Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler
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Im Rückblick auf die Entfaltung des ersten Teils seiner mit „Herrlichkeit“ betitelten dreibändigen theologischen Ästhetik kommt Balthasar im dritten Band resümierend auf den Begriff der Gestalt zu sprechen.279 Ausgehend von der Vielfalt menschlicher Erfahrungen, die sich in großen Beispielen der Weltliteratur spiegeln, führt er aus: „Hier wo in verschiedenen Graden der Deutlichkeit das je Ganze des Seins am einzelnen Seienden aufleuchtet, bietet sich der Begriff der Gestalt an. Er meint eine als solche erfaßte, in sich stehende begrenzte Ganzheit von Teilen und Elementen, die doch zu ihrem Bestand nicht nur einer ‚Umwelt‘, sondern schließlich des Seins im ganzen bedarf und in diesem Bedürfen eine (wie Cusanus sagt) ‚kontrakte‘ Darstellung des ‚Absoluten‘ ist, sofern auch sie auf ihrem eingeschränkten Feld seine Teile als Glieder übersteigt und beherrscht.“280 Mit Bezug auf Goethe und dessen Verständnis von Erhabenheit fährt Balthasar fort: „Alles begegnende Wirkliche ist in analogischen Abstufungen gestalthaft, wobei die ‚Höhe der Gestalt‘ beurteilt wird nach der größeren Macht der Einheit, gleiche Mannigfaltigkeit zu versammeln (Ehrenfels), aber alle geistig erblickbaren Gestalten über sich auf das vollständige und vollkommene Sein verweisen, das nach Goethe ‚von uns nicht gedacht werden kann‘. Das Licht, das aus der Gestalt bricht und sie dem Verstehen öffnet, ist somit untrennbar Licht der Form selbst (die Scholastik spricht deshalb vom splendor formae) und Licht des Seins im ganzen, worin die Form badet, um überhaupt einshaft Gestalt haben zu können. Mit der Immanenz steigt die Transzendenz. Ästhetisch gesprochen: Je höher und reiner eine Gestalt, desto mehr bricht das Licht aus ihrer Tiefe hervor und desto mehr verweist sie auf das Lichtgeheimnis des Seins im ganzen. Religiös gesprochen: je geistiger und selbständiger ein Wesen ist, um so mehr weiß es in sich um Gott und umso klarer verweist es auf Gott.“281 Mit Blick auf die bibilische Offenbarung, die in der Menschwerdung gipfelt, weist Balthsar schließlich hin auf die der einzelnen Gestalt innewohnende Dimension des Verweisens über sich hinaus: „Somit bedient sich das absolute Sein, um sich in seiner unergründlichen personalen Tiefe kundzutun, der Weltgestalt in ihrer Doppelsprache: unaufhebbarer Endlichkeit der Einzelgestalt und unbedingtem, transzendierendem Verweis dieser Einzelgestalt auf das Sein im ganzen.“282 Das erscheinende Phänomen ist dabei zugleich gelichtet und bleibt doch dem integrierenden, sich eneignenden Verstehen entzogen. Es kann vom erkennenden Subjekt nicht eingeholt werden, da es ihm mit der Qualität eines „Wunders“ begegnet. Das gilt in verdichteter Form von der personalen Begegnung: „Eine mir geschenkte Liebe kann ich je nur als ein ‚Wunder‘ verstehen, empirisch oder transzendental aufarbeiten kann ich sie nicht, auch nicht aus dem Wissen um die gemeinsam umgreifende Menschen – ‚Natur‘; denn das Du ist der je Andere mir gegenüber. Der zweite Ansatz liegt im Ästhetischen, das neben Denkhaltung und Tathaltung eine dritte, nicht rückführbare Späre darstellt. Bei Erfahrungen ausgezeichneter Schönheit – in Natur wie in Kunst – wird das sonst mehr verhüllte Phänomen in seiner Unterscheidbarkeit greifbar: Was uns entgegentritt, ist überwältigend wie ein Wunder und darin vom Erfahrenden niemals einzuholen, besitzt aber gerade als Wunder eine Verstehbarkeit: es ist fesselnd und befreiend zugleich, wie es sich unzweideutig als ‚erscheinende Freiheit‘ (Schiller) von innerer unbeweisbarer Notwendigkeit gibt.“283
4.2.2 Eingestaltung in Jesus Christus und Teilhabe an seiner Sendung der Liebe
Die offenbarungsexplikatorische Funktion, die der Gestaltbegriff bei Balthasar hat, erlaubt dem Basler Autor, (metaphysisch-)philosophische und theologische Sichtweisen mit Blick auf das Christusereignis284 und seine ekklesiologische Bedeutung zu integrieren.285 Der Gestaltbegriff ermöglicht ihm, die spezielle Form der Teilhabe der Gläubigen am Christusereignis zu illustrieren. Diese sind ihm zufolge dazu berufen, der in Christus erschauten Gestalt ‚eingestaltet‘ zu werden. Karl-Heinz Menke führt dazu aus: „Wäre der Erlöser nur ein geistiges, geistliches oder sittliches Vorbild, dann wäre seine Geschichte (sein ‚concretum‘) nur ein Beispiel, nicht aber die Bedingung der Möglichkeit bzw. die Norm (das ‚universale‘) jedes Christen. Christ – so betont Balthasar – wird man nicht durch Nachahmung, sondern durch die vom Heiligen Geist bewirkte Eingestaltung der eigenen Existenz in die des Erlösers.“286 Ziel dieser Eingestaltung ist es, am ‚Sohnesgehorsam‘ Jesu Christi gegenüber der vom göttlichen Vater erhaltenen Sendung Anteil zu erlangen und dieser Sendung aus Liebe zu entsprechen. Für Balthasar ist dieser vertrauensvolle Gehorsam Jesu Christi gegenüber seinem himmlischen Vater das Proprium, das ihn zuinnerst kennzeichnet: „Das Wo des Sohnes, das seinen Stand festlegt, ist also, mag er sich im Schoße des Vaters oder auf den Wegen der Welt befinden, stets eindeutig: es ist die Sendung, der Auftrag, der Wille des Vaters. Hier ist er jederzeit anzutreffen, weil er der Inbegriff der väterlichen Sendung selbst ist.“287 Entsprechend formuliert John O’Donnell: „Wenn es einen Schlüssel gibt, der das Geheimnis der Identität Jesu erschließt, so ist dies für Balthasar der Gehorsam Jesu gegenüber seinem himmlischen Vater.“288 Was vom Basler Theologen mit Gestalt programmatisch gemeint ist, erschließt auch einen Zugang zum Verständnis seiner voluminösen, 16 Bände umfassenden „Trilogie“289, die sein über nahezu drei Jahrzehnte gewachsenes Hauptwerk darstellt. Die Rede von Gestalt ist ihm dabei Teil einer besonderen Bestimmung von Fundamentaltheologie290 als „Erblickungslehre“ und von Dogmatik als „Entrückungslehre“. So muss Balthasar zufolge „eine theologische Ästhetik sachgerecht in zwei Zeiten entwickelt werden. Sie umfasst: 1. die Erblickungslehre – oder Fundamentaltheologie; Ästhetik (im kantschen Sinn) als Lehre von der Wahrnehmung der Gestalt des sich offenbarenden Gottes. 2. Die Entrückungslehre – oder dogmatische Theologie; Ästhetik als die Lehre von der Menschwerdung der Herrlichkeit Gottes und von der Erhebung des Menschen zur Teilnahme daran. Es könnte als spielerisch erscheinen, daß der Begriff Ästhetik in dieser doppelten Bedeutung verwendet wird. Aber ein wenig Überlegung zerstreut das Bedenken, gibt es doch keine theologische Wahr-nehmung außer in der lux tuae claritatis, in der Gnade des Sehen-lassens, die selber schon objektiv zur Entrückung gehört und subjektiv die Hingerissenheit des Menschen zu Gott wenigstens einleitet. In der Theologie gibt es keine ‚bloßen Fakten‘, die man ohne jede (objektive und subjektive) Ergriffenheit und Teilnahme (participatio divinae naturae) wie irgendwelche weltlichen Fakten sonst feststellen könnte, in der angeblichen Objektivität des Teilnahmslosen, Unbeteiligten, Sachlichen. Denn die objektive Sache, um die es geht, ist die Teilnahme des Menschen an Gott, die sich von Gott her als ‚Offenbarung‘ (bis zur Gottmenschheit Christi), vom Menschen her als ‚Glaube‘ (bis zur Teilnahme an der Gottmenschheit Christi) verwirklicht. Diese doppelte beidseitige Ekstase – Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott – ist schlechterdings der Inhalt der Dogmatik, die deshalb mit Recht als Entrückungslehre darstellbar ist, als das admirabile commercium et conubium zwischen Gott und Mensch in Christo Haupt und Leib“291
Der Gestaltbegriff dient Balthasar somit zur Explikation seiner Christologie, die er in ästhetischer Perspektive zu erhellen sucht. Dazu bemerkt John O’Donnell: „Einer von Balthasars Hauptbeiträgen zur Christologie ist sein Versuch, ästhetische Kategorien zur Erleuchtung des Geheimnisses Christi anzuwenden. Für Balthasar besteht die ästhetische Erfahrung im Wesentlichen aus zwei Dimensionen: Der Form, mit ihrer Harmonie, Proportion, und ihrem Maß, und der Ekstase, wenn der Betrachter in die Form hineingezogen wird. Wichtig ist hier, daß die Einheit der Form ihre Teile transzendiert. Die Wahrnehmung der Form besteht darin, die Ganzheit der Form zu erkennen, die mehr ist als die Summe ihrer Teile.“292 Die Balthasarsche Trilogie kann im Ganzen als christologische Explikation gelesen werden, die in jedem ihrer Teile vom geschichtlich und kirchlich sich vermittelnden Christus ausgeht und ihn in den Mittelpunkt stellt. Auf die Schau dieser Gestalt richtet sich der Blick immer neu: „Balthasar beginnt seine Trilogie nicht mit einem ‚philosophischen Ansatz‘, sondern mit einem Blick auf das Phänomen ‚Jesus Christus‘. Am Anfang (Herrlichkeit) steht das Staunen über die ‚Lichtung des Ganzen in der Gestalt diesen Einen‘ […] In der Mitte der Trilogie (Theodramatik) steht die Erklärung der ‚Herrlichkeitsgestalt‘ Jesu Christi als