Ruth Gattiker. Denise Schmid

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Ruth Gattiker - Denise Schmid

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Chirurgen und Studenten nach Gutdünken und Willkür ausgeräumt wird? Besteht nicht doch ein Unterschied zwischen dem Sihlfriedhof und einem Autofriedhof?»

      Die Herztransplantation in Zürich im Frühling 1969 und eine zweite im Sommer fallen zeitlich zusammen mit dem anderen grossen Ereignis dieses Jahres. Eine Woche nach Albert Hofmanns Tod setzt am 21. Juli 1969 zum ersten Mal ein Mensch seinen Fuss auf den Mond. Die Leserbriefe widerspiegeln Faszination und Unbehagen angesichts der Möglichkeiten, die der technische Fortschritt bietet und die seit jeher auffällige technische Innovation begleiten. Dass in der Machbarkeit und Erfindungsgabe auch eine gewisse Unausweichlichkeit des Fortschritts liegt, wird die Erzählung von Ruth Gattikers Geschichte und der Entwicklung von Herzchirurgie und Anästhesie zeigen. War im 19. Jahrhundert noch die Tuberkulose die Haupttodesursache, verschwindet die Krankheit mit der Entdeckung des Antibiotikums im 20. Jahrhundert. Dafür entwickeln sich, nicht zuletzt als Folge des modernen Lebensstils, die Herzkreislaufkrankheiten zur wichtigsten Todesursache.13 Das ist bis heute so, aber zahlenmässig sind die Todesfälle aufgrund von Herzkreislauferkrankungen seit Anfang der 1980er-Jahre dank der Entwicklung von Stents, Ballonkathetern, künstlichen Herzklappen und weiteren Innovationen rückläufig. Und die Entwicklungen in der Herzmedizin in den vergangenen 60 Jahren haben im Vergleich mit allen anderen medizinischen Fachrichtungen den grössten Anteil an unserer stetig gestiegenen Lebenserwartung.14

      Die zweite Herztransplantation

      Etwas mehr als eine Woche vor Hofmanns Tod hat Åke Senning am 7. Juli 1969 einem zweiten Patienten ein Herz eingepflanzt. Ruth Gattiker ist beim zweiten Mal nicht mit dabei. Auch diesmal bleiben die Namen von Spender und Empfänger nicht lange im Dunkeln, trotz «strenger Geheimhaltung im Kantonsspital», wie der Blick drei Tage darauf am 10. Juli schreibt. Genützt hat es wenig. Die Boulevardzeitung berichtet, dass sich der 46 Jahre alte Bauer Franz Büeler durch das viele Arbeiten von fünf Uhr früh bis spät in die Nacht für seine fünf Kinder die Gesundheit ruiniert habe und deshalb ein neues Herz brauche.15 Eine Fotografie zeigt den aufopferungsvollen Vater. Am 11. Juli berichtet der Blick über den Vespa-Unfall des Herzspenders Anton Imhof, eines 33-jährigen Landwirts, der «nur wenige 100 Meter vom Heimetli des Herzempfängers entfernt in Muotathal verunglückte». Doch man scheint aus dem ersten Fall etwas gelernt zu haben. «Nach langem inneren Kampf gaben die Eltern Imhof ihre Einwilligung», dramatisiert der Blick den Umstand, dass man diesmal das Einverständnis zur Herzverpflanzung bei den Angehörigen eingeholt hat.

      Auch Büeler geht es nach der Operation gut, und zwar so gut, dass ihn die Ärzte nach Hause entlassen, nicht zuletzt, weil sein Vorgänger ja schwere Pilzinfektionen im Spital eingefangen hat. Das will man nun verhindern. Bei einer Kontrolle nach drei Monaten ist das EKG nicht in Ordnung, und die Internisten deuten es wieder als Zeichen für die Abstossung. Ruth Gattiker berichtet: «Sie haben ihn daraufhin aber trotzdem wieder heimgelassen, und eines morgens lag er tot im Bett. Die Frau rief uns an und sagte, es mache nichts, denn seine letzten drei Monate seien so schön gewesen. Er habe wieder alles machen können, sei Traktor gefahren, habe die Kühe gemelkt und sei glücklich gewesen, und jetzt sei er friedlich in der Nacht gestorben. Es sei gut so, er habe ein schönes Ende gehabt. Für Senning war der Fall danach klar. Er hat gesagt, er transplantiere keine Herzen mehr. Der Ball liege jetzt bei den Immunologen. Die müssten etwas entwickeln, das die Abstossung verhindere. Letztlich waren beide Operationen Experimente am lebenden Objekt oder, besser gesagt, am todgeweihten Objekt, denn beide Patienten hatten keine Prognose mehr.»

      Ruth Gattiker drückt damit deutlich aus, worüber man im Nachgang der beiden ersten Transplantationen lieber nicht mehr sprechen möchte. Im Herbst 1969 findet ein Symposium zum Thema Transplantationen der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften statt. Der Chirurg und Spezialist für Nierentransplantationen Prof. Felix Largiadèr sagt, dass das Thema Herztransplantationen am Symposium nicht thematisiert werden durfte. Dabei wäre es in seinen Augen der Moment gewesen, um wissenschaftlich darüber zu diskutieren. Aber offenbar wollte man nicht über Misserfolge sprechen.16 Diese «Schwamm drüber»-Mentalität deckt sich mit der Beobachtung, dass auch im Jahresbericht 1969 des Kantonsspitals die Herztransplantationen kaum erwähnt werden. Im Bericht der Chirurgischen Klinik A werden zwar zwei Herztransplantationen und acht Nierentransplantationen aufgezählt, aber nur mit dem Vermerk, dass es weniger Nierentransplantationen als sonst waren wegen fehlender Spender. Im Bericht kommt das Thema Nierentransplantationen zur Sprache, zu den Herztransplantationen kein Wort.

      Anfang der 1980er-Jahre kommt mit Cyclosporin ein Medikament zur Kontrolle der Abstossungsreaktion auf den Markt. Danach werden Herztransplantationen sicherer; die Zahl nimmt stetig zu und pendelt sich ab Anfang der 1990er-Jahre bei jährlich weltweit 4000 bis 4500 Herztransplantationen ein. 2013 wurden 4477 Herzen verpflanzt. Die durchschnittliche Überlebenszeit liegt heute bei elf Jahren.17 In der Schweiz wurden in den vergangenen Jahren durchschnittlich 30 Herzen pro Jahr transplantiert. Das Scheinwerferlicht der Medien ziehen diese Operationen längst nicht mehr an. Und faktische Probleme wie der Umstand, dass es zu wenige Spenderherzen gibt, haben nicht das Potenzial, die Fantasie von Journalisten und Publikum anzuregen.

      Bedarf nach Klärung

      Zwei Themen rücken durch die Herztransplantationen ins öffentliche Bewusstsein und haben auch juristische Folgen. Zum einen geht es um die Frage, ob es die Einwilligung der Angehörigen für eine Organentnahme braucht, und zum anderen um die genaue Definition des Todes.

      Wann ist ein Mensch tot, oder, anders gefragt, wann lebt er? Das Hirn reagiert sehr empfindlich auf Sauerstoffmangel. Wird es nur wenige Minuten nicht durchblutet, stirbt es unwiderruflich ab. Solange das Hirn lebt, lebt der Mensch. Diese für uns nicht mehr aussergewöhnliche Lebens- und Todesdefinition ist in den 1960er-Jahren noch neu. Bis dahin ist ein Mensch tot, wenn sein Herz aufhört zu schlagen. Doch mit dem Aufkommen von Maschinen, welche die Körperfunktionen aufrechterhalten können und weil die Transplantationsmedizin solche Fortschritte macht, wird die Klärung des Todesbegriffs im juristischen Sinne dringend. Åke Senning und Felix Largiadèr schlagen Mitte der 1960er-Jahre der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften vor, Richtlinien zu diesem Thema zu formulieren. Die Arbeit daran ist noch im Gange, als Senning die erste Transplantation durchführt. Die Richtlinien sind zwar noch nicht festgeschrieben, aber den Ärzten sind die Bedingungen für die Diagnose Hirntod klar. Professor Krayenbühl zählt sie an der Pressekonferenz auf: 1. Der Patient ist tief bewusstlos. 2. Er weist keine Reflexe mehr auf. 3. Die Pupillen sind lichtstarr. 4. Er hat keine spontanen Bewegungen mehr. 5. Die elektrische Untersuchung (EEG) zeigt, dass keine spontane Hirnaktivität mehr vorhanden ist.18 Die neuen Richtlinien zur Definition und Diagnose des Todes erscheinen noch 1969. Darin wird der Tod als vollständiger und irreversibler Ausfall aller Hirnfunktionen definiert.19

      Zur Frage der Einwilligung der Angehörigen gibt es ein handfestes juristisches Nachspiel vor Bundesgericht. Anfang 1970 reichen die Eltern des Herzspenders, Paul und Luise Gautschi, beim Bezirksgericht Zürich eine Klage ein gegen den Kanton Zürich, Regierungsrat Bürgi sowie die Professoren Krayenbühl und Senning. Sie stellen den Antrag, «es sei festzustellen, dass die am 14. April 1969 an ihrem Sohn vorgenommene Herzentnahme zwecks Transplantation rechtswidrig gewesen sei und gegen die guten Sitten verstossen habe».20 Sie verlangen eine Genugtuungszahlung und Schadenersatz in der Höhe von 10 000 Franken. Man hätte sie als Eltern um ihr Einverständnis bitten müssen. Sie seien in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt worden. Die Klage geht durch mehrere Instanzen und wird am 3. Juli 1975 vom Bundesgericht endgültig abgelehnt. Wenn schon, dann hätte die Ehefrau – von der Gautschi aber getrennt lebte – um die Einwilligung gebeten werden müssen, hält das Gericht fest. Ausserdem hätten die Eltern versichert, dass sie die Einwilligung gegeben hätten, hätte man sie gefragt. Das Gericht erkennt keine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Kläger und auch kein besonders schweres Verschulden der Ärzte.

      Dass dennoch eine gewisse moralische Verpflichtung besteht, die Angehörigen zu fragen,

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