Migrationsland Schweiz. Группа авторов

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Grenzen und könne daher Grundlage für komplementäre, kosmopolitische Orientierungen sein. Tourismus und global verbreitete Medien ermöglichen den Kontakt mit unterschiedlichsten sozialen, kulturellen und politischen Akteuren, doch bei Migrierenden, die freiwillig oder unfreiwillig ihren Lebensmittelpunkt in ein anderes Land verlegen, ist dieser Kontakt viel intensiver. Potenziell führen ihre transnationalen sozialen Kontakte und Netzwerke daher auch zu mehr kosmopolitischen Einstellungen und Identitäten. Das müssen sie aber nicht in jedem Fall: Zwei Pässe sind häufig auch schlicht eine praktische Sache, und deren Besitz muss nicht zwangsläufig mit tieferen Zugehörigkeitsgefühlen verbunden sein. Ob Doppelbürger eine kosmopolitische Avantgarde darstellen, ist daher letztlich eine offene Frage.

      EMPIRISCHE EVIDENZ

      Durch Studien belegt ist hingegen, dass die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft im Aufenthaltsland mit tieferen Hürden für eine Einbürgerung einhergeht und dadurch zu höheren Einbürgerungsraten führt.12 Erst jüngst konnte eine Studie für die Schweiz auch nachweisen, dass Einbürgerung die politische Integration von Eingewanderten positiv beeinflusst.13 Zwei weitere Studien untersuchten, ob doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaft zu weniger Integration im Aufenthaltsland führt.14 Grundlage waren Daten zweier Online-Umfragen, die 2013 und 2015 im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekts durchgeführt wurden.

      In der ersten Umfrage wurden Daten zur politischen Identität und zum Engagement unter Doppelbürgern sowie unter Kontrollgruppen in der Schweiz erhoben. Die zweite Umfrage ergänzte diese Daten, indem Auslandschweizer mit und ohne zweiten Pass in acht Ländern weltweit befragt wurden. Während Identifikation anhand von kognitiven Selbstbeschreibungen, emotionalen Zugehörigkeitsgefühlen sowie Solidaritätsäusserungen gemessen wurde, galten als Kriterien für den Grad an politischer Beteiligung Bekundungen politischen Interesses und Wissens, Wahlbeteiligung sowie nichtelektorale Formen politischer Beteiligung. Diese Indikatoren können auch als Formen von Loyalität interpretiert werden, denn Loyalität ist einerseits eine affektive Bindung15 und andererseits eine Haltung, die gegenüber einer Sache verpflichtet.16 Die Umfrage in der Schweiz wurde unter 1764 eingebürgerten und autochthonen Schweizerinnen und Schweizern mit und ohne zweiten Pass sowie unter Ausländerinnen und Ausländern aus Deutschland, Frankreich, Italien und dem Kosovo mit dauerhaftem Aufenthalt in der Schweiz durchgeführt.

      Das Ergebnis der Studie: Doppelbürger unterscheiden sich im Ausmass ihrer Loyalität gegenüber der Schweiz nicht von Schweizern mit nur einem Pass.17 Es gibt keinen signifikanten Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern, weder im Ausmass der Identifikation noch im Ausmass der politischen Beteiligung.18 Ansässige Ausländerinnen und Ausländer beteiligen sich hingegen deutlich weniger an Schweizer Politik. Direkt gefragt, in wessen Interesse sie sich politisch beteiligen, antworteten Doppelbürger sogar signifikant häufiger als Einfachbürger, Schweizer Interessen zu berücksichtigen. Das Einwanderungsland Schweiz scheint durch die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft somit eher zu gewinnen als zu verlieren, nicht zuletzt, weil sie die ansonsten schon mit grossen Hürden verbundene Einbürgerung erleichtert.

      Wie sieht es bei Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern im Ausland aus? Findet sich hier jene oft unbegründet vermutete Illoyalität gegenüber der Schweiz? Die Ergebnisse der Umfrage unter Auslandschweizern liefern wiederum keinen Beleg für die traditionelle Perspektive. Aufschlussreich ist ein Vergleich von 2559 befragten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern mit und ohne zweiten Pass in den vier für Schweizer Auswanderer beliebtesten Zielländern Deutschland, Frankreich, Italien und den USA.19 Die Untersuchung ergab, dass jene Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die nebst dem Schweizer auch den Pass ihres Aufenthaltslands haben, sich etwas weniger mit der Schweiz identifizieren. Hierbei scheint jedoch weniger der formale Status relevant zu sein als vielmehr die Bereitschaft, sich mit einem Land überhaupt zu identifizieren. Denn interessanterweise identifizieren sich jene Doppelbürger, die sich ihrem Aufenthaltsland zugehörig fühlen, wiederum auch mehr mit der Schweiz als jene, die dies nicht tun. Dasselbe gilt für die politische Beteiligung in der Schweiz. Engagieren sich Auslandschweizer in ihrem Aufenthaltsland, so werden sie als Schweizer Bürger nicht weniger loyal, da sich gerade jene Auslandschweizer in ihrem Heimatland einbringen, die sich zugehörig fühlen und informiert sind, unabhängig davon, ob sie Doppelbürger sind.

      Identifikation mit und politische Beteiligung im Aufenthaltsland scheinen also positiv mit äquivalenten Gefühlen und Aktivitäten im Herkunftsland verbunden. Ein zweiter Pass und Loyalität zum Heimatland gehen Hand in Hand, Loyalität gegenüber dem Aufenthaltsland einerseits und dem Heimatland andererseits ebenfalls. Entscheidender als der formale Status scheint für eine Demokratie daher die Frage zu sein, ob sich Doppelbürgerinnen und Doppelbürger generell zugehörig fühlen, ob sie sich für Politik interessieren und sich aktiv einbringen. Ist dies der Fall, tun sie es in der Regel sowohl in ihrem Aufenthalts- als auch in ihrem Herkunftsland. Die Studie bestätigt also eher die transnationale Perspektive als die traditionelle, die von einer Abnahme politischer Identität und Beteiligung bei Doppelbürgerschaft ausgeht.

      Und wie steht es um die Förderung kosmopolitischer Einstellungen und Identitäten durch doppelte Staatsbürgerschaft? Die Umfrageergebnisse der Studie in der Schweiz mit Blick auf kosmopolitische Einstellungen wie Akzeptanz kultureller Diversität, Einwanderung und transnationale Rechte, Identifikation und Solidarität mit Europa oder als Weltbürger sowie globale Formen politischer Partizipation zeigen, dass Doppelbürgerinnen und Doppelbürger sowie Ausländerinnen und Ausländer eher kosmopolitische Einstellungen aufweisen als Schweizerinnen und Schweizer mit nur einem Pass. Im Hinblick auf universale Identitäten und Solidarität unterscheiden sich Doppelbürgerinnen und Doppelbürger nicht signifikant von Einfachbürgern, doch beteiligen sich jene mit zwei Pässen signifikant mehr an globaler Politik als Einfachbürger. Doppelbürger scheinen also nicht in jeder Hinsicht eine kosmopolitische Avantgarde zu sein. Als bisweilen vermehrt global aktive Bürger tragen sie jedoch durchaus zu kosmopolitischer Bürgerschaft bei.

      GEWINNE FÜR DIE SCHWEIZ

      Die wenigsten Länder gewähren Ausländerinnen und Ausländern das (nationale) Wahlrecht. Einbürgerung ist insofern die einzige Möglichkeit, um die Unterschiede bezüglich politischer Mitbestimmung zwischen der ansässigen und der wahlberechtigten Bevölkerung eines Landes zu nivellieren. Mit einem Ausländeranteil von 24,3 Prozent sind die Unterschiede in der Schweiz im internationalen Vergleich besonders hoch.20 Einbürgerungshürden sollten so weit wie möglich abgebaut werden, statt sie durch Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft weiter zu erhöhen. Denn die Schweiz, so haben die Studien gezeigt, gewinnt durch die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft mehr als sie verliert: auf nationaler Ebene, indem sie politische Identifikation und Beteiligung der Eingewanderten sowie deren Integration insgesamt befördert, und aus transnationaler Sicht, indem Mehrfachzugehörigkeiten das Bewusstsein für globale Zusammenhänge erhöhen und dies wiederum in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess auf nationaler Ebene eingespiesen wird.

      Der Generalverdacht gegenüber Doppelbürgern, sie seien weniger loyal, lässt sich also zumindest bezogen auf die Schweiz klar zurückweisen. Die Akzeptanz doppelter Staatsbürgerschaft führt nicht zu halbierten, sondern zu gestärkten Loyalitäten, jedenfalls bei denjenigen Personen, die politische Loyalität und demokratisches Engagement zeigen. Transnationale Loyalitäten sind nicht nur möglich, sondern können sich sogar gegenseitig verstärken und sind darüber hinaus in der Regel mit kosmopolitischen Loyalitäten verbunden. Die Pluralisierung von Bürgerschaftsrechten, -identitäten und -praktiken verlangt zumindest Schweizerinnen und Schweizern keine Entweder-Oder-Entscheidung ab. Da doppelte Staatsbürgerschaft die legale Vorbedingung für gleichzeitiges Engagement in zwei Ländern ist, hat sie zu Recht eine zentrale Funktion für transnationale Bürgerschaft und Demokratie.

      Die Studien zeigen allerdings auch, dass zu hohe Erwartungen an normative Regelungen nicht angebracht

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