Migrationsland Schweiz. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Migrationsland Schweiz - Группа авторов страница 10

Migrationsland Schweiz - Группа авторов

Скачать книгу

Manchmal geht dies so weit, dass auch die Kinder und Enkel der Ausgewanderten noch die Staatsbürgerschaft des Herkunftslands besitzen. Darüber hinaus erlauben die meisten Länder ihren Auslandsbürgern, sich bei Abstimmungen und Wahlen im Herkunftsland zu beteiligen. In der nahen Zukunft könnte sich die Beteiligung der Auslandsbürger deutlich erhöhen, wenn die elektronische Stimmabgabe flächendeckend eingeführt werden sollte.

      Aus der Perspektive der normativen Demokratietheorie ist das Stimmrecht für Menschen, die nicht oder nicht mehr dem Rechtssystem eines Landes unterworfen sind, sehr umstritten. Wir zeigen in unserer eigenen Forschung am Politikwissenschaftlichen Seminar an der Universität Luzern, dass Auslandsbürgerinnen und -bürger – genauso wie Doppelbürgerinnen und -bürger – für die Demokratie in einer grenzüberschreitend verflochtenen Welt durchaus einen wichtigen Beitrag liefern, weil sie die Perspektive der «externen Anderen» in die nationale Willens- und Politikformulierung einbringen.8 Für jeden normativen Demokratietheoretiker ist aber klar, dass die Inklusion von Migrantinnen und Migranten eine wichtigere Anforderung an die heutige Demokratie ist als die Inklusion der emigrierten Bürgerinnen und Bürger. Durch das Verschenken ihrer Stimme könnten demokratiebewusste Migranten daher dazu beitragen, dass auch wirklich diejenigen, die mitstimmen sollten, auch mitstimmen können.

      Zwei der drei Autoren dieses Beitrags haben dies bereits umgesetzt: Der in der Schweiz lebende Deutsche hat sein Stimmrecht in Deutschland einer in Berlin lebenden Ausländerin geschenkt, und ihr so ermöglicht, das Ergebnis der Bundestagswahl im Jahr 2013 mitzubestimmen; die in Deutschland lebende Schweizerin gestattete es dem in der Schweiz lebenden Deutschen, seine Meinung bei drei Sachabstimmungen in Stimmen zu verwandeln. Nachahmende sind sehr erwünscht! Damit es aber nicht beim individuellen Stimmentransfer bleibt, sind insbesondere Organisatoren für eine «Electoral Rebellion» in der Schweiz gesucht.

      Joachim Blatter ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Luzern. Er lehrt und forscht zum Wandel von Regierungs- und Demokratieformen. Clemens Hauser ist Sozialarbeiter, seit 20 Jahren in der Beratung und Begleitung von Migranten tätig und Vorsitzender der Migrantenselbstorganisation Freiburger Wahlkreis 100 % e. V. Sonja Wyrsch studierte Internationale Beziehungen an der Universität Genf und arbeitet zurzeit als Projektkoordinatorin für entwicklungspolitische Bildung in Berlin.

      VORSCHLAG 3

      ANDREA SCHLENKER

      «Doppelbürger unter Generalverdacht»1 – dieser Vorwurf hat eine gewisse Tradition. Seit der Etablierung moderner Nationalstaaten wurden Menschen mit zwei Pässen mit Argwohn beäugt, da das Recht, Bürger oder Bürgerin eines Landes zu sein, lange Zeit exklusiv gedacht wurde. So versuchten internationale Normen und nationale Gesetzgebungen bis Mitte des 20. Jahrhunderts, doppelte Staatsbürgerschaft zu verhindern. In den letzten 20 Jahren hat sich dies stark geändert. Heute wird das Recht auf zwei oder mehr Pässe weltweit in immer mehr Ländern akzeptiert oder zumindest toleriert.2 In einigen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, bleibt dieses Recht jedoch sehr umstritten. Die Schweiz gehört hier für einmal nicht zu den Nachzüglern, denn sie akzeptiert doppelte Staatsbürgerschaft bereits seit 1992. Heute besitzen über 10 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer und gut 73 Prozent aller Auslandschweizerinnen und -schweizer einen zweiten Pass. Allerdings wird dieses Recht auch in der Schweiz immer wieder in Frage gestellt. Bereits 2004 lancierte die SVP eine – letztlich erfolglose – Motion zur Abschaffung der Doppelbürgerschaft.3 Und erst jüngst forderten SVP-Politiker durch Vorstösse auf nationaler und kantonaler Ebene die Aufhebung des Rechts, gleichzeitig stimmberechtigter Bürger verschiedener Staaten zu sein.4

      In der Debatte um Doppelbürgerschaft wird von deren Gegnern immer wieder argumentiert, man könne nicht zwei Staaten gegenüber loyal sein; doppelte Staatsbürgerschaft unterminiere die Integration, den nationalen Zusammenhalt und die Demokratie.5 Die Befürworter hingegen betonen, dass die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft ein Willkommenszeichen gegenüber Zuwanderern sei, indem ihre Bindungen an das Herkunftsland anerkannt würden; sie erhöhe die Einbürgerungswilligkeit und befördere dadurch die politische Integration im Aufenthaltsland.6 Befürchtungen wie auch Hoffnungen, die mit doppelter Staatsbürgerschaft verbunden sind, beruhen häufig auf Spekulationen.

      Wie aber sieht es mit der empirischen Evidenz aus? Sind Doppelbürger tatsächlich weniger loyal gegenüber der Schweiz, identifizieren sie sich weniger mit ihr und beteiligen sie sich weniger politisch? Und wie sieht es mit dem transnationalen oder gar kosmopolitischen Engagement von Doppelbürgern aus? Aktuelle Studien, die auf Umfragedaten unter Schweizer Doppelbürgerinnen und -bürgern im In- und Ausland beruhen, liefern dazu aufschlussreiche Hinweise. Sie legen nahe, dass doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaft die politische Loyalität gegenüber diesen Staaten nicht schwächt. Im Gegenteil: Gerade auch aus einer transnationalen Perspektive bringt sie ein Mehr an Loyalität.

      EXKLUSIVE UND INKLUSIVE ZUGÄNGE ZUM STAATSBÜRGERSCHAFTSKONZEPT

      In der Debatte um doppelte Staatsbürgerschaft stehen häufig die Auswirkungen auf die politische und soziopsychologische Integration von Eingewanderten in ihr Aufenthaltsland im Mittelpunkt. Weniger prominent diskutiert, letztlich aber ebenso relevant sind die Konsequenzen für die Bindung an das Herkunftsland und das dortige Engagement. Wie man die Auswirkungen eines zweiten Passes auf Integration und Demokratie im Herkunfts- und im Aufenthaltsland bewertet, hängt eng mit der eigenen Vorstellung von nationaler Identität, Loyalität und Zugehörigkeit zusammen. Werden diese Konzepte singulär und exklusiv gedacht, geht man von einem Trade-off aus: Mehrfachzugehörigkeiten führen aus dieser Perspektive zwangsläufig zu weniger Identifikation und Beteiligung im Aufenthaltsland oder zu einer entsprechend reduzierten Bindung an das Herkunftsland. Doppelte Staatsbürgerschaft ist aus dieser Sicht eine Form von Bigamie, die durch die vorhandene «Exit-Option» Patriotismus untergräbt. Auch rationalistische und weniger identitätsbezogene Argumente bauen darauf auf, dass sich Individuen aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen nur in einem Land sinnvoll politisch beteiligen könnten; Mitglieder mehrerer politischer Gemeinschaften konzentrierten ihre Anstrengungen in der Regel auf ein Land und könnten ihrer Verantwortung zwei Ländern gegenüber nicht gerecht werden.7 Doppelte Staatsbürgerschaft verringert aus dieser Sicht die politische Identität und das Engagement, da Aufmerksamkeit, Motivation und Loyalität auf zwei Länder aufgeteilt werden müssten. Diese Perspektive kann als traditionell bezeichnet werden, da sie – ganz im Sinne des Nationalstaatenkonzepts – exklusive Zugehörigkeit und daher eine Loslösung vom Herkunftsland und vollständige Assimilation im Aufenthaltsland erwartet.8

      Die Befürworter doppelter Staatsbürgerschaft argumentieren anders. Sie gehen davon aus, dass viele Menschen heute multiple soziale Identitäten haben und sich transnational engagieren und binden können. Mehrfachzugehörigkeiten müssten deshalb keine negativen Auswirkungen haben – im Gegenteil: Wird die Vergangenheit der Eingewanderten anerkannt, die Bindung an ihr Herkunftsland akzeptiert, so sei dies ein wichtiges Willkommenszeichen des Aufenthaltslands und ein Akt der Anerkennung, was wiederum Zugehörigkeitsgefühle und politisches Engagement fördere.9 Die Möglichkeit, in mehreren Ländern vollwertiges Mitglied zu sein, erhöhe das Selbstwertgefühl Migrierender und damit das Interesse und die Bindung an das Aufenthaltsland, ohne dass ihr Engagement im Heimatland reduziert würde.10 Aus dieser transnationalen Perspektive hat doppelte Staatsbürgerschaft keinen negativen Einfluss auf die politische Integration, weder im Aufenthaltsnoch im Herkunftsland. Sie steigert vielmehr Identifikation und Partizipation in beiden Ländern.11

      Eine dritte Perspektive nimmt das Potenzial doppelter Staatsbürgerschaft und mögliche Konsequenzen

Скачать книгу