes Interesse im Auge gehabt. Da ich den R[everendissi]mus ziemlich genau kenne u. auch weiß, wie viel ich mir erlauben darf, schlug ich zur sichern Erreichung meines doppelten Zweckes folgenden Weg ein, den ich nach reiflicher Ueberlegung als den allein richtigen u. wirksamen erkannte. Ich spielte – u. war es auch in Wirklichkeit – den tiefbetrübten, redete nichts, antwortete nur mit ja u. nein u. machte dazu ein Gesicht, fast so lange wie die Frauenthürme hoch sind. Das, dachte ich, wird u. muß er merken, u. ich will sehen, wie lange er es aushält. Als nächste Wirkung erwartete ich, nicht daß er mich selbst fragte, sondern den H. Generalvicar, was ich denn eigentlich habe, weßhalb ich diesen ersuchte, in dieser delikaten Angelegenheit nicht den Vermittler der Antwort machen zu wollen, sondern ihm zu sagen, er solle mich selbst fragen. Am 18. u. 19. Dez. gingen wir bei Tisch rasch auseinander, weil mit mir absolut nichts zu machen war. Am 20. Vormittags wurde bereits H. G. Vicar gerufen u. über mich befragt. Der ließ sich in die Sache nicht ein, ‚wußte nichts näheres’, u. gab die Antwort, um die ich ihn gebeten. R[everendissi]mus sagte, so könne er es mit mir nicht mehr aushalten. Mittags bei Tisch war ich wieder traurig u. stumm, u. so brachte er es endlich am Abend eine Stunde vor Tisch über’s Herz, an meiner Glocke zu ziehen. Als ich erschien, fing er bewegt u. in wohlwollendem Tone an, er habe bemerkt, daß ich seit einigen Tagen verstimmt u. traurig sei, nichts rede, was ich denn habe, ob mich die Handschuhe so schmerzen, er wolle nichts gegen mein Gewissen, ich solle aufrichtig Alles sagen. Meine Antwort war zunächst, nicht die Handschuhe an sich seien die Ursache, sondern was damit für seine Person zusammenhänge, u. das sei wiederum nur ein Glied an einer Kette. Auf die weitere Aufforderung, Alles zu sagen, erwiederte ich, das sei für mich sehr schmerzlich; auch fürchte ich, es könnten mir zu starke Ausdrücke entschlüpfen; ich wolle es deßhalb schriftlich sagen. Auf letzteres ließ er sich nicht ein u. so mußte ich denn mit der Sache herausrücken. Ich glaube die ganze u. volle Wahrheit gesagt zu haben, u. wie es aufgenommen wurde, können Sie daraus abnehmen, daß wir uns zum Schluß auf seine Aufforderung gegenseitig die Hand reichten u. er mich ermunterte, wieder fröhlich zu sein u. in Zukunft ihm ohne Umstände auch die unangenehmsten Dinge frei zu sagen. Er wolle von mir keine Schmeicheleien, sondern daß ich ihm die Wahrheit sage, die Andere ihm nicht sagen. Seither genoß ich Aufmerksamkeiten, die ich sogar als zu viel ablehnen mußte, u. als ich ihm zu Neujahr gratulirte, sagte er, er hoffe, daß wir noch lange beisammen bleiben; wenigstens ihn würde das freuen. Die Handschuhe sind natürlich abgethan; auch anderes, was ich angeführt, wurde geändert, u. die Almosen fließen jetzt in einem Grade reichlich, daß ich fast zurückhalten möchte. Es hat also, Gott sei Dank, gewirkt, wie ich es besser nicht wünschen könnte, u. ich bereue es keineswegs, diesen auch für mich unangenehmen Schritt gethan zu haben.“
In der Tat scheint sich von diesem Zeitpunkt an das Verhältnis zwischen dem Erzbischof und seinem Sekretär weitestgehend normalisiert zu haben, so dass Huber ein halbes Jahr später nach Rom schreiben konnte: „Das alter alterius onera portate abgerechnet hausen wir gut zusammen. Er liebt wie sein ehemaliger Prinzipal Bischof Petrus Richarz36 v. Augsburg, bei dem er alles war, ein persönliches Regiment in hohem Grade u. deßhalb sind jetzt meine Arbeiten unvergleichlich mehr als unter Erzbischof Gregor, der alles amtliche durch das Ordinariat erledigen ließ. Manches wird im Palais erledigt, was die Domherrn gar nicht oder erst post factum erfahren. Außerdem sind unsere alten Domherrn in jeder Beziehung conservativ; R[everendissi]mus dagegen findet hie u. da etwas bei uns nicht ganz in Ordnung, möchte es deßhalb ändern, begegnet aber bei den alten Herrn Schwierigkeiten u. Widersprüchen. Da ich nun bestrebt bin, das Gute dort zu nehmen, wo ich es finde, u. selbst wenn es von Augsburg käme, das minder Gute aber zu verbessern, so sind wir zwei in manchen Dingen oft ganz gleicher Ansicht, wo es bei den Domherrn Widersprüche gibt. Das verschafft mir sein Vertrauen, aber auch manche Arbeit, u. wenn ich in dieser Beziehung ehrgeizig wäre, so wäre es mir wohl nicht unmöglich, mit der Zeit im Palais ein kleines Generalvicariat zu etabliren. Indeß suum cuique.“37
Wie wichtig, ja allem Anschein nach beinahe unentbehrlich Huber für Steichele schließlich geworden war, zeigte sich Ende 1883, als jener infolge zunehmender gesundheitlicher Probleme einen längeren Kuraufenthalt antreten sollte. „Ich habe sichere Beweise, daß dem R[everendissi]mus meine Abreise sehr unlieb wäre, u. deßhalb käme es mich auch schwer an. Bei d. Kirchweihe in Rosenheim Anfangs Oktober gab es z. B. Champagner, der mir nicht blos gut mundete, sondern auch für meinen ‚Zustand’ sehr zuträglich war. Auf das hin hat er nach der Rückkehr 3 Flaschen spendirt, was viel heißen will. Als ich dann später vom Arzt mich untersuchen ließ, wovon Abreise oder Nicht-Abreise abhing, u. dann meldete, vorläufig brauche ich nicht abzureisen, bekundete er darüber eine so ungekünstelte Freude, daß sie nothwendig vom Herzen kommen mußte. Abgesehen von seinem theilnahmsvollen Benehmen gegen mich hat er auch Andern gegenüber, die es mir wieder erzählten, seither wiederholt die Besorgniß geäußert, ich möchte abreisen müssen. Darum werden Sie es mir nicht verargen, wenn ich mich nur schwer dazu entschließen könnte“, bemerkte Huber anschließend gegenüber Steinhuber38.
In der Folgezeit kam der Erzbischöfliche Sekretär in seinen Briefen an Steinhuber nicht mehr näher auf seinen Oberhirten zu sprechen, sieht man von einigen Äußerungen zu der wiederholt geplanten, letztlich aus diversen Gründen jedoch nicht zustande gekommenen Reise in die Ewige Stadt ab. Möglicherweise hatten sich die beiden nach ihrer konstruktiven, in aller Offenheit geführten Aussprache Ende 1882 derart gut arrangiert, dass sie fortan, bis zu Hubers frühzeitigem Ableben knapp vier Jahre später39, ohne nennenswerte Differenzen und Probleme miteinander auskommen konnten.
Wie dem auch sei, die hier wiedergegebenen, allesamt aus persönlichen Eindrücken, Erfahrungen und Erlebnissen resultierenden Schilderungen seines engsten Mitarbeiters liefern ohne Zweifel wertvolle, bislang so nicht bekannte Aufschlüsse über den vierten Erzbischof von München und Freising.
1 Zu Steichele (1816-1889), von 1847/48 bis 1873 Domkapitular, von 1873 bis 1878 Dompropst in Augsburg, dann Erzbischof von München und Freising: A. Landersdorfer, Antonius von Steichele (1816-1889), in: Weitlauff, M. (Hg.), Lebensbilder aus dem Bistum Augsburg. Vom Mittelalter bis in die neueste Zeit (Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 39), Augsburg 2005, 323-338 (mit Literaturhinweisen).
2 Zu Scherr (1804-1877), von 1840 bis 1856 Abt von Metten, dann Erzbischof von München und Freising: A. Landersdorfer, Gregor von Scherr (1804-1877). Erzbischof von München und Freising in der Zeit des Ersten Vatikanums und des Kulturkampfes, München 1995.
3 Zu Huber: Dr. Johann Baptist Huber (Abriß eines Priesterlebens.), in: Beilage zum Amtsblatt für die Erzdiöcese München und Freising, Nr. 1,