Wer bin ich?. Keith Hamaimbo

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Wer bin ich? - Keith Hamaimbo Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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ist Selbsterkenntnis nur eine Vorstufe zu Gotteserkenntnis. „Sie wollen den Menschen nicht nur zu sich selbst zurückführen sondern, wenn er dort angelangt ist, über sich selbst hinaus.“132 Es geht also bei der Lehre der Leidenschaften bzw. Gedanken oder Dämonen nicht um eine willkürliche Auflistung physischer und psychischer Vorgänge. Sie will den Weg des geistlichen Wachstums und zu Gott zeigen. Nach Driscoll sind Evagrios’ Ausführungen der Leidenschaften logischer, als auf den ersten Blick erkannt werden kann.133 Er fasst zusammen: “Thus, in a general way the order of the eight thoughts follows the order of spiritual progress.”134

       1.4.3. Der geistliche Vater

      Bunge nennt Evagrios den „‚Freud‘ der ausgehenden Antike.“135 „Unter diesen frühen Psychologen, Psychoanalytikern und Psychotherapeuten [die Wüstenväter] nimmt wiederum Evagrios Pontikos (ca. 345 – 399) unbestritten den ersten Rang ein.“136 Und das mit Recht. Die Menschenkenntnis findet eine besondere Aufmerksamkeit in der Lehre des Evagrios. Für ihn ist Menschenkenntnis genauso wichtig wie Spiritualität. Durch die zahlreichen Menschen, die er begleitet hat, konnte er nicht nur die spirituellen Nöte, sondern die psychologische Verfassung der Menschen, die seinen Rat aufgesucht haben, auffassen.137 Als „Philosoph, Theologe und Mönchsvater in einer Person“138 war Evagrios für viele nicht nur eine Quelle der Inspiration für das geistliche Leben, sondern auch Lebensberater. Im frühen Mönchtum und im Laufe der Geschichte spielten Mönche (Klöster) eine große Rolle in der Bewahrung des geistlichen Reichtums des Christentums; insbesondere die geistliche Begleitung. Für das frühe Mönchtum war die geistliche Begleitung ein Selbstverständnis des christlichen Lebens. Etliche Beispiele gibt Grün in seinem Büchlein über die „Geistliche Begleitung bei den Wüstenvätern“, unter anderem, dass es Pflicht war, dass „jeder junge Mönch einen geistlichen Vater hatte, dem er seine Gedanken und Gefühle offenbaren musste und dem er absoluten Gehorsam schuldete.“139 Evagrios war geistlicher Vater und Lehrer.140 Er war aber „für seine engsten Vertrauten zunächst und vor allem geistlicher Vater und nicht Gelehrter.“141 Auch für die älteren Mönche war das keine Ausnahme, denn jeder durfte sich einen geistlichen Begleiter aussuchen, obwohl er dazu nicht unbedingt verpflichtet war. Auch im Leben von Evagrios gab es Menschen, zu denen er das Verhältnis eines geistlichen Vaters und/oder eines Sohnes hatte. So finden wir eine Liste von Personen, für die Evagrios als geistlicher Sohn galt, zum Beispiel zu Melania, die dazu beigetragen hatte, dass Evagrios zum Mönch wurde, hatte Evagrios immer wieder Kontakt, oder Didymus den Blinden u.a.142 Bunge schreibt in Bezug auf einem Text von Evagrios, „dass [er] selbst einen erfahrenen Mönch hatte, dem er sich in schwierigen Situationen anvertraute.“143

      Aus der Erfahrung als geistlicher Begleiter, aber auch als jemand, der die Begleitung durch andere schätzt, schreibt Evagrios über die Beziehung zwischen einem ‚Ratsuchenden’ und einem ‚Ratgebenden’ und worauf beide auf dem Weg des spirituellen und Persönlichkeitswachstums zu achten hätten. So geht es dabei nicht nur darum, dem Anderen den Weg des geistlichen Wachstums zu zeigen, sondern auch selber den Weg zu gehen. In der heutigen Psychologie wird der von Carl Rogers geprägte Begriff von Kongruenz/Inkongruenz benutzt, der das emotionale Zwischenspiel des Therapeuten und seines Gegenübers beschreibt. Dies spielt sich auch im Rahmen der geistlichen Begleitung ab. So definiert Eckert Jochen Kongruenz/Inkongruenz in seinem Aufsatz „Der therapeutische Prozess in der Praxis“ folgendermaßen:

      Kongruenz in einer therapeutischen Beziehung heißt vor allem, dass sich der Therapeut aller Gefühle bewusst werden kann, die der Patient in ihm auslöst. Wenn der Therapeut auf den Patienten mit Gefühlen reagiert, deren er sich nicht bewusst werden kann, wird er in der Regel durch diese Gefühle auch darin behindert, sich in den Patienten einzufühlen und ihn in dem, was er dabei verstanden hat, bedingungsfrei positiv zu beachten. […] Die Kongruenz/Inkongruenz des Therapeuten wird für den Patienten u.a. dadurch erfahrbar, dass der kongruente Therapeut als ‚echt’, authentisch, unverfälscht erlebt wird. Ein inkongruenter Therapeut wird als fassadenhaft, undurchschaubar, ‚unecht’ erlebt und beschrieben.144

      Im gleichen Sinne schreibt Evagrios in seinem Werk Gnostikos, wie geistliche Eltern sich Mühe geben sollten, nicht nur die geistliche Entwicklung Anderer wahrzunehmen, sondern zudem ihre eigene Entwicklung zu beobachten. Die Glaubwürdigkeit des Begleiters lässt sich daran messen, dass er in sich ruht.145 Darüber hinaus beschreibt er, wie geistliche Eltern bzw. Begleiter in der Einschätzung des Charakters anderer eingeübt sein sollten. Nach ihm sollen Begleiter wissen, dass es verschiedene Charaktere unter Menschen gibt und dass der jeweilige Charakter einer Person und alles, was ihr wichtig ist, gut gekannt werden muss, um mit ihr angemessen arbeiten zu können. Nur dadurch können sie das Richtige zu jedem Einzelnen sagen. Denn was für den Einen heilend ist, kann für den Anderen Gift sein. Diese Fähigkeit der geistlichen Eltern führt dazu, dass der Geistliche die geistliche Entwicklung des Gegenübers richtig einschätzen und dementsprechend mit der Person umgehen kann.146 So wie es im Enneagramm Charaktere gibt, suggeriert Evagrios eine Menschen-/Seelenführung, die sich nicht nur auf eine mystisch-geistliche Ebene beschränkt, sondern auch die Charaktereigenschaften einer Person berücksichtigt. Das Durchschauen psychischer Mechanismen ist nicht das Ziel der Beschäftigung mit den verschiedenen Charakteren, sondern Hilfe für ein besseres Verständnis von Gottes Wirken in der Seele. So beschreibt Anselm Grün Evagrios’ Beschäftigung mit psychologischen Studien. Gemäß Grün ist dieses Wissen eine Hilfe bei der Unterscheidung der Geister147. „Nur wenn ich die menschliche Seele mit ihren inneren Gesetzen kenne, kann ich in ihr auch Gottes Wirken erkennen. Ohne psychologische Erfahrung bin ich immer in Gefahr, psychische Mechanismen mit dem Wirken des Heiligen Geistes zu verwechseln“,148 berät und mahnt Grün. Den Willen Gottes zu kennen, geht Hand in Hand mit Selbstkenntnis. So beschreibt Anselm Grün den Willen Gottes nicht als etwas Fremdes, was uns aufoktroyiert wird, „sondern er entspricht unserem innersten Wesen. Der Wille Gottes bringt unserer Seele Nutzen, er bringt uns unserem wahren Selbst näher.“149 Um den Gotteswillen zu kennen, muss eines als Kriterium gelten, so Anselm Grün: dort „wo ich mich lebendiger fühle, freier, echter, authentischer, wo sich neue Räume in mir auftun.“150 Diese Fähigkeit zu unterscheiden „verlangt ein ehrliches Ringen mit sich selbst, einen jahrelangen Kampf um die Reinheit des Herzens, um die Leidenschaftslosigkeit (apatheia).“151 „Apatheia heißt nicht nur Freiheit von Leidenschaften, sondern auch von den Projektionen, die uns den Blick für den anderen verstellen.“152

       1.4.4 Die Leidenschaften

      Evagrios’ Lehre kreist um die Lehre der Leidenschaften.153 In seinem Kommentar zu dessen Erklärung zur Praktike: „Die Praktike ist eine geistliche Methode, die den leidenschaftlichen Teil der Seele gänzlich reinigt“154, sagt Bunge: „In dieser äußerst knappen ‚Definition’ der Praktike ist im Kern schon die ganze evagrianische Lehre von dem, was wir ‚geistliches Leben’ zu nennen pflegen, enthalten.“155 „Evagrios verwendet fast unterschiedslos die Bezeichnung ‚Dämon‘, ‚Leidenschaft‘ und ‚Gedanke‘ für dieselbe Wirklichkeit, obgleich er sie natürlich sehr wohl unterscheidet.“156

      Die Auseinandersetzung mit dem Thema der Leidenschaften bei Evagrios im Kontext dieser Arbeit soll die Verbindung des Enneagramms zu seiner Lehre aufzeigen. Rohr und Ebert zeigen dies, indem sie im folgenden Text die einzelnen Leidenschaften bei Evagrios den Enneagramm-Mustern zuordnen. Ausführlich schreiben sie:

      Evagrius entwickelte eine Liste von acht (bzw. an einer Stelle – in der Schrift ‚De vitiis quae opposita sunt virtutibus’ – sogar neun) Lastern bzw. ablenkenden ‚Gedanken’, die den Weg zu Gott und zu leidenschaftsloser Herzensruhe behindern. Ausgangspunkt war für ihn jenes seltsame Jesuswort

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