Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler
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4.2.5 Integration der Gestaltüberlegungen in eine Gebetstheologie nach Auschwitz
Beispielhaft für eine grundlegende Infragestellung betont ästhetischer Zugänge zur (Gebets-) Theologie kann die Position von Johann Baptist Metz gewertet werden. In ihren konzeptionellen Grundzügen wurde sie bereits oben skizziert. Mit Blick auf die Gestalttheologie Balthasars wird die Metzsche Perspektive hier erneut eingenommen, um die Gefährdungen zu markieren, die mit der Diktion des Basler Theologen gegeben sein können.312 Auf dieser Basis mag im weiteren Fortgang der Untersuchung eine reflektierte Verwendung des Gestaltbegriffs möglich werden, der die Balthasarschen Anregungen kritisch reflektiert aufnimmt.
Wenn Metz eine betonte Ästhetisierung der Theologie kritisiert, will er dabei auf Gefahren aufmerksam machen, die ihm zufolge eine in sich geschlossene, gegenüber Brüchen und desintegrierbaren Momenten sich verweigernde, subjekt- und geschichtsvergessene Theologie stets als Begleiter bei sich hat. Eine solche Theologie sieht er durch eine betont dem „Schönen“ sich zuneigende Diktion noch stärker solchen Gefährdungen ausgesetzt. Sie weist in hohem Maße eine „Affirmationsfreudigkeit“313 auf und eine „Verblüffungsfestigkeit“,314 die sich gegenüber Nichtintegrierbarem verschließt. Nichtintegrierbares jedoch scheint Metz zufolge im Gebet auf als Klage und Sehnsucht, als Vermissen und Schrei. Es kann kaum erstaunen, dass vor allem Hans Urs von Balthasar in dieser Perspektive von Metz kritisch gesichtet wird.315 So moniert Metz an der Diktion dieses Theologen: „Kein Hauch von Unversöhntheit liegt über der Theologie! Keine Erfahrung von Nichtidentität, in der die ach so gewisse Rede über Gott in die ratlose Rede zu Gott umschlägt.“316 Mit Blick auf Hans Urs von Balthasar bemerkt auch Martha Zechmeister: „Denn so sehr die Theologie Balthasars als ‚geschichtliche‘ und ‚theodramatische‘ entworfen ist, so legt sie doch diese ‚Gottes-Geschichte‘ und dieses ‚Gottes-Drama‘ so aus, daß sie kaum von der Gebrochenheit und Katastrophizität der Weltgeschichte affiziert ist.“317
Die Gefahren solcher theologischen Ansätze bestehen für Metz schon darin, dass die in der biblischen Gebetssprache sich überdeutlich zeigenden Kategorien der „Frage“ und der leidgespannten „Klage“ als Ausdruck theologischer Rede grundlegend depotenziert werden, wo jedwedes Leid in der Gestalt Jesu Christi schon systematisch integriert gesehen und innergöttlich in trinitätstheologischer Perspektive „verewigt“ wird. Metz sieht das am Werke, wo Autoren geneigt sind, „mit explizit trinitätstheologischen Motiven“ die Theodizeefrage „auf eine innergöttliche Geschichte hin zu durchschauen und zu beschreiben“.318 Diese Tendenz erblickt er auch beim Basler Theologen: „[…] auf katholischer Seite vor allem bei Hans Urs von Balthasar […] spricht man vom leidenden Gott, vom Leiden zwischen Gott und Gott, vom Leiden in Gott. Ich kann mich nicht anschließen.“319
Tatsächlich sieht Balthasar bei Jesus Christus eine alle menschliche Verlassenheit grundlegend und qualitativ übersteigende „Gottverlassenheit, zu der er allein als der Sohn fähig ist, und die jede mögliche Hölle quantitativ unterfaßt“.320 Für Balthasar ist diese radikale Differenz allerdings begründet und situiert in der „innertrinitarischen Differenz zwischen Vater und Sohn“321 und ein Moment am umfassenden Heils- und Erlösungswillen Gottes, das der Basler Theologe nahe bringen will. Diese innergöttliche Trennung sieht Balthasar in soteriologischer Perspektive wirksam bei der Frage, wie die Qualität von „Hölle“ als gesteigerter Gottesferne überwunden werden kann, „nämlich nur an diesem Ort innerhalb der Differenz der Hypostasen“.322 Die Entfernung zwischen „Vater und Sohn weitet sich, um der Überwindung der ‚Hölle‘ in den trinitarischen Relationen willen, gleichsam in einer letzten Überdehnung: Gott – der Sohn – sucht in der letzten Finsternis der Sünde Gott – den Vater.“323 Balthasar kann daher jedes negative Moment der Geschichte und der Sünde als in der „innersten Positivität des trinitarischen Lebens“ bereits überwunden und „aufgehoben“ ansehen.324 Dort erblickt er ein Geschehen der innergöttlichen Selbstverherrlichung: „der Gang der Liebe ‚bis ans Ende‘ (Joh 13,1) ist als solcher Selbstverherrlichung.“325 Wo jedoch jedwedes menschliche Leid im Hiatus zwischen dem göttlichen Sohn und dem ewigen Vater innertrinitarisch situiert und von daher in seiner Perspektive schon total überwunden und erlöst angesehen wird, da werde Metz zufolge326 dem Abgründigen des menschlichen Leids nicht entsprochen und auch der Schrei Jesu Christi am Kreuz überhört. Metz befürchtet, dass dadurch die innere Virulenz des in der Klage sich manifestierenden Gebetsgeschehens auf diese Weise entschärft wird, dass diese Virulenz gleichsam in Gott „aufgehoben“ und dadurch in ihrer schmerzlichen Schärfe verdeckt wird. Dabei sieht er gerade im „Schrei“327 diejenige Anrede an Gott, die um seine baldige Initiative zur Rettung ruft und die den Horizont einer leidvoll gespannten Erwartung seines machtvollen Kommens immer neu wachhält. Dem gegenüber sieht er ästhetisierende Entwürfe in der Tendenz, sich gegen das menschliche Leid zu immunisieren und es zu integrieren, statt sich von ihm fundamental irritieren und unterbrechen zu lassen. Er sieht eine fatale Entspannung am Werke, wo es um das Gegenteil, nämlich eine apokalyptische Zeitsensibilität und eine gespannte, entsprechende Aufmerksamkeit gehe. In verdichteter Form fasst Maria Zechmeister zusammen: „Den zerstörten Antlitzen standhalten – und Gott-vermissen. Auf diese kürzeste Formel kann wohl die Karsamstagserfahrung im Kontext neuer Politischer Theologie gebracht werden.“328
Dieser von Metz durchgängig aufgeworfenen Anfrage an in sich geschlossene, theologisch-ästhetisch formierte Gedankengänge möchte sich die vorliegende Untersuchung stellen und in ihrem Duktus darauf Bezug nehmen. Das Anliegen dabei ist, die Darstellungsweise und theologische Begrifflichkeit Balthasars im Rahmen seines Gestaltverstehens so aufzugreifen, dass die genannten Gefährdungen möglichst vermieden werden. Nur wo es gelingt, die Gestalt des Betens der Edith Stein aufzuweisen, ohne dabei das Ersticken ihrer Stimme in Auschwitz vom Duktus der eigenen theologischen Darstellung her zuzudecken oder auszublenden, kann die Aussicht bestehen, eine Rede von der ‚Gestalt‘ ihres Betens im Munde zu führen, die nicht inadäquat wird. Wo der Versuch unternommen wird, die an Edith Stein aufscheinende Gebetsgestalt zu konturieren und aus sinndeutenden Horizonten zu erschließen, dort soll der Gedanke an die Brüchigkeit im Sinn bleiben, die dem Kapuziner Thomas Dienberg zufolge alle theologische Sprache und auch das Gebet nach Auschwitz auszeichnet. Er schreibt: „Die Sprache nach Auschwitz ist gebrochen, das Gebet nach Auschwitz ist gebrochen.“329 Eine Skizze der Gebetsgestalt unserer Autorin kann daher nur so gezeichnet werden, dass jener Bruch als geschichtliche Erschütterung die ausführende Hand des Zeichners berührt und dass diese Berührung in aller Darstellung von Gebetsmomenten der Edith Stein untergründig wirksam bleibt.
4.3 Zur Formulierung „Kirchliche Existenz“
In der Formulierung „kirchliche Existenz“ ist eine Verbindung von zwei mit Bedeutung gefüllten Wortfeldern geschaffen. Dadurch entsteht ein neuer semantischer Bedeutungsraum.