Geist und Leben 2/2015. Группа авторов

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Bilder der „Zerstreuung“ sind das Reisig im Wind (Jer 13,24) oder die herrenlosen Schafe in den Bergen (1 Kön 22,17).

      Diese negative Diaspora-Konzeption denkt vom Ideal eines räumlichen Lebenszusammenhangs aus, der schmerzhaft gestört wird. Erst mit dem Wiedergewinn von Lebensort und Souveränität ist der Leidenszustand behoben. Ohne Zweifel nährt sich diese Konzeption aus tatsächlichen Verlust- und Unterdrückungserfahrungen unter fremder Herrschaft.

      Was die realgeschichtliche Entstehung der jüdischen Diaspora im Osten und im Mittelmeerraum betrifft,4 steht hinter ihr sicher häufig eine erzwungene Umsiedlung nicht nur als Folge einer militärischen Unterwerfung, sondern auch durch Versklavung und Verkauf oder wirtschaftliche Not. Doch ist keineswegs auszuschließen, dass sich so manche auch mehr oder minder freiwillig in neue Umgebungen begaben – und dort blieben. Die ersten Christ(inn)en, v.a. die antiochenisch-paulinischen, haben eine Streuung der christlichen Gruppen geradezu gesucht – mit missionarischer Dynamik.5 Zwar liegt, wie uns die Apostelgeschichte aufzeigt, auch den ersten Aufbrüchen weg von der „Jerusalemer Urgemeinde“ eine Leidenssituation zu Grunde: Die Verfolgung der Hellenist(inn)en, namentlich des Stephanus, führt zur Mission u.a. in Samarien und Antiochia (Apg 8,1.4; 11,19). Doch von dort aus brechen schon bald Barnabas und Paulus nach Zypern und ins südliche Kleinasien auf (Apg 13). Paulus und seine Mitarbeiter(innen) legen in der Folge tausende von Kilometern zurück und hinterlassen in den Metropolen von Mazedonien, Griechenland und Kleinasien nach einem meist kurzen Gründungsaufenthalt winzige Zellen – schätzungsweise 40–80 Personen – von Jesus-Anhänger(inne)n.

      Die christlichen Missionare(n) haben offensichtlich nicht an geschlossene Flächen gedacht oder Mehrheitsverhältnisse gekippt. Sie haben offensichtlich nie aus einer geschützten „Hausmacht“ heraus agiert, nie ein Interesse besessen, autarke Strukturen zu entwickeln. Gerade mitten in der „anderen“ Umgebung haben die Christusgläubigen in entscheidenden Bereichen einen Kontrapunkt zum Mainstream gelebt:6 z.B. im Bekenntnis zum einen Gott Israels, der über alles irdisch Erfahrbare hinaus einen letzten Rückhalt bietet, sich als Herr „jeden Geschöpfs“ erweist (vgl. Röm 8,31–39); in der Loyalität zum erhöhten „Herrn“ Jesus Christus; in den daraus folgenden sozialen Entschränkungen und Neuorganisationen im „einen Leib“ (Gal 3,27f.; 1 Kor 12; Röm 12,4–8); in der Relativierung irdischer „Retter“ (vgl. Lk 2,11) und ihrer Machtstrukturen (Mk 10,42–45). Paulus beschreibt dies mit dem Begriff einer „neuen Zeit“ („Äon“, z.B. Gal 1,4; vgl. 6,15; Röm 12,2), die sich mitten in die „alte“ schiebt, als Leben nach dem „Willen Gottes“. Und gerade diese offen gelebte Alternative machte die christlichen Gruppen den einen attraktiv, den anderen unerträglich.

      Die Gruppen können kaum auf Identitätstraditionen bauen, sobald typisch jüdische Abgrenzungssymbole wie Beschneidung oder Reinheitsgebote gefallen sind. Sie basieren allein auf entschiedenen Individuen. Damit sind sie aber auch unabhängig von geographischen Zentren, differenzierten Institutionen oder weiteren Bindungen – sie sind tatsächlich universal. Christentum kann überall dort gelebt werden, wo sich bereits Einzelne in Einstellung und Verhalten verändern. Die Tauf-Initiation und der kontinuierliche Lebenskern des Herrenmahls sind an jedem beliebigen Ort mit einfachster Ausstattung möglich – mit Wasser, Brot, Wein und wenigen kurzen Formeln.

      Eine möglichst breite Streuung der Gemeinden „bis ans Ende der Erde“ (Apg 1,8) wird sogar zum Wunschziel – je mehr „Diaspora“, desto besser, könnte man für die ersten Christ(inn)en sagen. Doch bleibt auch dieses Ideal nicht ungetrübt: Christliche Gemeinden werden sich über kurz oder lang in einem Leidenszustand wiederfinden. In 1 Petr schlägt die Problematik der Minderheitensituation voll durch – die Adressat(inn)en fühlen sich wieder in „Diaspora“ (1 Petr 1,1) mit all ihren Konsequenzen. Doch liegt ihr konzeptionelles Ideal nicht in regionaler Restitution – sondern in transzendenter Transformation: Ihr angestammter Ort („Erbe“) liegt in den Himmeln. In ihrer Identität verankert sind die Angesprochenen also im göttlichen Bereich, jenseits der irdischen Strukturen – in diesen bleiben sie stets fremd und sitzen zwischen den Stühlen (vgl. 1 Petr 1,4.17; 2,11).7 Das Urchristentum hat sich also bewusst einer Minderheitensituation gestellt.

      Herausforderungen der Diaspora

      Die Christ(inn)en der Diaspora sind als Minderheit „zwischendrin“, in ständigem Alltagskontakt mit „Anderen“: Familienmitgliedern, Nachbar(inne)n, Berufskolleg(inn)en, städtischen Institutionen. Diese Begegnung, keineswegs immer solidarisch und friedlich, fordert heraus: Was tun bei machtförmiger Konfrontation? Welche Außenwirkung soll angezielt werden? Wie weit reicht die gemeinsame Basis mit den „Anderen“? Die christliche Briefliteratur zeigt mehrschichtige Antworten – exemplarisch seien hier die sog. Sendschreiben Offb 2f., Röm 12 und 1 Petr angeführt: Texte, in denen Ethos anschaulich verhandelt wird.

      Wo sind „wir“ anders? Ein Grenzdiskurs

      Ganz praktisch treibt die ersten Christ(inn)en eine Konsum-Frage um:8 Die Stadt feiert auf den Straßen mit einer festlichen Prozession, anschließend werden die geopferten Rinder gebraten. Seltener kostenloser Fleischgenuss lockt: zugreifen oder ablehnen, verzichten und auffallen? Die Geschäftsfreunde laden ein, die Kolleg(inn)en treffen sich, die Delikatesse des Abends ist ein Braten – Fleisch aus einer heidnischen Opferzeremonie: vor allen Farbe bekennen, auf keinen Fall mit „den Götzen“ in Kontakt treten? Oder den ganzen Götzenkult für Humbug halten, im Stillen dem Schöpfer danken und zugreifen? Ist Götzenopferfleisch mit dem Christsein vereinbar?

      Ein rigoroses „Nein“ kommt von den sog. Sendschreiben an die Gemeinden in Pergamon und Thyatira, Kleinasien (Offb 2,12–17.18–29; vgl. auch die Ablehnung der „Nikolaiten“ in Ephesus in Offb 2,6). Sie polemisieren gegen die falsche Lehre eines „Balaam“ bzw. der „Nikolaiten“ (2,6.14.15) und einer Prophetin „Izeabel“ (2,20).9 Die ist fix auf den Punkt gebracht: „Götzenopferfleisch essen“ und „huren“ (2,14.20)10. Ohne jegliche Interessen an deren theologischen Gründen werden die Träger(innen) dieser Position demontiert, der Kompromiss mit dem Mainstream abgelehnt.

      Warum so rigoros? Die Sendschreiben ziehen eine akute Bedrohungskulisse auf. Ephesus hat Unbestimmtes „getragen wegen meines Namens“ (2,3); Mitgliedern der „bettelarmen“ und damit ohnehin marginalisierten Gemeinde in Smyrna (2,9) steht „Leid“, konkret ein Gefängnisaufenthalt und damit de facto ein Konflikt mit politischen Institutionen bevor (2,10) – mit möglicher Todesfolge (2,10f.). Die Gemeinde in Pergamon blickt schließlich auf die Tötung des „treuen Zeugen“ Antipas zurück (2,13). Die „Überwinder“-Sprüche am Ende jedes Sendschreibens sprechen die Sprache des Kampfes – Kräftemessen, Entmachtungsversuche, Verletzung. Auch wenn die Verursacher der Repressalien nicht beim Namen genannt werden, so stehen die Zeichen auf Abgrenzung von einer als feindselig empfundenen Umgebung. Überall, wo die Sendschreiben gelesen werden, stützt die Inszenierung eines Kaiser- und Götterkults das Imperium, die Stadtgemeinschaft, den Mainstream, die aktuellen Machthaber – für die Sendschreiben mit ihrer Erfahrung von Bedrängnis und Martyrium eine mythologisch eingedunkelte („Satan“) Machtsphäre. Sich mit ihr zu kompromittieren hieße in den Augen der Sendschreiben, sie zu verharmlosen, sich um ein Stück Fleisch an sie zu „verkaufen“ – v.a. aber, an der Grundfeste des Monotheismus zu rütteln.

      Auch andere Protagonisten des Urchristentums lehnen den Genuss von Opferfleisch ab, stimmen also in der Sache überein – kommunizieren dies aber in ganz anderem Stil: Die Apostelgeschichte inszeniert eine entsprechende Auflage an Heid(inn)en als Weisung „von oben“, von einem Jerusalemer Leitungsgremium, die per Brief dekretiert wird (Apg 15,28f.). Den anspruchsvollsten Weg wählt sicher Paulus: Im (brieflichen) Dialog (vgl. 1 Kor 8–10)11 stellt er sich den Gegenargumenten – und versucht, zu überzeugen. Nicht zuletzt wirft er die Rücksicht auf die Anfechtungen des „schwachen“ Bruders in die Waagschale (1 Kor 8,1–13).

      Alltägliche

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