Geist und Leben 2/2015. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Geist und Leben 2/2015 - Группа авторов страница 5

Geist und Leben 2/2015 - Группа авторов

Скачать книгу

zur Stützung des christlichen Glaubens in der Welt; das Glauben ginge also auch ohne sie. Und vielleicht erscheint dem einen oder anderen historisch-skeptisch orientierten Menschen diese Art von Frömmigkeit eher hinderlich als förderlich für den eigenen Glauben. Das ist nicht zu bestreiten und darf auch so sein. Aber gibt es nicht ebenso viele legitime, geistgewirkte Zugänge zum Glauben wie es geistvolle gläubige Menschen gibt?

      Natürlich kann man sich fragen, ob diese textilen Heiligtümer historisch echt sind. Einige sind uralt, reichen gut belegbar bis in die Zeit Jesu hinein, sie könnten in dem Sinne historisch echt sein und sind es vermutlich doch nicht. Sie können aber, und das ist entscheidend, zum Echtwerden des Glaubens beitragen, zur Echtheit des Glaubens anregen. Sie können uns die unabweisliche Frage nach den ethischen Maßstäben und der existenziellen Entschiedenheit des eigenen Lebens vorlegen. Sie können Wegweiser sein, Wegweiser, die man nicht braucht, wenn man den Weg genau kennt. Aber nicht alle kennen den Weg genau genug.

      Etwas, was nur alle sieben Jahre gezeigt wird, ist der ständigen Verfügbarkeit und Sichtbarkeit entzogen. Um es zu sehen, muss man warten und sich innerlich ausrichten können auf den besonderen, vielleicht einmaligen Moment. Dabei wird das, was die Griechen der Antike Chronos nannten, die scheinbar mehr oder weniger gleichförmig und belanglos verstreichende Zeit, zu dem, was dieselben Griechen Kairos nannten, zum günstigen, einmaligen, vielleicht gnadenhaften Moment, in dem sich eine Wende im Glauben und im Leben vollziehen kann.

      Die Vereinmaligung des Moments der Sichtbarkeit macht aber zugleich darauf aufmerksam, dass eigentlich jeder Moment im Chronos als genutzter Moment einen Kairos zu irgendetwas darstellt, zur Umkehr aus dem falschen Trott, zum Neubeginn nach dem desaströsen Ende, zur Versöhnung nach dem bitteren Zerwürfnis, zur Hoffnung nach der tödlich lähmenden Angst. Gerade in dieser Zeit, in meiner Zeit, kann auch durch mich die Unheils- zur Heilszeit gewandelt werden. Gott wandelt auch mich, und er wandelt auch durch mich und meinen kleinen Beitrag unsere heillose Zeit in sein zeitloses Heil.

      Im Kern: Inkarnation

      Im Kern zielen alle diese textilen Erinnerungsstücke auf das christliche Proprium, auf das Alleinstellungsmerkmal des Christlichen, auf die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, auf seinen Dienst der Menschlichkeit, auf sein grausames Leiden und Sterben, auf seine Auferstehung. Die textilen Erinnerungsstücke erinnern an den Kernbestand der christlichen Botschaft und der ist konkret, geschichtlich, menschlich und darin zugleich göttlich, der ist ganz und gar irdisch und darin himmlisch.

      Sich für aufgeklärt haltende Menschen neigen dazu, die angeblich noch immer unaufgeklärten, einem Reliquienkult anhängenden Menschen zu belächeln. Karl Rahner, einer der ganz Großen in der Theologie des 20. Jhs., einer, der so abstrakt denken konnte, dass er damit viele junge Theolog(inn)en abhängte, hat aber schon vor vielen Jahrzehnten hellsichtig bemerkt: Auch die großen abstrakten Philosophien, die scheinbar so ganz auf Konkretionen und Handgreifliches oder Augenfälliges verzichten können, sind doch nur abgeblasste Mythologeme. Wir alle brauchen die Anschaulichkeit und den inhaltlichen Mehrwert, den Bedeutungsüberschuss, der in allen Narrationen steckt. Wir alle brauchen das Pack-Ende und das Packende des Konkreten, um zum Abstrakten vorzudringen. Wir alle brauchen die Handreichung des Anschaulichen, um eine Ahnung vom Unanschaulichen zu erhalten. Wir alle brauchen das Sich-Zeigen im Endlichen, um einen Schimmer vom Unendlichen, eine Ahnung von Gott zu erhaschen.

      Jetzt sind diese konkreten, geschichtlichen, menschlichen und menschlich allzu menschlichen Erinnerungsstücke für sieben Jahre wieder eingepackt. Wenn wir aber mit der christlichen Botschaft vom geerdeten Himmel, mit unserem Glauben an den Mensch gewordenen Gott an unseren Arbeits- und Ausbildungsplätzen, in unseren Beziehungen, Ehen und Familien nicht auspacken, dann können wir nicht nur diese textilen Heiligtümer ein für alle Mal einpacken und eingepackt lassen, dann können wir auch als Christ(inn)en einpacken. Also nach dem Einpacken bitte auspacken und anpacken, d.h. Zeugnis geben, und zwar mit Wort und Tat.

      A

      Lesetipp der Redaktion

      aus dem Online-Archiv:

      www.geistundleben.de

      Franz-Josef Steinmetz SJ,

      Jesus und sein Esel. Eine Betrachtung zum Palmsonntag, in: GuL 72/2 (1999), 136–140.

      Diaspora im NT

      N

       Hildegard Scherer | Bonn

      geb. 1975, Dr. theol. habil., Privatdozentin für Neues Testament an der Universität Bonn

       [email protected]

      Christliches Leben in der Diaspora

      Neutestamentliche Perspektiven

      Diaspora: So deutet eine junge, engagierte Katholikin ihre Situation, als sie hört, in ihrer süddeutschen Bischofsstadt sei die Katholikenzahl unter 50 % gefallen. Eine Schrumpfung. Eine numerische Minderheit, die weitere Fragen aufwirft: Fällt damit nicht über kurz oder lang der öffentliche Feiertag Mariä Himmelfahrt? Alte Selbstverständlichkeiten stehen plötzlich zur Disposition. „Diaspora“ bedeutet alltagssprachlich den Minderheitenstatus und die Marginalisierung einer Glaubensgruppe. Diese muss von ihrem kulturellen Zwischenraum aus verhandeln, sich behaupten und anfragen lassen. Ohne Zweifel ein mühsamer Weg. Nachvollziehbar sind Beklemmung und Zukunftssorge, die Christ(inn)en hierzulande anficht, wenn sie ihre Kirche schrumpfen sehen.

      Allerdings: Global wie historisch konnten und können Christ(inn)en anderswo von einer solchen „Diasporasituation“ nur träumen – von Konkordat bis Körperschaftsrecht steht die Kirche hierzulande institutionell doch auf festem Grund. Die Kirchensteuergemeinschaften wirtschaftsstarker Staaten binden Millionen Menschen als „Fördermitglieder“ ein, und engagierte Christ(inn)en erfahren an ihren Wirkungsorten Anerkennung. Im Nahen Osten erleben wir z.Z. völlig andere Dimensionen von „Diaspora“. Menschen bezahlen sie mit Heimat, Habe oder Leben. Wie anders steht christliche „Diaspora“ da in Staaten ohne verfasste Religions- und Meinungsfreiheit, oder auch dort, wo es an Infrastruktur und Bildung mangelt?

      Wir stoßen auch zu Beginn der christlichen Bewegung auf solche äußerst prekären Ausgangsbedingungen. „Minderheitensituation“ ist das täglich Brot der wenigen christlichen Gruppen – doch gerade in einer solchen „Diaspora“ bringen sie Texte voller spiritueller Ressourcen hervor. Insbesondere die situationsbezogene Briefliteratur vererbt uns Paradigmen für das Leben in „Diaspora“. Doch bevor wir nach solchen Verhaltensoptionen fragen, zunächst ein Blick auf den Streuungsvorgang am Anfang der christlichen Bewegung.

      „Diaspora“: gewaltsam zerstreut oder aktiv streuend?

      Hält man sich an Begriff und Phänomen von diaspora/diaspeiro in Septuaginta2 und Neuem Testament und somit an die Ursprünge unseres griechischen Lehnwortes, so erstaunt zunächst einmal der differenzierte Sprachgebrauch. Diaspora, „Zerstreuung“ bzw. diaspeirein, „zerstreuen“ spiegeln teilweise3 einen Leidenszustand: Gewaltsam löst ein Mächtigerer eine Gruppe von Unterlegenen auf und „zerstreut“ sie räumlich – eine Art Kriegsfolge, wie Ez 29,12 oder Dtn 28,25 sie beschreiben; eine Machttat, wie sie auf den Sturz des Turms zu Babel folgt (Gen 11,8f.). In der prophetischen Gottesrede

Скачать книгу