Die Naturforschenden. Группа авторов

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aus. Obwohl sich Jean de Charpentier spätestens seit 1815 mit der Frage nach der Herkunft ortsfremder Felsblöcke konfrontiert sah, befasste er sich erst ab Anfang der 1830er-Jahre damit. Dabei erwies er sich als bestens mit den zeitgenössischen Theorien zur Erdgeschichte vertraut. Konsequent versuchte er, seine und Venetz’ Beobachtungen mit dem damals aktuellen Forschungsstand in Einklang zu bringen. Im Nachhinein betrachtet, bewegte er sich damit in bekannten Bahnen. Seinen Überlegungen fehlten weitgehend konzeptionelle Neuerungen. So gesehen erwiesen sich die unkonventionellen Gedanken seines Freundes Ignaz Venetz zu einer Vergletscherung Nordeuropas oder zu astronomischen Ursachen48 einer globalen Abkühlung des Klimas als weiterführender. Doch stellt sich die Frage, ob die These eines alpinen Supergletschers ohne diese Zugeständnisse an den vorherrschenden Interpretationsrahmen der damaligen Forschung überhaupt Beachtung gefunden hätte. Die vorangehenden Arbeiten von Esmark hatten ohne solche Anknüpfungspunkte kaum Widerhall in den deutsch- und französischsprachigen Ländern gefunden.

      Schliesslich musste de Charpentier erleben, wie Louis Agassiz ihm durch sein Vorpreschen bei der Publikation seines Buchs die Schau stahl. Dadurch vermochte Agassiz die Eiszeittheorie entsprechend seinen naturgeschichtlichen Vorstellungen zu formulieren und mit seiner Person zu verknüpfen. Hier liesse sich die Frage stellen, wie gerecht die Forschung und die Zuschreibung wissenschaftlicher Leistungen sind. Jean de Charpentier seinerseits zeichnete sich durch ein hohes Mass an Integrität aus und achtete gewissenhaft darauf, die Verdienste anderer Naturforscher zu würdigen. Die Rolle seines Freundes Venetz als Anreger seiner Forschungen hob er zeitweise bis in den Titel seiner Publikationen hervor. Sorgfältige Beobachtungen und Feldstudien waren ein weiteres Merkmal seiner Arbeit als Forscher.

      Bei aller Zeitgebundenheit Jean de Charpentiers dürfte seine wichtigste Leistung sein, dass der Gedanke grossräumiger Vergletscherungen in den deutsch- und französischsprachigen Ländern den Weg in die wissenschaftliche Agenda fand. Ebenso war er daran beteiligt, das Thema im englischen Sprachraum zu etablieren. So sind die pathetischen Verse in einem Gedicht des Geologen Arnold Escher von der Linth (1807-1872) über seinen Freund de Charpentier durchaus zutreffend: «Dieser wandte unsern Blick in die ferne Zeit hinaus, wo die hohe Gletschermasse reichte bis zur Bergterrasse […]. Der was anfangs schien vermessen, allen machte licht und klar.»49

      FLAVIO HÄNER

      WIE DIE NATUR IN DIE STÄDTE KAM

      Augustin-Pyramus de Candolle und die Entstehung der naturhistorischen Museen in der Schweiz

      Im frühen 19. Jahrhundert entstanden nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa neue Bauwerke, in denen Menschen die Natur studieren konnten, ohne dazu in die Natur hinausgehen zu müssen. Hierzu gehören die botanischen Gärten wie auch die ersten naturhistorischen Museen. Die Naturforschenden brachten hier die Gegenstände zusammen, die sie in der Natur gesammelt hatten, gaben ihnen Namen, klassifizierten und arrangierten sie. In den künstlich geschaffenen Räumen strebte man danach, die Natur als ein geordnetes System darzustellen. Doch die Einrichtung solcher Anstalten geschah nicht ohne Schwierigkeiten. Zum einen musste eine Vielzahl von Objekten aus der Natur in die Städte verfrachtet werden. Zum anderen mussten die Naturforschenden die Öffentlichkeit, also die Politik und auch die breite Gesellschaft, vom Nutzen und Zweck des Sammelns und Ausstellens von Objekten aus der Natur überzeugen. Gleichzeitig galt es, die Naturforschung überhaupt als eine eigenständige Wissenschaft zu etablieren.1

      Eine der zentralen Figuren, die sich in der Schweiz für die Errichtung von botanischen Gärten, naturhistorischen Museen und damit für eine Modernisierung der Naturwissenschaften einsetzte, war der namhafte Genfer Botaniker Augustin-Pyramus de Candolle (1778-1841). In der Wissenschaftsgeschichte ist de Candolle vor allem für die Entwicklung eines neuen Klassifikationssystems für Pflanzen bekannt, auf das sich etwa auch Charles Darwin bezog.2 Hier soll seine Rolle bei der Entwicklung einer modernen naturwissenschaftlichen Infrastruktur in der Schweiz näher beleuchtet werden. Er und seine Zeitgenossen setzten sich dafür ein, dass sich die Naturforschung in der Schweiz von einem privaten Freizeitvergnügen wohlhabender Patrizier- und Magistratsfamilien zu einem öffentlichen und staatlich getragenen Projekt wandelte.

      DIE SCHWEIZ, DER GARTEN EUROPAS

      Vor dem Hintergrund der Romantik und der aufblühenden Naturphilosophie avancierte die Schweiz im 18. Jahrhundert zu einem der beliebtesten Reiseziele für Naturliebhaber aus ganz Europa. Die unwegsamen Gebirge mit eisbedeckten Gletschern wurden nicht mehr als Schreckbilder und öde Wildnis empfunden. Gemeinsam mit den tiefen Tälern, waldbedeckten Hügeln und unzähligen Flüssen, Bächen und Seen mit ihren Auen- und Uferlandschaften wurde die schweizerische Landschaft zunehmend als eine Art weltliches Paradies gedeutet. So hielt der deutsche Arzt und Geograf Johann Gottfried Ebel gegen Ende des Jahrhunderts in seinem Reisehandbuch über die Schweiz fest:

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      Abb. 1: Wild-romantische Schweizer Natur. Ein Stich aus einem Buch des deutschen Reisenden Christian Hirschfeld von 1776.

      «Es gibt zuverlässig kein Land, keinen Teil unsers Erdbodens, der in so vielen Rücksichten merkwürdig und interessant wäre als die Schweiz […]. Alles Grosse, Ausserordentliche und Erstaunenswürdige, alles Schreckliche, Reizende, Heitere, Ruhige, Süsserquickende, was in der ganzen Natur zerstreut ist, scheint sich hier in einen kleinen Raum vereinigt zu haben, um dies Land zu dem Garten von Europa zu bilden, wohin alle Anbeter der Natur pilgern und wo sie für ihre Opfer in dem vollsten, reinsten Masse Belohnung und Befriedigung erhalten sollten.»3

      Der Ruf der Schweiz als Naturparadies wurde vor allem in den grossen europäischen Metropolen gefestigt. So nannte man in Paris einen im Jahr 1794 neu eröffneten Landschaftspark mit Tiergehegen und damit einen der ersten öffentlichen zoologischen Gärten der Welt schlicht la vallée suisse.4 Doch auch in der Schweiz selber lernten wohlhabende Bürger ihr Land mit anderen Augen sehen. Eine besondere Rolle spielten dabei die Naturalienkabinette, wie etwa der deutsche Universalgelehrte Christian Cajus Lorenz Hirschfeld im Jahr 1777 erläuterte:

      «Man kann den Schweizern das Lob nicht entziehen, dass sie nicht nur auf die Merkwürdigkeiten ihres Landes sehr aufmerksam sind, sondern auch den Fremden mit Vergnügen vorzeigen. Selbst viele Prediger in den entlegenen Berggegenden fangen an, sich aus der Sammlung und Untersuchung der Naturalien ihres Vaterlandes eine eben so nützliche als angenehme Beschäftigung zu machen.»5

      Die gelehrten Reisenden fanden Naturalienkabinette nicht nur in den grossen Städten wie Basel, Bern, Zürich, Genf, Lausanne, Neuchâtel oder Luzern, sondern ebenso in kleineren Ortschaften wie Schaffhausen, Solothurn, Yverdon, Altdorf, Glarus oder La Ferrière. Ihre Besitzer waren Professoren, Ärzte, Apotheker, Pfarrer, Schullehrer, Künstler. Auch manch vermögender Bankier oder Fabrikbesitzer pflegte eine kleine Sammlung von Naturgegenständen.6 Andere spezialisierten sich gar auf den Handel mit Naturalien und Naturgegenständen. Das Sammeln, Handeln und Tauschen von Naturalien war aber nicht bloss eine vergnügliche Freizeitbeschäftigung. Die Sammlungen bildeten die unerlässliche Grundlage für das Studium der Natur. Dies geht aus dem Eintrag zu den Naturalienkabinetten in der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert aus dem Jahr 1752 hervor:

      «Die Wissenschaft der Naturgeschichte macht Fortschritte in dem Masse, wie sich die Kabinette vervollständigen; das Bauwerk wächst aber nur durch die Materialien, die es beherbergt, und es wird kein Ganzes bilden, bevor alle seine wesentlichen Bestandteile zusammengebracht sein werden […]. Erst in diesem Jahrhundert hat man sich mit dem notwendigen Eifer der Naturgeschichte angenommen und derart grosse Fortschritte in diesem Unternehmen gemacht. Es ist auch unser Jahrhundert, das sich durch die Gründung der vortrefflichsten Einrichtungen auszeichnet, der Naturhistorischen Kabinette.»7

      Die

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