Die Naturforschenden. Группа авторов

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      Abb. 2: «Perlen vor die Säue geworfen»: Das öffentliche Interesse an Brüggers Wetterdaten hielt sich in Grenzen. Tabelle aus dem «Bündnerischen Monatsblatt», 5. 5. 1858.

      «Wer nicht halb oder wenigstens viertels Meteorologe ist, interessiert sich für die Sache gar nicht; ganz vernünftige und auch ordentlich gebildete Leute fragen nicht selten, was solche Beobachtungen nüzen, und aus ihrem spöttischen Lächeln und mitleidigen Achselzukken nimmt man wahr, dass sie Einen, wenigstens in dieser Beziehung, für einen Halbnarren haben. Es ist sich demnach nicht zu verwundern, dass solche Leute die meteorologischen Beobachtungen nicht würdigen, und jede Zeile bedauern, die dieselben dem Zeitungsklatsche entrükken. Wir haben Perlen vor die Säue geworfen.»16

      Es war also nicht gelungen, die Leserschaft von der Wichtigkeit der meteorologischen Beobachtungen zu überzeugen. Auch Brüggers Argument, dass die Landwirtschaft von der Kenntnis des lokalen Klimas profitieren würde, vermochte das Interesse nicht zu steigern.17 Mit aufklärerischem Enthusiasmus hoffte Brügger indes weiter darauf, dass aus jedem «Saulus noch ein Paulus der Meteorologie» würde.18

      METEOROLOGIE IM DIENST DER TOURISMUSFÖRDERUNG

      Weit mehr Begeisterung als bei Zeitungslesenden riefen die Wetterdaten in der Tourismusbranche hervor. Die Temperatur- und Niederschlagsmessungen ermöglichten es, die Annehmlichkeit des örtlichen Klimas in wissenschaftlicher Manier zu beweisen, und eröffneten somit wirtschaftliches Potenzial. Brügger beschäftigte sich intensiv mit den klimatischen Besonderheiten des Kantons Graubünden. Bereits 1858 entstand eine Zusammenarbeit mit der Heilquellen-Gesellschaft in St. Moritz. Die private Gesellschaft verwaltete die Mineralquellen des aufstrebenden Kurorts. Das lokale Klima hatte jedoch in der «neuesten Touristen-Literatur» einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, wie Brügger anhand seiner Messdaten ausführte.19 Brügger erhielt 1860 von der Heilquellen-Gesellschaft den Auftrag, eine kurmedizinische Schrift über St. Moritz mit einem klimatologischen Beitrag zu ergänzen.20 Eine weitere Auftragsarbeit, die mit 275 Franken entlohnt wurde, verfasste er für St. Moritz und Bormio gemeinsam.21 Die Mineralquellen des italienischen Bormio waren seit 1859 in Privatbesitz von Nationalrat Andreas Rudolf von Planta, der gleichzeitig als Präsident der St. Moritzer Heilquellen-Gesellschaft amtierte. Sowohl in St. Moritz als auch in Bormio erfassten die Angestellten der Kuranstalten nach Brüggers Vorgaben täglich meteorologische Daten, die sie ihm regelmässig zur Korrektur und Bearbeitung zusandten. In einem «Werk fuer allerlei Publicum» über die Thermen von Bormio wies Brügger mithilfe dieser Messungen nach, dass die dortigen Temperaturen diejenigen von diversen europäischen Kurorten auf gleicher Meereshöhe übertrafen und es in Bormio verhältnismässig wenig regnete.22 Eduard Killias, der Präsident der Naturforschenden Gesellschaft Graubündens, lobte Brüggers vergleichende Klimatologie als «sehr belehrend».23 Ihm zufolge war es den klimatischen Verhältnissen zu verdanken, dass die Bündner Kurorte «die Koncurrenz mit altberühmten Weltbädern» nicht zu scheuen brauchten.24 Nutzniesser des Gesundheitstourismus und Naturforscher behaupteten gleichermassen einen spezifischen Charakter der Natur in ihrem Kanton. Brüggers datenbasierte Argumentation machte aus der unbewiesenen Behauptung von der klimatischen Vorzüglichkeit Graubündens eine belegte Tatsache.

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      Abb. 3: Die 1860 veröffentlichte Auftragsarbeit für die Heilquellen-Gesellschaft sollte beweisen, dass das Oberengadin «angenehme Temperaturverhältnisse» wie kein «zweites Land» in Europa auf einer Höhe von rund 1800 Metern über Meer biete. Ansicht von St. Moritz um 1885.

      VOM ANFÄNGLICHEN ENTHUSIASMUS ZUM «JOCH» DES TÄGLICHEN BEOBACHTENS

      Um wissenschaftlich anerkannte Klimastatistik zu betreiben, waren ununterbrochene Messreihen elementar. Viele Messnetze des 19. Jahrhunderts scheiterten jedoch an der Unzuverlässigkeit von Beobachtern, die der mühsamen Arbeit überdrüssig geworden waren. Auch für Brügger wurde die Disziplin unter seinen freiwilligen Mitarbeitenden zum Problem.25 Er sah die meteorologischen Beobachter als naturforschendes «Frei-Corps», das im ganzen Kanton wissenschaftlichen Enthusiasmus «ins Feld bestellt» habe, nun aber von den «nahenden feindlichen Geistern der Anergia und Inertia», der Untätigkeit und Trägheit, bedroht werde.26 Jeden Tag frühmorgens und mittags Wetterbeobachtungen präzis zu notieren und bei jeder Abwesenheit einen Stellvertreter zu organisieren, empfanden die meisten Beteiligten als mühsame Tätigkeit. Die einen hielten durch und erfüllten gewissenhaft ihre Verpflichtung, andere brachen ihre Aufzeichnungen aus Zeitmangel oder Motivationsgründen ab. Die Pfarrerstochter Süsette Gyger, die drei Jahre lang als Beobachterin für Brügger gearbeitet hatte, bekundete nach einem Wohnortswechsel, sie sei froh, dass sie das «Joch» der meteorologischen Aufzeichnungen nun habe «abschütteln» können.27 Einige Beobachter begründeten ihren Abbruch der Messungen mit dem Hinweis, dass sie lange Zeit nichts vom «Fortgang der Sache» gehört hätten.28 Der Beobachter in St. Antönien, an der Grenze zu Österreich gelegen, gewann sogar den Eindruck, Brügger interessiere sich «nicht sonderlich» für seine Arbeit.29 Ohne Kapazitäten für eine intensive Betreuung versuchte Brügger seine Mitarbeitenden zu motivieren, indem er die wissenschaftliche Bedeutung ihrer Arbeit unterstrich und eine baldige gesellschaftliche Anerkennung «dieser jüngsten Frucht vom naturwissenschaftlichen Erkenntnisbaume» versprach.30 Bis dahin sollten die Beobachter «unbekümmert um persönliche Vortheile wie um Lob oder Tadel der Menge» ausharren. Zudem stellte Brügger die wissenschaftliche Tätigkeit als patriotischen Dienst am Bündnerland dar, indem er appellierte, «den hohen Idealen von Vaterland und Wissenschaft seine Kräfte zu weihen».31

      1859 musste Brügger seinen eigenen «Dienst» am Bündnerland massiv einschränken. Er trat eine Stelle als Konservator der botanischen Sammlungen am Polytechnikum in Zürich an und konnte sich nicht mehr um die Berechnung und Redaktion der Tabellen kümmern.32 Seinen Korrespondenten hatte er zuvor mitgeteilt, dass es ihm nicht gelungen sei, einen Nachfolger zu finden. Er hielt sie dazu an, wie bisher mit den Beobachtungen weiterzufahren und die ausgefüllten Tabellen gut aufzubewahren, damit er sie später einsammeln könne.33 «Wir wollen Halleluja singen, wenn alle ausgestellten meteorologischen Schilderungen bis zu Ihrer Rückkehr auf ihren Posten ausharren», kommentierte Agostino Garbald dazu.34 Brüggers Freund und Beobachter in Castasegna befürchtete, das meteorologische Netz werde ohne Leitung innert kurzer Zeit «zerstäuben». Auch das «Bündner Tagblatt» schätzte die Überlebenschancen des Projekts ohne Brüggers Präsenz gering ein.35 Die Zeitung rief die Naturforschende Gesellschaft Graubündens dazu auf, finanzielle Unterstützung zu leisten. Diesem Aufruf entsprach der Verein insofern, als er 1860 damit begann, Beobachtungstabellen aus dem meteorologischen Netz in seinen Jahresberichten zu publizieren. Diese Rubrik wurde laufend ausgeweitet und umfasste bald mehr als einen Drittel des Inhalts. So erschienen in den Jahresberichten die mehrjährigen Aufzeichnungen von rund 50 Stationen. Fortlaufende Beobachtungsreihen seit 1856 lieferten die wenigsten Stationen, sei es, weil die Beobachter ihre Arbeit abgebrochen hatten, sei es, weil sie die ausgefüllten Tabellen verloren hatten. Ein Oberengadiner Beobachter teilte mit, er habe nicht damit gerechnet, dass seine Aufzeichnungen je veröffentlicht würden, und deshalb seien diese nahezu unleserlich.36

      DIE GRÜNDUNG DES NATIONALEN NETZES: NEUE STANDARDS UND HIERARCHIEN

      Das angestiegene Interesse innerhalb der Naturforschenden Gesellschaft Graubündens an den meteorologischen Beobachtungen stand in Zusammenhang mit dem ab 1860 laufenden Projekt eines landesweiten Beobachtungsnetzes. Die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft richtete mit finanzieller Unterstützung des Bundesstaats landesweit 88 Stationen ein und schuf in Zürich die Meteorologische Zentralanstalt, welche die Tabellen ab Dezember 1863 sammelte, kontrollierte und publizierte. Im Grund verfolgten

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