Ruth Gattiker. Denise Schmid

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ruth Gattiker - Denise Schmid страница 5

Ruth Gattiker - Denise Schmid

Скачать книгу

OP-Kleidung mit Kopfbedeckung und Mundschutz steckt, kann sie nicht erkennen. «Bürgi, Regierungsrat», antwortet der Vermummte auf ihre Entschuldigung hin. Åke Senning und die anderen Ärzte schauen verwundert auf. Während Senning weiternäht, wettert der Gesundheitsdirektor des Kantons Zürich vom Podest herunter. Ruth Gattiker erzählt: «Die ganze Zeit schimpfte Bürgi, wir hätten nicht kommuniziert, weder in Bern noch hier in Zürich habe man etwas gewusst. Er habe auf Schleichwegen erfahren, dass diese erste Schweizer Herztransplantation stattfinde. Senning hat darauf trocken geantwortet, wir hätten andere Probleme gehabt, zum Kommunizieren sei nicht auch noch Zeit geblieben.»

      Wie hat der Regierungsrat so schnell von der Sache erfahren? Ruth Gattiker hat dazu ihre eigene Theorie. «Der Herzempfänger war ein unheimlicher Schwätzer. Ich nehme an, er hat im Taxi auf der Fahrt ins Spital verkündet, dass er jetzt dann gleich im Kantonsspital ein neues Herz bekommen werde. Und so hat sich das womöglich verbreitet, vielleicht ging es aber auch über die Spitalleitung, die davon wusste. Ich weiss es nicht genau. Senning hat gewiss nicht daran gedacht, das vorher gross anzukündigen. Politik hat ihn wenig interessiert, und Schweizer Politik schon gar nicht.»

      Die Ärzte im Operationssaal sind verwundert über die hektische Reaktion von Regierungsrat Urs Bürgi, als ehemaliger Urologe übrigens selbst Arzt. «So hoch kompliziert und speziell war diese Operation in unseren Augen nicht, aber wir waren natürlich glücklich, dass das Herz in dem wieder aufgewärmten Patienten sofort weiterschlug. Und dann kommt dieser Regierungsrat und schimpft über Politik und Kommunikation. Wir haben ihn völlig entgeistert angeschaut. Wir haben einen Patienten gerettet, das war alles», erzählt Ruth Gattiker. Bürgi aber ist Politiker. Der Umgang mit der Öffentlichkeit ist sein tägliches Brot. Die Journalisten werden als Nächstes Fragen stellen. Das ist Bürgi klar. Hinzu kommt, dass das Ganze nach einer Erfolgsmeldung aussieht, die man sich nicht entgehen lassen will. Der Regierungsrat hat für 17 Uhr eine Pressekonferenz im Hörsaal des Spitals anberaumt, bei der die Ärzte Red und Antwort stehen müssen. Niemand denkt in diesem Moment an Bernt Bernholm, der die ganze Zeit anwesend ist und die Operation mitverfolgt hat. Aufmerksam, wie der Journalist ist, hat er einen Blick in die aufgeschlagene Krankenakte geworfen, die Gattiker auf einem Gestell neben sich platziert hat und die alle wichtigen Informationen über den Herzempfänger enthält. «Ich habe den Journalisten ehrlich gesagt völlig aus den Augen verloren und die Akte im Operationssaal offen auf einem Glasgestell herumliegen lassen wie immer. Der war natürlich schlau und hat die Situation ausgenutzt. Ich war letztlich schuld daran, dass die Namen von Spender und Empfänger in die Presse geraten sind», erzählt Ruth Gattiker. Bernholm fliegt noch am gleichen Abend zurück nach Stockholm. Er hat alles Material, das er braucht, damit am nächsten Tag ein ausführlicher Artikel über die erste Herztransplantation seines Landsmanns und Freundes Åke Senning in der schwedischen Zeitung Expressen erscheinen kann.

      Die Presse macht sich an die Arbeit

      Vor der Pressekonferenz machen die Chirurgen eine kurze Pause. Es bleibt ein wenig Zeit, sich vorzubereiten. Ruth Gattiker aber muss den Operierten noch auf der Intensivstation installieren. Sie eilt von dort direkt zum Anlass. Die OP-Kleidung hat sie gegen den weissen Arztkittel eingetauscht, so wie ihre Kollegen auch. Die Journalisten stellen Fragen zum Hirntod, der damals noch nicht als übliche Todesdefinition gilt. Ausserdem wollen sie wissen, ob eine solche Organentnahme legal sei und ob man die Angehörigen um ihr Einverständnis gebeten habe. Nein, man hat die Angehörigen nicht gefragt, lautet die Antwort, und es wird mit der Verordnung über die Leichenöffnungen in Pflegeanstalten und Spitälern von 1890 argumentiert. Dort heisst es in Artikel 2, wie die Zeitung Blick tags darauf, am 15. April 1969, zitiert: «Jede Leiche darf ohne vorheriges Befragen der Angehörigen und ohne vorherige Einwilligung des Verstorbenen geöffnet werden.» Aber es ist 1969 und nicht 1890. Als diese Verordnung entstand, dachte niemand daran, dass man irgendwann Organe aus einem Menschen herausschneiden und bei einem anderen Menschen einpflanzen könnte.

      Dass sich die Zeiten geändert haben und die Sache nicht so einfach über die Bühne geht, wie die Ärzte im ersten Moment meinen oder hoffen, wird der anschliessende Medienrummel zeigen. Am Dienstag berichten die drei grossen Zürcher Tageszeitungen Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Tages-Anzeiger und Blick über das aufsehenerregende Ereignis. Die NZZ bleibt dabei gewohnt nüchtern und liefert vor allem Fakten. Relativ ausführlich geht sie auf die Frage ein, weshalb man die Angehörigen nicht um eine Einwilligung zur Organentnahme gebeten hat. Regierungsrat Bürgi habe argumentiert, heisst es, dass in der Praxis kaum Zeit bleibe, um die Angehörigen zu informieren, geschweige denn gar darüber zu verhandeln. Wenn, dann müsste man den Spender fragen, aber der sei ja meist nicht mehr in der Lage, einen solchen Entscheid zu treffen.

      «Ein grosser Tag für die Schweizer Chirurgie» titelt der Tages-Anzeiger. Der Text ist strukturiert nach den Aussagen der Beteiligten an der Pressekonferenz und beginnt mit dem Satz: «Wie ein Lauffeuer verbreitete sich am Montagnachmittag in der Stadt Zürich die Nachricht von der ersten geglückten Herzverpflanzung, welche Prof. Åke Senning am Montag um die Mittagszeit an einem 54-jährigen Kaufmann vorgenommen hatte.» Darauf wird Regierungsrat Urs Bürgi mit der Aussage zitiert, dass dieser Tag in die Geschichte der Schweizer Chirurgie eingehen werde. Anschliessend kommen die Professoren Rossier und Krayenbühl zu Wort. Dr. Linder erläutert die immunologischen Überlegungen. Professor Senning wird als wortkarg und zurückhaltend beschrieben. «Es gibt nicht viel zu erzählen. Alle Kliniken des Kantonsspitals sind beteiligt. Wir haben nichts Neues gemacht. Wir haben nichts anderes getan als das, was bei allen anderen Kliniken der Welt bei Herzverpflanzungen auch getan worden ist und was wir experimentell bereits geübt haben.» Zuletzt kommt Ruth Gattiker zu Wort. Sie berichtet, dass es keine besonderen Schwierigkeiten gegeben habe. Der Patient sei 56 Minuten an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen gewesen.

      «Mir blieb fast das Herz stehen»

      Wenig überraschend interessiert sich die Boulevardzeitung Blick vor allem für das Sensationspotenzial dieser Operation. Auf der Frontseite prangen am nächsten Tag ein Bild aus dem Operationssaal und die grosse Schlagzeile «Herzverpflanzung in Zürich». Der Artikel selbst gibt die wichtigsten Informationen wieder. Innen geht es weiter mit einem grossen Bild von Åke Senning und dem Titel «Der Mann, der in der Schweiz das erste Herz verpflanzte». Darunter zeigt ein Bild Sennings Ehefrau mit dem Telefonhörer am Ohr und der Bildlegende «‹Mir blieb fast das Herz stehen, als mir mein Mann am Telefon sagte, er habe ein Herz verpflanzt›, sagte Frau Senning». Die Herztransplantation als typische People Story. Im Artikel werden auch die vier Kinder des Ehepaars Senning erwähnt, mit Alter, Name und wo sie sich gerade aufhalten. Darunter eine Blitzumfrage des Blick bei Prominenten, ob sie ihr Herz hergeben würden. «Alle antworteten ja» und Fernsehmann Mäni Weber meint sogar «Grossartig!».

      Am Montag wurde das Herz erfolgreich transplantiert und die Presse informiert mit der Bitte, die Anonymität der Patienten zu respektieren. Am Dienstag berichten die drei Zürcher Tageszeitungen noch ohne Namensnennung über die erfolgreiche Operation und ihre Akteure. Kritisch hinterfragt wird höchstens, dass die Eltern des Spenders nicht informiert oder um eine Einwilligung gebeten wurden. Am gleichen Tag erscheint aber im schwedischen Expressen auch schon der Artikel von Bernt Bernholm. Unter dem Titel «Ich sah das neue Herz schlagen» berichtet der Journalist, der im Operationssaal stand, über den Eingriff, und nicht nur das. Er nennt die Namen der Patienten. Der Spender heisst Albert Gautschi, der Empfänger Emil Hofmann. Der Blick druckt den Text aus dem Expressen in einer Übersetzung am Mittwoch ab, und nun ist der Weg frei für eine herzzerreissende Geschichte über ein gestohlenes Herz und einen vaterlosen Einjährigen. Auf der Titelseite heisst es in grossen Lettern «Die Mutter des Neuherz-Spenders klagt an: Man hat meinem Bub das Herz gestohlen». Daneben sind Bilder von Privatdetektiv Albert Gautschi, seiner Frau Eva, die es nicht fassen kann, und des einjährigen Söhnchens Wilfried «jetzt ohne Vater» abgedruckt. Am Donnerstag dreht die Spirale weiter. Nun ist der «Herzspender-Vater muff auf die ‹gelehrten Herren›», und «Professor Senning wehrt sich: ‹Ich musste retten!›» Weiter ist von «Herzraub» die Rede.

      Der

Скачать книгу