Die Naturforschenden. Группа авторов

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Naturprodukten hier und da die schlafende Neigung zur Naturgeschichte zu wecken und ihr gleichsam den ersten Stoss zu geben sich zu regen; dem Ungelehrten wie dem Gelehrten Gelegenheit zu verschaffen, durch Anschauung und Vergleichung ihre Begriffe zu berichtigen und ihre Kenntnisse zu bereichern.»28

      Mit der Zusammenführung der Sammlungen und ihrer Eingliederung in die wissenschaftliche Lehre und Forschung entstanden die neuen Zentren der Naturforschung, in denen das Wissen über die Natur nicht nur geschaffen und gespeichert, sondern auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurde. Gerade für die Etablierung der naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Biologie, Geologie oder Anthropologie spielten die Museen und botanischen Gärten als Forschungs- und Lehranstalten eine zentrale Rolle. Hier versuchten Naturforschende wie de Candolle mit ihren Klassifikations- und Ordnungsmustern, nach denen sie die Naturgegenstände aufstellten, die Natur im wahrsten Sinn des Wortes in Ordnung zu bringen. In zunehmendem Mass dienten sie ebenso dazu, die Naturphänomene einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen und anhand der ausgestellten Dinge zu veranschaulichen.29 Durch den neuen Wissensraum Museum gelangte die Natur direkt ins Zentrum des bürgerlichen Lebens, nämlich in die Städte. Die Ausstellungen regten zur Reflexion über das Verhältnis der Menschen zur Natur an. Beim Anblick der Objekte in den naturhistorischen Museen und den botanischen Gärten sahen sich Forscher wie Besucher mit existenziellen Fragen konfrontiert: Wie entstand die Erde, wie entwickelten sich die verschiedenen Arten, woher kommt der Mensch? Durch die zunehmende Öffnung der wissenschaftlichen Sammlungen zur Mitte des 19. Jahrhunderts konnten Bürgerinnen und Bürger aktiver an der Verhandlung dieser Fragen teilnehmen, nicht nur indem sie den Forschungsanstalten eigene Sammlungsobjekte zur Verfügung stellten, sondern auch indem sie ihre eigenen Beobachtungen oder Ansichten über die Natur mitteilten.30 Naturforschung war nicht mehr die private Angelegenheit einzelner wohlhabender Bürger, sondern öffnete sich nun dem städtischen und bildungsbürgerlichen Publikum. Dieses musste nun keine weite Reise auf sich nehmen, sondern die Natur wurde ihm sozusagen direkt vor der Haustüre in wohlgeordneter Form präsentiert. Die Museen oder botanischen Gärten bildeten eine Plattform zur Generierung und Verhandlung neuen Wissens über die Natur.31 Und mit diesem Wissen, das den Menschen fernab der Natur vor Augen geführt wurde, begannen sie die Natur mit anderen Augen zu sehen.

      FRANZISKA HUPFER

      DAS WETTER IN TABELLEN

      Christian Gregor Brügger und die Institutionalisierung der Meteorologie

      «Ein Jünger der Naturwissenschaften […] hat seit einigen Jahren ganz von sich aus unternommen, unser vielverzweigtes ‹Alpisch-Rhätien› mit einem Netz von Stationen für Witterungs- und Naturbeobachtungen zu überziehen», teilte eine Bündner Zeitung 1859 mit.1 Dieser «fleissige Naturforscher» war Christian Gregor Brügger (1833-1899), der drei Jahre zuvor, nach seinen Studienjahren in München und Innsbruck, in seinen Heimatkanton Graubünden zurückgekehrt war und auf Eigeninitiative ein meteorologisches Beobachtungsnetz aufgebaut hatte. Der damals erst 23-Jährige war überzeugt davon, dass eine empirische und vergleichende Beobachtung des Wetters Gesetzmässigkeiten erkennen lassen würde. Er wollte verstehen, wie die «Bewegungen des irdischen Luftmeeres» die lokalen Wettererscheinungen bedingten und wie sich diese auf die Vegetation auswirkten.2 Deshalb versuchte Brügger, an möglichst vielen Orten des Kantons Graubünden freiwillige, das heisst unbezahlte Wetterbeobachter zu gewinnen. Ihnen übergab er eine Tabellenvorlage inklusive Anleitung, nach der zwei Mal täglich Temperatur, Niederschlagsart, Bewölkungsgrad und Windrichtung zu notieren waren.3 Am Ende jedes Monats sandten die sogenannten Korrespondenten ihre Tabellen an Brügger. Korrespondenzbeziehungen zu Beobachtern an vielen verschiedenen Orten gehörten in der Naturforschung seit dem 18. Jahrhundert zu den typischen Methoden.4

      Damit Brügger die Messresultate miteinander vergleichen konnte, hielt er seine Korrespondenten an, alle einen Thermometer desselben Typs zu kaufen. Einzelne statteten sich auch mit einem Barometer zur Luftdruckmessung oder mit einem Ombrometer aus, mit dem sie die Niederschlagsmenge messen konnten. Die Instrumente mussten kalibriert, das heisst aufeinander abgestimmt werden, wobei Brüggers eigene Instrumente die Norm bildeten. Vorkenntnisse waren nicht erforderlich, um beim Projekt mitzumachen. Brügger rekrutierte seine Mitarbeitenden, die neben einzelnen Frauen mehrheitlich Männer waren, durch persönliche Kontakte. Er wurde dabei unterstützt vom angesehenen Privatgelehrten und Schlossbesitzer Carl Ulysses von Salis-Marschlins (1795-1886), der selbst meteorologische Messungen machte und neue Beobachter an Brügger vermittelte. Einige Personen nahmen von sich aus mit Brügger Kontakt auf und anerboten sich als Mitarbeiter, «um der Wissenschaft dienen zu können».5 Die Beobachter, die bis auf wenige Ausnahmen nicht naturwissenschaftlich gebildet waren, empfanden ihren Einbezug in ein wissenschaftliches Projekt als einen grossen Vertrauensbeweis. Der Zernezer Pfarrer Guidon dankte für die «Ehre», als Mitarbeiter aufgenommen zu werden.6 Pfarrer schienen Brügger als Beobachter besonders geeignet. Sie bildeten die am stärksten vertretene Berufsgruppe. Das meteorologische Netz wurde im Kanton Graubünden schnell bekannt, da Zeitungen die Zusammenstellungen der Messresultate abdruckten. Die «Bündner Zeitung» publizierte jeweils am Monatsanfang eine Tabelle mit den Temperaturangaben zum Vormonat. Waren es im April 1857 noch zehn Stationen, stieg die Zahl bis im Juli 1858 auf 37 Stationen an.7 Die Tabellen enthielten die monatlichen Durchschnittstemperaturen, den Tag des niedrigsten und höchsten Thermometerstands sowie der grössten täglichen Schwankung, gefolgt von der mittleren täglichen Temperaturdifferenz, der Windrichtung und schliesslich der Anzahl Tage mit Schnee, Regen, Nebel oder Bewölkung.

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      Abb. 1: April 1858: Der Zollbeamte Andreas Bärtsch notierte drei Mal täglich den Thermometerstand, die Niederschlagsart, den Bewölkungsgrad und die Windrichtung im bündnerischen Martinsbruck (heute Martina). Am Monatsende sandte er seine Tabellen jeweils an Brügger.

      WETTERDATEN IN DER ZEITUNG: «PERLEN VOR DIE SÄUE GEWORFEN»

      Brügger folgte in seiner Zielsetzung der Auffassung des deutschen Forschungsreisenden Alexander von Humboldt, wonach «mittlere Zahlenwerthe der letzte Zweck» waren.8 Er strebte also eine langjährige statistische Erfassung von Wetterzuständen an, um das Bündner Klima gründlich zu erforschen. Brügger erhielt für sein Projekt Zuspruch von namhaften Wissenschaftlern. Der in Russland lehrende Ludwig Friedrich Kämtz – er gilt als Mitbegründer der modernen Meteorologie – bereiste 1858 die Schweiz und sprach voller Lob über das Bündner Netz.9 Auch Bernhard Studer, Geologieprofessor in Bern, verhiess Brügger, sein meteorologisches Netz werde «höchst ehrenvoll anerkannt werden».10 Klimastatistik, wie sie Brügger betrieb, war in der Meteorologie der 1850er-Jahre die dominierende Forschungsrichtung. Die Wetterprognostik sollte sich erst rund 20 Jahre später etablieren.11 Brügger beschäftigte sich also ausschliesslich mit bereits vergangenem Wetter. In den «Rheinquellen» publizierte er täglich seine eigenen Temperaturmessungen vom Vortag.12 Im Juni 1858 liess sich die Tageszeitung auf das Experiment ein, die Temperaturmessungen von 20 Stationen jeweils am Folgetag zu publizieren.13 Die teilnehmenden Beobachter erhielten dazu Postkarten, die sie nach der Messung am Mittag ausfüllten und mit der «Nachmittags-Post» nach Chur sandten.14 Obwohl die Übermittlung der Daten in den meisten Fällen gelang, wurden diese «Tagesberichte der freiwilligen Stationen für Witterungskunde von und für Bünden» nicht weitergeführt. Auch die Zusammenarbeit mit dem «Bündnerischen Monatsblatt» erwies sich nicht als dauerhaft. Brügger hatte seinen Korrespondenten versprochen, dass die rechtzeitig zugesandten Beobachtungen in der Monatszeitschrift publiziert würden.15 Ab Januar 1858 erschien dann auch unter der Rubrik «Chronik» jeden Monat eine ganzseitige Zusammenstellung der meteorologischen Aufzeichnungen. Doch bereits nach sechs Monaten wurden diese Tabellen wieder aus dem Heftinhalt gestrichen. Agostino Garbald, Zolldirektor in Castasegna an der schweizerisch-italienischen Grenze und meteorologischer Beobachter,

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