Wer bin ich?. Keith Hamaimbo
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Zum gespaltenen Verhältnis gegenüber Evagrios kam es wegen der Ereignisse, die er kommen sah, selber aber kaum miterlebte. Nach seinem Tod mussten viele seiner Gefährten wegen einer innerkirchlichen Verfolgung fliehen.80 150 Jahre nach seinem Tod wurde er auf dem 5. Ökumenischen Konzil von Konstantinopel als Origenist81 verurteilt, was Auswirkungen auf Evagrios’ Werke hatte: Einige seiner Werke mussten wegen der Verfolgung entweder versteckt oder unter anderem Namen veröffentlicht werden. Viele seiner Schriften liegen daher nicht in der ursprünglichen Sprache vor. Erst in den letzten Jahren werden einige der Werke als diejenigen von Evagrios anerkannt oder identifiziert.82 In Syrien hingegen hatte Evagrios eine große Anhängerschar, und seine Werke konnten daher dort unter seinem eigenen Namen veröffentlicht werden, was woanders nicht möglich war.83
Die im Folgenden vorgeführten Argumente, die zur Verurteilung des Evagrios geführt haben, zeigen, dass es hier weniger um dogmatische Fragen ging, sondern eher um ein ‚argumentum ad hominem’, welche aber unter unklaren Prämissen geschah, weil Evagrios anscheinend missverstanden wurde. Das ist nachvollziehbar, wenn uns bewusst wird, dass Feindschaften unter Personen in dieser Zeit ziemlich große Auswirkungen haben konnten, auch wenn es dabei um den Glauben ging.84 Entsprechend verhielt es sich auch bei Freundschaften: Menschen, die sich einander freundschaftlich verbunden fühlten, übernahmen auch die geistigen Positionen der anderen, ohne sehr auf deren Bedeutung zu achten. Auch gilt: Wenn du mein Freund bist, dann sind deine Feinde auch meine Feinde! So kämpfte zum Beispiel Hieronymus, der vorher Rufinus wohlgesonnen war, gegen Melania und Evagrios ‚kämpfte“, weil diese nicht gut auf Epiphanius zu sprechen waren, während er mit Hieronymus alliiert war.85 Eventuell erklärt das, warum Epiphanius oder Hieronymus gegen die ‚Origenisten’ waren, ohne aber vorher in direkten Kontakt mit ihren Schriften gekommen zu sein.86
Nach Bunge kam es zu einer schnellen Verurteilung des Evagrios, weil er „als eine der Hauptinspirationsquellen der ‚origenistisch’ gesinnten Mönche des Palästinas jener Zeit galt.“87 Der Benediktiner Jeremy Driscoll beschreibt die Schriften Evagrios’ als „intentionally enigmatic“88, und Bunge als: „Die verhüllende Sprechweise der ‚gnostischen’ Schriften des Evagrios“89, welche leicht missverstanden werden könnten.90 Die Interpretation von Evagrios’ Lehre durch die besagten Mönche führte zur Verschärfung der origenistischen Krise.91
In seiner Analyse von Evagrios’ Werken bemerkt Bunge die origenische Prägung von dessen Ideen, aber auch, dass – obwohl er mit den Schriften von Origenes vertraut war – Evagrios zurückhaltend war, wenn es darum ging, ihn mit Namen zu erwähnen. Dies war nicht der Fall bei einigen großen Alexandrinern,92 beispielsweise erwähnt Evagrios Basilius mit aller Offenheit.93 Origenes beeinflusste in der Zeit von Evagrios nicht nur diesen, sondern das ganze Denken der Zeit. Dies gilt auch für die Philosophie von Platon und Aristoteles.94 Auffällig ist, dass auch Evagrios von Menschen nicht namentlich zitiert wird, die die Origenisten verurteilt hatten. Zum Beispiel wird Palladios, der mit Evagrios befreundet war und sich offen zu Origenes bekannte, als Origenist durch Hieronymus und Epiphanius verurteilt, der aber Evagrios nicht in Zusammenhang mit der origenistischen Krise erwähnt.95 Hinzu kommt, dass beim Konzil von 553 weder Evagrios noch Origenes namentlich in Bezug auf die Anathemen genannt werden.96 Wie vorher angedeutet, wenn jemand mit Evagrios gleichgesinnt war, wäre es sehr wahrscheinlich gewesen, dass er mit ihm in Verbindung gebracht werden könnte, insbesondere weil Evagrios eine gewisse Autorität seiner Zeit war.97 Die Tatsache, dass Evagrios selbst den Origenes nicht erwähnt, spricht dafür, so Bunge, dass er sich selbst nicht als Origenist sah, obwohl zum Beispiel auch Hieronymus ihn als einen solchen einstufte.98 Mit Blick auf Evagrios’ Verbindung zu der ‚rechtmäßigen’ Lehre der Kirche und ihre theologischen und geistlichen Vertreter sowie sein Bild von sich selbst weist Bunge vehement darauf hin, dass diese auch heute berücksichtigt werden solle:
Wie er sich in seinen asketischen Schriften auf seine Lehrer Makarios den Großen und Makarios den Alexandriner beruft, so beruft er sich in seinen spekulativen Schriften auf die Säulen der nizänischen Orthodoxie, allen voran seine persönlichen Lehrer Gregor von Nazianz und Basileios den Großen, dann auch auf Athanasios, Serapion von Thmuis und seinen Zeitgenossen Didymos den Blinden. Daraus ergibt sich für die moderne Kritik die Verpflichtung, das Werk des Evagrios so zu lesen und zu deuten, wie es verstanden werden will, d.h. im Geiste der nizänischen Orthodoxie, so wie sie von den genannten Vätern am Ende des 4. Jahrhunderts gelehrt wurde. Und zwar mit Einschluss all jener Fragen, die Gregor von Nazianz als „Offen“ bezeichnet hatte, und über die auch unter den orthodoxen Vätern der Zeit unterschiedliche Ansichten gang und gäbe waren. M. a. W. Evagrios hat ein Anrecht darauf, auf die nizänische Orthodoxie hin und nicht von ihr weg interpretiert zu werden.99
Bunge argumentiert weiter, indem er die Verbindung der palästinischen Mönche des 6.Jh. zu Evagrios und der origenistischen Lehre in Frage stellt. Anstatt, wie Evagrios‘ ‚Nachfolger‘, sich einer damals noch nicht üblichen wissenschaftlichen Denkweise zu bedienen100, fordert er die moderne Kritik heraus, „Evagrios aus sich selbst zu verstehen und nicht durch die Brille seiner späten Benutzer zu lesen, deren Lehren uns zudem nur aus der Darstellung ihrer Gegner bekannt sind.“101 Anhand eines Briefes von Evagrios an Gregor zeigt Bunge, dass er die gleiche geistige und theologische Gesinnung wie Gregor hatte, was dafür spricht, dass er eher in der ‚Tradition’ Gregors als in der des Origenes stand.102 Diesbezüglich schreibt Bunge: „Nirgends erweckt Evagrios ja den Eindruck, neuartige und den Lesern unbekannte Lehren zu vertreten. Diese Feststellung ist für den Charakter und die Herkunft des ‚Origenismus’ unseres pontischen Mönchs nicht ohne Bedeutung.“103 An vielen Stellen bezieht sich Evagrios auf diejenigen Lehrer, zu denen er sich selbst auch ohne Vorbehalt bekennt, zum Beispiel seinen ‚geistlichen Vater Basilius’.104 Im Allgemeinen ist er bemüht zu zeigen, dass er nur ein Teil der Kette der Tradition sei und seine Aufgabe darin bestehe, das weiterzugeben, was von den Älteren gelehrt worden sei. Auch wenn es um geistliche Methoden ging, sah er sich lediglich als derjenige, der die alten Weisheiten systematisierte, damit sie besser verstanden werden könnten.105 Damit untermauert er nicht nur seine Rechtgläubigkeit, sondern auch seine Verbundenheit zu der christlichen Lehre und mit denjenigen, die für ihn direkt oder indirekt LehrerInnen waren.106 In Bezug auf 1Joh 1, 1-4107 und Evagrios sagt daher Bunge:
Traditionsgebundenheit ist also nicht einfach Beharren auf dem Hergebrachten, sondern Bewahrung eines lebendigen Zusammenhanges mit dem, auf den der Weg des Lebens zurückgeht, Christus. Ganz biblisch besteht Evagrios darauf, dass dies nur möglich ist auf dem ‚Umweg’ über die lebendigen und verstorbenen Glieder der Traditionskette.108
Die Selbstdarstellung des Evagrios passt nicht dazu, dass er später als Häretiker bezichtigt wurde. Daher kann gefragt werden: Wie kann es sein, dass Hieronymus, der als großer Verehrer des Gregor von Nazianz gilt, Evagrios nicht zu Lebzeiten Gregors verurteilt hat, obwohl Evagrios Gregors Diakon war und seine Theologie sogar sehr von ihm beeinflusst wurde? Hinzu kommt, dass auch Hieronymus Gregor als theologischen Lehrer sogar aufsuchte!109 Bedeutet diese Zusammenarbeit von Gregor und Evagrios nicht etwa, dass eine gegenseitige Akzeptanz zwischen ihnen und ihren Denkweisen herrschte? Hat Evagrios etwa erst später neue origenistische Ideen entwickelt? Nach Bunge war die Verurteilung des Evagrios durch Hieronymus und Theophilos – Patriarch von Alexandria –, die auch Johannes Chrysostomos als Übeltäter hinstellen sollten, von unreinen, wahrscheinlich machtpolitischen Absichten durchdrungen.110 Nach ihm war das ganze Geschehen „offensichtlich von so persönlichen und nicht sehr edlen Motiven geprägt, dass es schwerfällt, die vorgeschobenen dogmatischen Bedenken ernst zu nehmen.“111 Es ergibt