Leitfaden für das Kommunale Krisenmanagement. Andreas Hermann Karsten
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Nach Boin et al. (2017) ist Krisenmanagement eine Abkürzung für eine Reihe von miteinander verbundenen und außergewöhnlichen Herausforderungen für Verwaltung und Politik. Durch eine Kombination der folgenden Aufgaben wird ein effektives Krisenmanagement erreicht, wenn:
eine sich abzeichnende Krise schnell erkannt wird,
die Einsatzkräfte verstehen, was passiert,
kritische Entscheidungen von den richtigen Personen getroffen werden,
die Bemühungen der Einsatzkräfte aufeinander abgestimmt sind,
die Verwaltung mit den Bürgern kommuniziert wird,
ein geeignetes Rechenschaftsverfahren existiert
und die Beteiligten bereit sind, gemeinsam die Lehren aus dieser Krise zu ziehen.
[21]Keine dieser Aufgaben ist einfach.
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Merke: Als politisch verantwortliche Führungskraft sollten Sie stets aktiv und nicht reaktiv sein. |
Für die Bewältigung von Krisen, die in die Zuständigkeit der Kommunen fallen, müssen in der Regel eine Vielzahl von staatlichen und privaten Organisationen, deren Arbeitsweisen vollständig unterschiedlich sind, eingebunden geführt werden (siehe Bild 3): z.B. Feuerwehren, Polizei, Verwaltung, Hilfsorganisationen, Bundeswehr, Firmen (speziell der Kritischen Infrastrukturen), Spontanhelfer und die betroffene Bevölkerung. Die letzten beiden Gruppen bilden sich erst während Krise, weshalb Vorabsprachen mit ihnen nicht möglich sind.
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Merke: Sie müssen der Leim sein, der alle Akteure in der Krise zusammenhält! |
Führen von Menschen bedeutet heute in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft, die Menschen dazu zu motivieren, dass zu tun, was man als Führungskraft möchte. Dazu sind die Bemühungen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auf das gemeinsame Ziel auszurichten: Sie sind zu koordinieren und ihr Umfeld ist so zu kultivieren, dass sie ohne Druck auf das gewünschte Ziel zusteuern. Aus dem preußischen »Führen und Leiten« (im Englischen Command and Control – C2) ist »Koordinieren und Kultivieren« (im Englischen Coordination and Cultivation – C2) geworden (McChrystal et al., 2015). Die Führungsperson muss jede Möglichkeit nutzen, die Situation für die betroffene Bevölkerung zu verbessern. Und falls sie solche Möglichkeiten nicht findet, dann muss sie sie erzeugen.
[22]Bild 3: Zehn-Säulenmodell einer resilienten Gesellschaft [zurück]
Wie die Analysen des U.S. Kongresses zu den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York zeigen, steigt ein Mehr an Einsatzkräften, Ressourcen, Informationen und Führen und Leiten nicht immer die Effektivität der Gefahrenabwehr. Die Covid-19-Krise oder 9/11 waren ein Versagen der Vorstellungskraft und des rechtzeitigen Erkennens der aufkommenden Krise. Und die Gefahrenabwehr nach dem Hurricane Katrina ein Scheitern der Initiative und ein Scheitern der Führung (Crosweller, 2015). Krisen sind leichter zu bewältigen, wenn alle Akteure sich entsprechend vorbereiten und somit die Gesellschaft resilienter wird. Die Menschen dazu zu motivieren, ist allerdings schwieriger als in der eigentlichen Krise – Menschen sind durch Angst leichter zu mobilisieren als durch Hoffnung (Rose, 2019).
Trotzdem werden die heutigen und besonders die zukünftigen Krisen ohne eine entsprechende Vorbereitung der gesamten Gesellschaft nicht zu meistern sein. Als politisch verantwortliche Führungskraft werden Sie Krisen nur meistern, wenn Sie in der Lage sind,
in hoch komplexen und dynamischen Situationen effektiv und effizient zu handeln,
neue, sich ggf. schnell wechselnde untereinander konkurrierende Prioritäten zu erkennen, entsprechend darauf zu reagieren und
unerwartete Blockaden zu überwinden.
Sie und Ihre Initiativen sind gerade dann gefordert, wenn die vorgehaltenen Kapazitäten zur Krisenbewältigung überfordert sind und wenn die üblichen Systeme und Prozesse ineffektiv werden. Dann müssen Sie die Kreativität und die Innovationskraft der gesamten Gesellschaft aktivieren und nutzen. Sie müssen die entsprechende Notwendigkeit dazu übermitteln und ein gemeinsames Situationsbewusstseins erzeugen (vgl. Kapitel 10.1). In Krisen reicht es in der Regel nicht aus, Einsatzplanungen für »normale« Katastrophen auszuweiten. In Krisen herrschen andere Regeln als im üblichen Leben (vgl. Kapitel 7).
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[23]Info: In diesem Buch soll folgende Unterscheidung gelten: Notfall: Ein Ereignis, dass tagtäglich vorkommt und mit den Standardroutinen bewältigt werden kann (z.B. Feuerwehr- oder Rettungsdiensteinsatz, Streik im öffentliche Dienst, IT-Ausfall) Katastrophe: Ein großer Notfall, welcher eine besondere Koordination bedarf und auf die sich die Verwaltung vorbereitet hat. Krise: Ein Katastrophe, die die Verwaltung unvorbereitet trifft. |
In der Krise muss das Ziel eines jeden Krisenmanagements sein, vom Reagierenden zum Agierenden zu werden, d.h. »vor die Lage« zu kommen. Das bedeutet, dass die eigenen Handlungen das Umfeld so beeinflussen, dass sich die Krise in die gewünschte Richtung entwickelt. Führung ist heute mehr denn je auch deshalb erforderlich, weil sich Krisen aufgrund der schnellen und digitalisierten Kommunikation immer weiter dynamisieren. Krisen werden nur dann bewältigt und nicht nur überstanden, wenn Sie als politisch verantwortliche Führungskraft in der Lage sind, die Bevölkerung kommunikativ zu erreichen, um sie zu kurz-, mittel- und langfristigen, individuellen und kollektiven Maßnahmen zur Bewältigung der Krise zu animieren.
In Krisen besteht der Wunsch nach Einfachheit in einer komplexen Welt (was häufig zu Verschwörungstheorien führt) sowie das Bedürfnis nach Gewissheit inmitten des Chaos und unseren oft widersprüchlichen Wünschen nach Autonomie einerseits und Führung andererseits. Krisen sind Ausnahmesituationen, die besondere Anstrengungen zur Bewältigung bedürfen. Stellen und fordern Sie deshalb ständig hohe Ansprüche an sich selbst und an die Ihnen unterstellten Akteure – Krisen bedürfen eine Top-Leistung aller Akteure. Dazu müssen Sie den Ihnen unterstellten Akteuren den Rücken freihalten. Diese haben schon genug um die Ohren und Querschüsse von außen vermindern nur ihre Leistungen.