Lebendige Seelsorge 5/2017. Группа авторов

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durch einen hintergründigen ‚argumentativen Trick‘: So gingen die Christen in der Spur jüdischen Gedankengutes rechtskonkret in der Weise vor, dass sie zwar den in der zeitgenössischen heidnischen Umwelt wohlbekannten Grundgedanken des Hausvaters (pater familias) übernahmen, diesen aber in seiner Bedeutung nicht auf den irdischen Hausvater begrenzten. So übertrugen sie die Hausvaterschaft – also unter anderem die rechtliche Verfügungsgewalt über die Kinder – exklusiv auf den christlichen Vatergott als den Schöpfer allen Lebens.

      Damit war den Menschen jedwede Verfügungsgewalt über das Leben von vornherein abgesprochen. Das geborene wie das ungeborene Leben unterstand allein der Hausvaterschaft Gottes. Grundlegender noch: Weil alle Menschen aus göttlichem Samen hervorgegangen seien, hätten alle Menschen auch Gott als ihren gemeinsamen Vater (Mt 23,9). Unter eben diesem Vorzeichen interpretierte man die Kinderbegegnung Jesu (Mk 10,15-16; Lk 18,15-17) als Ausdruck der Wertschätzung Jesu gegenüber den Kindern.

      Kurzum: Die Auswirkungen der neutestamentlichen Verpflichtung zur Nächstenliebe sollten sich mit Blick auf die Kinder historisch besonders anhand der christlichen Initiativen zugunsten von Kinderschutz und Kinderförderung zeigen.

      KINDERSCHUTZ UND KINDERFÖRDERUNG ZWISCHEN SPÄTANTIKE UND GEGENWART

      Zahlreich sind die christlich (mit-)initiierten Beispiele, die sich sowohl für den Kinderschutz als auch für die Kinderförderung anführen lassen: vom Verbot der Kindstötung bis hin zur Waisen- und Findelkindsorge, vom Kampf gegen die Abtreibung bis hin zum Verbot sexueller Gewalt gegenüber Kindern; von der Förderung behinderter Kinder bis hin zur Verbreitung der Fabrikschule, von den neuzeitlichen Entwürfen einer christlich mit beeinflussten „existentiellen Pädagogik“ bis hin zur „Erfindung“ der Kindergärten (vgl. Lutterbach).

      Das einsatzfreudige Mühen zahlreicher Einzelpersönlichkeiten und christlicher Gruppen steht hinter diesen großen entwicklungsgeschichtlichen Linien, die humanisierend gewirkt haben, selbst wenn ihre Impulse längst nicht immer zur Gänze realisiert werden konnten.

      Nur zwei Beispiele seien stellvertretend für eine große Tradition erinnert: So stemmte sich der nordafrikanische Bischof Augustinus von Hippo († 430) – gewiss nicht ohne alltagskonkrete Anhaltspunkte – mit dem Argument gegen die Tötung behinderter Kinder, dass doch alle Menschen von gleicher Abkunft seien: „Wer immer irgendwo auf Erden als Mensch, also als sterbliches vernunftbegabtes Lebewesen geboren ist, er mag eine für unsere Begriffe noch so ungewohnte Körperform haben, an Farbe, Bewegung, Stimme, Kraft und Teilen seiner natürlichen Eigenschaften noch so sehr von anderen abweichen; kein Gläubiger soll zweifeln, dass er seinen Ursprung aus jenem einen zuerst gebildeten Menschen herleitet“ (De Civitate Dei 16,8).

      Nicht weniger engagiert hörten seit dem 14. Jahrhundert Pädagogen wie Johannes Gerson († 1429) den Bibelvers „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“ auf gänzlich neue Weise. Während man Kinder bis dahin für kleine Erwachsene hielt (und sie auch entsprechend kleidete), gelangten diese spätmittelalterlichen Erzieher – inspiriert durch das genannte Schriftwort – zu einer bis dahin unbekannten Sicht auf die Kinder, indem sie sie in ihren Besonderheiten mit den Erwachsenen und deren Verhalten verglichen.

      Im Ergebnis legten diese Pioniere die Basis für eine seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert mehr denn je altersspezifische Pädagogik. Auf dieser Einsicht, die besonders die Reformpädagogen unter den Aufklärern mit zuvor unbekannter Breitenwirkung propagierten, ruhte fortan das Mühen um den Schutz, die Förderung und die Partizipation der Kinder, wie es in der UN-Kinderrechts-Gesetzgebung schließlich aufgipfeln sollte.

      „KINDER UND CHRISTENTUM“ IN DER GEGENWART – PARTIZIPATION ALS DESIDERAT?

      Nachdem die Christen – auf der Basis jüdischer Traditionen – im Bereich des Kinderschutzes und der Kinderförderung wesentliche Impulse in die Geschichte einbringen konnten, hinken sie in puncto „Kinderpartizipation“ aktuell um einiges hinter der gesellschaftlichen Entwicklung her.

      Der hier zugrunde gelegte Begriff von Partizipation orientiert sich am Stufenmodell des amerikanischen Psychologen Roger Hart. Er unterscheidet zwischen Teilhabe, Mitwirkung, Mitbestimmung, Selbstverwaltung und Selbstbestimmung von Kindern. Bei der Teilhabe können sich Kinder an Aktivitäten von Erwachsenen mit einem bestimmten Ziel beteiligen. Mitwirkung von Kindern liegt dann vor, wenn sie ihre Meinung kundtun, ohne allerdings mitentscheiden zu können. Mitbestimmung meint, dass die Initiative zwar auch von Erwachsenen ausgeht, aber eine Entscheidungsfindung gemeinsam mit den Kindern geschieht. Um Selbstverwaltung handelt es sich, wenn die Kinder als Gruppe völlige Entscheidungsfreiheit haben und es in ihrem Belieben steht, Erwachsene hinzuzuziehen oder nicht. Selbstbestimmung liegt vor, wenn Kinder ein Projekt initiieren, dessen Gestaltung von Erwachsenen mitgetragen wird (vgl. Hard, 185 f.).

      Wie stark die Partizipation und die Wahrnehmung von Partizipationsrechten mittlerweile die öffentliche Diskussion mitbestimmen, zeigt sich aktuell heilsam daran, dass Menschen, die vor einigen Jahrzehnten noch Kinder waren, heutzutage ihre Stimme erheben und sich zu Opferverbänden zusammenschließen, ja dass sie die ihnen auch in kirchlichen Einrichtungen widerfahrene Gewalt inklusive ihrer damaligen Macht- und Wortlosigkeit inzwischen vernehmlich anklagen.

      An anderer Stelle habe ich historisch umfassend ausgeführt, welche Tragik dahintersteckt, wenn ausgerechnet die Kirchen die Kinder erstens zu Opfern von körperlicher oder gar sexueller Gewalt werden ließen und mit ihrer hierarchischen Struktur dazu beitrugen, dass sich Kinder zweitens nicht gegen die Gewalt wehren konnten, weil sie kaum gelernt hatten, sich zu widersetzen und für ihr Recht auf körperliche wie geistige Unversehrtheit selber einzutreten bzw. sich mit anderen Menschen in diesem Kampf zu verbünden.

      Tatsächlich wird an dem Beispiel der sexuellen Gewalt von Klerikern gegenüber Kindern sowie an dem Umgang mit diesen Vergehen deutlich, dass die Kirche sich im Bereich des Kinderschutzes und der Kinderpartizipation Versagen vorzuwerfen hat!

      Grundsätzlich ist die Partizipation auch in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen zur zentralen Forderung der Kinderkulturarbeit und der Kinderpolitik geworden. Allerdings werden Christen und Kirchen in der Öffentlichkeit gemeinhin offenbar in der Weise wahrgenommen, dass sie ihr in vielen gesellschaftlichen Bereichen wirkungsvolles Schutz- und Förderengagement auf Kosten der Partizipation von Kindern verwirklichen, so dass man diese Position mit der britischen Kindheitsforscherin Gerison Lansdown in folgender Weise charakterisieren könnte:

      „Es ist das Vorherrschen eines schutzbetonten Modells in der Konstruktion unserer Beziehungen zu Kindern, das die Entwicklung einer angemessenen Anerkennung der tatsächlichen Partizipationsfähigkeit von Kindern oft verhindert hat. […] Und es ist der kindliche Bedarf an Schutz, der benutzt worden ist, um den fortdauernden Widerstand dagegen zu rechtfertigen, den Kindern eigene Entscheidungen über ihr Leben einzuräumen.“

      Insofern sich die christlichen Kirchen offensiver als bislang an die Verwirklichung der Partizipation und der Partizipationsrechte zugunsten der Kinder heranwagten, könnten sie in Deutschland auch einen substantiellen Beitrag leisten, um die Kinderrechte endlich im Grundgesetz zu verankern.

      Ebenso wäre die kirchliche Beteiligung an Netzwerken und Forschungseinrichtungen zugunsten von Kinderrechten und Kinderpolitik hilfreich; denn bislang finden sich keine Kirchen oder kirchliche Vereinigungen unter den Mitgliedern bedeutender Kinderrechtsorganisationen.

      DIE ACHTUNG GEGENÜBER DEN KINDERN – INKULTURATIONSPROZESS OHNE ENDE?

      Die Wichtigkeit einer christlich-kirchlichen Öffnung gegenüber der Partizipation und den Partizipationsrechten von Kindern zeigt sich hervorragend daran, dass ansonsten auch die übrigen, gegen vielerlei Widerstände durchgesetzten Inkulturationsleistungen von Christen und Kirchen – Kinderschutz und Kinderförderung – weiter noch als bisher in Vergessenheit

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