Lebendige Seelsorge 5/2017. Группа авторов

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Lebendige Seelsorge 5/2017 - Группа авторов

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gibt keinen Gott‘, sagt Mikael.

      ‚Damit kann es jeder halten, wie er möchte‘, wirft der Sozialpädagoge Hans-Erik ein. ‚Jeder kann glauben, was er will.‘

      ‚Glaubst Du an Gott, Jennifer?‘

      ‚Nein, aber es gibt jemanden im Fernsehen, der an Gott glaubt.‘

      ‚Es gibt keinen Gott‘, sagt jetzt auch Benny.

      ‚Aber früher‘, sagt Jennifer mit Nachdruck.

      ‚Ja in den alten Zeiten‘, schaltet sich Khalil, der libanesische Junge, ein, ‚da war es wohl so.‘

      ‚Aber Du, Khalil, feierst Du Weihnachten oder ähnliche Feste?‘, fragt Hans-Erik. ‚Du glaubst an Allah.‘

      ‚Uh-hm.‘“

      (Daun, 51)

      Diese kleine Konversation, die Anfang der Achtzigerjahre in einer schwedischen Kindertagesstätte aufgezeichnet wurde, ist ein guter Impulsgeber, nicht nur für das Nachdenken über Kinder und Religion, sondern ganz allgemein über Kinder und Kindheit in Gegenwartsgesellschaften.

      Zunächst ist an dieser Konversation bemerkenswert, dass die Vielzahl der Bedingungen und Instanzen durchscheint, unter und mit denen Kinder heute in (west)europäischen Gesellschaften aufwachsen. Da sind die Eltern, die Gleichaltrigen, die Erzieher und die Medien. Da sind unterschiedliche Institutionen bzw. soziale Bühnen. Und da ist – als Ergebnis der Migrationsbewegungen – der multikulturelle Kontext, mit dem sich nicht nur westeuropäische Kinder in Gegenwartsgesellschaften auf die eine oder andere Weise arrangieren (müssen). Diese Instanzen und Erfahrungsräume warten mit sehr unterschiedlichen Informationen und Deutungen auf – hier zur Frage der Existenz Gottes.

      Offensichtlich ist die Zeit vorbei, in der Kinder in Fragen des Glaubens und der Religion mit übereinstimmenden Vorstellungen in ihrem gesamten Umfeld rechnen konnten, Eltern, Priester, Pfarrer, Erzieher, Lehrer, Nachbarn und Gleichaltrige mit einer Stimme sprachen. Widersprüchliche Informationen und Deutungen sind für komplexe Gesellschaften charakteristisch. Unter solchen Bedingungen müssen Kinder für viele Phänomene eigene Antworten, eigene Synthesen, finden. Nicht zuletzt durch die Allgegenwart von immer mehr Medien ist das auch bei Themen der Fall, die frühere Kindergenerationen gar nicht erst erreichten. Die Folgen für die Kinder sind ambivalent: Größere Toleranz ist möglich, aber auch massive psychische Verunsicherung.

      Heinz Hengst

      Dr. phil habil., Professor für Sozial- und Kulturwissenschaften an der Hochschule Bremen (i.R); Arbeitsschwerpunkte: zeitgenössische Kindheit, Kinderkultur und Generationenverhältnis unter besonderer Berücksichtigung der Medien, des Konsums und des internationalen Vergleichs.

      Zum Alter der Kinder, die sich an der Konversation über die Existenz Gottes beteiligen, gibt es keine Angaben. Das mag damit zusammenhängen, dass es sich um Kindergartenkinder handelt und der Autor die Altersdifferenzen für vernachlässigenswert hielt. Aber bemerkenswert ist schon, dass die Konversation die zeittypischen Rahmenbedingungen, unter denen die Kinder ihre Vorstellungen konstruieren und artikulieren, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.

      An dieser Akzentsetzung möchte ich festhalten. Beobachtbar ist eine Tendenz der Aufhebung der Einheit von Lebensphase und Lebensform. Es entwickelt sich ein „Modell der offenen Grenzen“. Man hat, unabhängig davon, welcher Altersgruppe man angehört, die Option, Anleihen bei Identitäts- und Lebensformen anderer Altersgruppen zu machen. Das „Alters-Selbst“ kann ein Mischmodell unterschiedlicher Lebensabschnitte sein.

      DIFFERENZIELLE ZEITGENOSSENSCHAFT

      Bezugspunkt meiner Arbeiten ist seit Langem die soziologische Kindheitsforschung, die zu Beginn der Neunzigerjahre von britischen und skandinavischen Forschern initiiert wurde (vgl. dazu Hengst/Zeiher). Der gemeinsame Nenner dieser Forschungsrichtungen ist die Negation zentraler Aspekte der (bisher) dominierenden Kindheitskonzepte, die von Kindern in der Terminologie von „noch nicht“ handeln. Der Slogan, mit dem die neuen kindheitssoziologischen Ambitionen programmatisch lanciert werden, ist „konzeptuelle Autonomie“ von Kindern und Kindheit.

      Konzeptuelle Autonomie bedeutet unter anderem die Ersetzung der Vorstellung der traditionellen Forschung, die in Kindern nur künftige Erwachsene sieht, durch die Konzentration auf ihre Gegenwart, ihre Position in der Gesellschaft, ihre Rechte, ihre Ressourcen, ihren Alltag, ihre Aktionen und ihre Deutungen von Welt und Umwelt.

      Die aktuelle sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung ist ein facettenreiches work in progress, auf das ich hier nur sehr selektiv eingehen werde. Zuzuordnen sind meine Überlegungen dem Konzept „differenzielle Zeitgenossenschaft“ (vgl. Hengst). Dieses Konzept ist offen für Unterschiede und Ungleichheiten zwischen Kindern und Erwachsenen, schreibt aber die Dimension, in der Unterschiede und Ungleichheiten sich manifestieren, nicht vorab fest. Kollektive Subjekte (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) sind im Rahmen dieses Konzepts vor allen anderen Zuordnungen als Zeitgenossen, also altersübergreifend als Kinder ihrer Zeit definiert.

      Das heißt: Es gibt unter Bedingungen raschen und umfassenden soziokulturellen Wandels vieles, was zwar ohne Zweifel für Kinder gilt, aber auch auf Erwachsene zutrifft. Gegenwartsgesellschaften sind Übergangsgesellschaften. Soziale Identitäten werden neu ausgehandelt und definiert. Einige verlieren an Bedeutung, andere sind nur zeitweise oder nur in bestimmten Kontexten relevant, und wieder andere werden an neuen Kriterien festgemacht. Die Kindheitsforschung kann es unter solchen Bedingungen nicht bei der Auseinandersetzung mit der Frage belassen, was Kinder zu Kindern macht. Ihr Thema sind die Antworten, die Kinder in ihrem Denken, Fühlen und Tun auf zentrale Herausforderungen zeitgenössischer Gesellschaften geben.

      In diesem umfassenderen, offenen Rahmen können (dann) die Differenzen zwischen Kindern und Erwachsenen sowie die Bedeutung generationaler Ordnungen zeitdiagnostisch sensibel bestimmt werden. Die traditionellen „Entwicklungsaufgaben“, von denen in der Kinder- und Jugendpsychologie die Rede ist, werden gewissermaßen von „Meta-Entwicklungsaufgaben“ überlagert. Zur Meisterung der neuen Herausforderungen steht den Zeitgenossen, Kindern wie Erwachsenen, keine „road map“, kein Script zur Verfügung. Soziologen und Kulturwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von „kultureller Freisetzung“.

      MULTIPLES WERDEN

      Alternativen zu den traditionellen Entwicklungstheorien sind Mangelware. Die neueren Ansätze belassen es in der Regel bei der Dekonstruktion der alten Konzepte. Eine Ausnahme macht der englische Kindheitssoziologe Nick Lee (2001), der als Alternative zu den teleologisch konzipierten Entwicklungstheorien das Konzept einer „Multiplizierung des Werdens“ bzw. „multiplen Werdens“ ins Spiel gebracht hat. Mit diesem Konzept können Kompetenzen und Defizite zeitdiagnostisch sensibel bearbeitet werden.

      Lee schlägt vor, menschliches Leben, von Erwachsenen wie von Kindern, als Verwicklung in multiples Werden zu verstehen, und Differenzen zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Alters- und Bevölkerungsgruppen unter anderem im Rekurs auf die Extensionen zu bestimmen, in die Zeitgenossen jeweils eingebunden sind. Extensionen des Ichs sind in McLuhans (1964) Verständnis nicht nur Medien im engeren Sinne, also Bücher, Zeitungen, Fernsehen, Kino, Radio, Computer, Internet und Smartphone, sondern alle Einrichtungen, mit denen Menschen ihre Erfahrungsräume erweitern.

      Lee skizziert die Entwicklung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts mit der Zunahme und signifikanten Veränderungen der Ich-Extensionen. Die signifikanten Extensionen der Kinder – so die Argumentation – waren unter den Bedingungen moderner Kindheit bis in die Sechzigerjahre hinein vor allem Erwachsene. Solange der Produktionssektor bedeutsamer war als der des Konsums, war diese Extensionsform

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