Geist & Leben 4/2016. Группа авторов

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Gerechtigkeit als christliches Gebot

      Das Thema der sozialen Gerechtigkeit ist ein wesentlicher Teil der christlichen Tradition. Im Alten Testament ist es womöglich am schönsten bei Micha zusammengefasst, der unmissverständlich festhält, dass der Herr uns auffordert, „Recht [zu] tun, Güte und Treue (zu) lieben (und) in Ehrfurcht den Weg (zu) gehen mit deinem Gott“ (Mi 6,8). Im Neuen Testament ist Jesus sogar noch direkter, da er darauf besteht, dass wir nicht in das Reich Gottes kommen, wenn wir nicht den Hungrigen und den Durstigen zu trinken gegeben, Fremde willkommen geheißen, die Nackten bekleidet und die Kranken oder Gefangenen besucht haben (Mt 25,31–40). Christus befiehlt uns, unseren Nächsten zu lieben (Mk 12,30f.); und die Parabel des barmherzigen Samariters (Lk 10,30–37) zeigt uns, dass uns unser Nächster in verschiedenen Gestalten begegnen kann. Als Christen, ja als Menschen, sind wir alle berufen, Gottes Liebe für die Armen und Bedürftigen, die Kranken und Verletzten in irgendeiner Weise zu offenbaren. Darüber hinaus sind das Lindern des Schmerzes unseres Nächsten und die Entwicklung unserer eigenen authentischen Menschlichkeit untrennbar miteinander verflochten, da wir unseren Nächsten wie uns selbst lieben sollen (Mk 12,31). Jon Sobrino besteht darauf, dass Menschen nur dann tatsächlich menschlich sein können, wenn sie die Befreiung derjenigen, die Unterdrückung und Niederlage erleiden, unterstützen.5

      Die vielen Theolog(inn)en, die sich damit beschäftigt haben, wie unsere Liebe für Gott eine nachweisliche Auswirkung auf die Bedürfnisse unserer Nächsten haben muss, insistieren, dass kontemplatives oder mystisches Gebet einen anteilnehmenden und barmherzigen Ausdruck in prophetischer, politischer oder ökonomischer Handlung haben muss.6 Oft ist es eine persönliche Begegnung mit extremem Leid, die solch eine theologische Reflexion hervorruft. So war es für Johann Baptist Metz und Jon Sobrino, die beide mit erschütternden Beispielen des Leides und der Unterdrückung konfrontiert wurden. Für Metz war es der Holocaust; für Sobrino die schreckliche Armut in Südamerika. Diese persönlichen Erlebnisse haben ihre Sensibilität für die schockierende Weltgeschichte der Gewalt und Unterdrückung gesteigert, und sie dazu geführt, darauf zu bestehen, dass wir größere Kenntnis von dem Leid der unschuldigen Opfer der Unterdrückung und Ungerechtigkeit haben müssen.

      Dennoch, traurigerweise – schmerzlicherweise – nehmen so viele von uns deren Notlage nicht wahr. Obwohl die Hl. Schrift uns so oft aufruft aufzuwachen, sind wir oft zu bequem und selbstzufrieden auf den Ruf Christi, andere zu lieben wie uns selbst, zu antworten. Angesichts der Aufforderung an alle Christen, wachsam für die Forderungen sozialer Gerechtigkeit zu sein, stellt sich die Frage, wie wir verantwortlich dem Ruf eines relativ einfach Lebens folgen können, der das Gebet an die erste Stelle setzt. Laufen wir hier nicht Gefahr, ein im Grunde egozentrisches Dasein mit der Aufschrift „kontemplativ“ zu vertuschen? Könnte es nicht vielmehr eine faule Ausrede sein, die den „wirklichen“ Anliegen eines christlichen Lebens aus dem Weg geht?

      Berufung oder faule Ausrede?

      Schon in seinen frühen Aufzeichnungen in einem Zisterzienserkloster adressiert Thomas Merton die übliche, aber missverstandene Ansicht, dass das kontemplative Leben lediglich eine Strategie ist, um die profane und oft beschwerliche Realität des gewöhnlichen, alltäglichen Leben zu vermeiden. Mit Nachdruck behauptet er, niemand soll das Kloster als einen Ort rechtfertigen, wo es überhaupt kein Leid gibt und wo Menschen „keine Probleme haben“. Das ist ein Mythos, eng verwandt mit jenem anderen Mythos, dass Religion selbst alle Ängste der Menschen aus dem Weg schafft.7

      Danach deutet Merton die Art der Mühen an, denen jemand, der ein kontemplatives Leben führt, begegnet: Glaube selbst impliziert ein bestimmtes Leid, und es ist ein Weg, innerem Leiden zu begegnen, keine magische Formel, um alle Probleme verschwinden zu lassen. Der Mönch bewältigt sein Leben nicht durch außergewöhnliche spirituelle Abenteuer oder dramatische und heldenhafte Großtaten. Das Kloster lehrt den Menschen, selbst Maßnahmen zu ergreifen und die eigene Gewöhnlichkeit zu akzeptieren; mit einem Wort, es lehrt ihn jene Wahrheit über sich selbst, die man „Demut“ nennt.8

      Eine weitere falsch verstandene Auffassung über das kontemplative Leben ist, dass es selbstzentriert und individualistisch ist. An anderer Stelle lehnt Merton diese Idee ab und merkt an, dass das Gebet seine Ausübenden einer Selbstsuche und der „Täuschung und Demütigung des falschen Selbst, das danach strebt, für sich alleine zu leben und Gefallen an dem ‚Trost des Gebets‘ um seiner selbst willen findet“, aussetzt.9 Diejenigen, die zu so einem Leben berufen sind, antworten auf einen Ruf, nach innen zu reisen, dem Selbst angesichts der Forderungen des innigen Dialogs mit Gott zu begegnen. Sie antworten auf einen inneren Imperativ, der sie aufruft, ein kontemplatives Leben zu gestalten.

      Mary Frohlich merkt an, dass die Authentizität dieses Imperativs durch sein Resultat sichtbar wird, durch das Ausmaß, in dem es schlussendlich in ein Leben, das Gottes Liebe ausdrückt, ausströmt.10 Während Zuschauer(innen) darauf warten, das Ergebnis zu bewerten, müssen sie geduldig sein und sich immer wieder daran erinnern, dass das kontemplative Leben ein herausforderndes ist, in dem Menschen des Gebets inneren Belastungen ausgesetzt sind, die jene, die mit profaneren Anliegen beschäftigt sind, nicht kennen. Egal, ob das kontemplative Leben in einem Kloster oder in gewöhnlichen Umständen außerhalb der Klostermauern gelebt wird, ist es keine faule Ausrede. Es ist ein Ruf. Es kann „einen Sinn für göttliche Unmittelbarkeit geben, einen Ruf, diese Unmittelbarkeit auszuleben und einen Sinn für alle Dinge und Geschehnisse als ein Durchscheinen der göttlichen Gegenwart“.11 Wie auch die physische Realität der Welt ein „Glashaus, transparent und durchscheinend für Gottes Gnade“ sein kann, so kann auch die spirituelle Realität des kontemplativen Lebens erfahren werden als etwas, das für Gottes gnädige Intervention transparent ist.12

      Diejenigen, die innerhalb monastischer Mauern oder innerhalb aktiver Gemeinschaften, die kontemplatives Leben priorisieren, leben, haben die Unterstützung einer Gemeinschaft, eine Lebensregel, die Struktur und eine sozial erkennbare Etikette geben. Diese Dinge stellen einen institutionellen Rahmen zur Verfügung, der die Selbstidentität unterstützt. Menschen, die als Kontemplative „in der Welt“ leben, brauchen oft Mut, einen Lebensstil zu verfolgen, der normalerweise von dem der meisten Menschen um sie herum abweicht. Es gibt viele Faktoren, die Menschen zum Nachdenken darüber bringen, ob sie einen kontemplativen Ruf haben, wenn sie in gewöhnlichen Umständen der Welt außerhalb einer institutionellen Umgebung leben. Einige verweisen auf ihre kontemplative Erfahrung, andere auf ihre kontemplativen Praktiken, andere wiederum auf ihren kontemplativen Lebensstil. Für manche ist es einfach die stimmigste Form, ihr Selbstverständnis zu artikulieren, indem sie sich selbst ‚Kontemplative‘ nennen.13

      Kathryn Damiano beschreibt die Erfahrung, ein kontemplatives Leben als zurückgezogene Person zu leben als eine von „relevanter Irrelevanz“.14 Das kontemplative Leben im Kontext der Ehe zu führen, erzeugt noch einmal andere Herausforderungen.15 Die kontemplative Dimension eines Lebens in einer Arche-Gemeinschaft offenbart weitere mannigfaltige Wunder dieses Lebensweges: „Auf der langsamen Spur wird man ermutigt, ein weiteres Mal hinzusehen, um die Details, die Köstlichkeit und sogar Schönheit von dem von uns als hässlich Erachteten ausfindig zu machen“.16 Nur ein Herz, das für Mitgefühl sensibilisiert und wachsam für die Schönheit in den gewöhnlichen Details des täglichen Lebens ist, kann auf diese Weise „sehen“. Ann Denham beschreibt ihr anfängliches Missverständnis eines intensiven Gebetslebens als Erwartung einiger „bequemer Plaudereien mit dem Herrn“. Lebhaft stellt sie ihre eigentliche Erfahrung des sich Öffnens für die Tiefen darin dar: „ein Durchstoßen ins Licht und eine Landschaft wie bei van Gogh; ein starker visueller Sinn für die vielschichtige Realität und ein heulender Angststurm aus einem klammen, schwarzen Loch“.17 Denham lässt jene Angst erkennen, die oft mit dem Aufgeben egobasierter Strategien einhergeht, wenn man in einen Dialog mit der Welt tritt und das Risiko auf sich nimmt, sich einem größeren Selbst zu öffnen, von dem das Ego lediglich ein Teil ist. Wie Merton konfrontiert Denham ihr inneres Leid und ihren seelischen Schmerz mit dem Glauben.

      Frohlich

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