Der Mann, der Troja erfand. Leoni Hellmayr

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Der Mann, der Troja erfand - Leoni Hellmayr

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durch Heinrichs Abreise aus Amsterdam seinen Halt verloren habe. Den Brief schließt er mit folgenden Worten: »Nun lieber, guter Heinrich, lebe mir wohl, recht wohl, wahrscheinlich die letzten Zeilen in diesem Erdenthal hienieden! – Bitte mitunter zu denken, Deines Dich liebenden Bruders Paul.«

      Nur wenige Wochen später erhält Heinrich einen Brief von Ludwig, dessen Inhalt ihn überrascht: In wenigen Stunden werde Ludwig auf einem Schiff nach New York reisen. Er teilt ihm mit, dass er von Schröder Geld bekommen habe, das Heinrich in Rechnung gestellt würde – Ludwig würde es ihm zurückzahlen, sobald er könne. Versöhnlich schlägt er vor, an ihrem früheren guten Verhältnis wieder anzuknüpfen. Sein Brief endet mit dem Satz: »Vielleicht sehe ich Europa nicht wieder! – Ach ich habe noch so sehr viel zu arrangiren.«

      *

      Am 21. Mai 1850, zwei Jahre nach seiner Abreise aus Europa, stirbt Ludwig mit fünfundzwanzig Jahren an Typhus. Bis nach Sacramento City war er gekommen, und hatte dort in den letzten Monaten vor seinem Tod eine abenteuerliche Zeit verbracht. Ein ehemaliger Geschäftspartner Ludwigs sendet Heinrich die Todesanzeige aus einer Zeitung.

      Wiederum zwei Jahre später, im Oktober 1852, wird sich Paul mit einundzwanzig Jahren das Leben nehmen. Bis zum Schluss weiß er nicht, wohin er will. Mal möchte er nach Amerika auswandern, mal in einer Gärtnerei sein berufliches Glück suchen. Einige Zeit arbeitet er als Aufseher auf einem gräflichen Gut, zuletzt bewirbt er sich um die Stelle eines Wirtschafters. Vom Vater zieht er niemals weg. Wenige Wochen vor seinem Tod verfasst Paul in einem Brief an Wilhelmine auch ein Gedicht, das seiner Hoffnungslosigkeit Ausdruck verleiht. Es trägt den Titel Betrachtungen der Einsamkeit.

      Ernst Schliemann kann es kaum fassen, wie das Schicksal ihm mitspielt. »Er, der mir eine mächtige Stütze in meinem hohen Alter hätte seyn können, ist nun das Gegentheil geworden und hat gleichsam meine Grabstätte schnell bereitet!«, schreibt er über Pauls Tod.

      Und über den Tod seines Sohnes Ludwig: »Oh Ludwig! – Wärst Du in Europa geblieben, so hättest Du jetzt meinen Gasthof übernehmen können!«

      Mit dem Kauf des Grundstücks, auf dem die Gaststätte stand, hatte sich Ernst Schliemann in finanzielle Schwierigkeiten gebracht.

      Heinrich ist der letzte Sohn, der aus der Ehe von Ernst und Luise Schliemann übrig geblieben war. Auf ihm ruhen nun die Hoffnungen der gesamten Familie.

      *

      Ein Segelschiff glitt über das Wasser. Fuhr es mitten im weiten Ozean oder auf einem schmalen Fluss? Bewegte es sich überhaupt? Von dichtem weißen Nebel eingehüllt, hätte es überall sein können, es hätte ankern oder dahingleiten können, backbord oder steuerbord. Ohne einen landschaftlichen Hintergrund, ohne jedweden Zusammenhang schien es in diesem Moment von allem losgelöst zu sein und einfach zu existieren. Auf Deck hatten sich alle Passagiere versammelt, keiner von ihnen hielt es noch länger in den engen Kabinen aus. Die lange Reise hatte ihre Spuren in den erschöpften Gesichtern hinterlassen, aber in den Augen der meisten sah man ein Funkeln, eine Vorfreude auf etwas, das hinter dem Nebel liegen musste. Der Augenblick würde gleich kommen, manche hofften, manche wussten es. Er musste gleich kommen. Schließlich hatte der Kapitän es gestern Abend angekündigt. Aber noch sahen sie nichts und hörten nichts – außer dem sanften Klatschen des Wassers an der Schiffswand.

      Plötzlich schimmerte eine Stelle in der Nebeldecke. Tatsächlich, bei genauem Hinsehen erkannten immer mehr Passagiere Schemen und Kontraste von Hell und Dunkel. Zunächst sahen sie es nur durch angestrengtes Fokussieren, dann gelang es immer müheloser. Der Nebel verzog sich, schob sich wie ein Vorhang zu beiden Seiten weg. Für einige Minuten diente er noch wie die Umrahmung eines Bildes: ein Anblick, der bei vielen Passagieren ein erleichtertes Seufzen auslöste. Vor ihnen lag eine Küste, nicht allzu weit entfernt. Und da entdeckten sie andere Schiffe, manche von ihnen nur als Punkt am Horizont. Als säße ein unsichtbarer Riese an Land, der die Schiffe mit Bindfäden langsam zu sich zog, steuerten sie aus unterschiedlichen Seiten in die gleiche Richtung: in die Bucht von San Francisco. Alle Menschen kamen mit demselben Ziel. Gold soll es hier geben, war ihnen zu Ohren gekommen.

      Kaum ein halbes Jahr zuvor war das Sensationelle geschehen: Ein Arbeiter hatte am American River rein zufällig ein Goldnugget gefunden. Trotz der Versuche, die Nachricht geheim zu halten, verbreitete sie sich rasant. Erst flüsterten es sich die Bewohner der Gegend zu. Sie ließen die angefangene Arbeit liegen und stürzten davon, vergaßen ihr Vieh, ihre Häuser, ihr Land, das sie wenige Jahre zuvor mit so großem Stolz zu ihrem Eigentum erklärt hatten. Der Wunsch, Gold zu finden, war größer. Am Fundort angekommen, mussten sie nur etwas Sand auf die Siebe streuen und es hin und her schütteln. Bald blieben kleine Goldstücke im Geflecht hängen, glitzerten verführerisch in den Händen des Finders. So einfach war es also: mit einigen Schwenkern zu Glück und Reichtum.

      Die Nachricht zog immer größere Kreise. Bald wusste ganz Kalifornien Bescheid. Auch die Landesgrenzen waren kein Hindernis. Als der Weg von Mund zu Mund nicht mehr weiterging, kam der Telegrafenmast zum Einsatz. So gelangte sie über Ozeane hinweg und wurde in die Welt verkündet. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Von überallher reisten die Menschen, überwanden größte Distanzen, um nach Kalifornien zu kommen. Zu wenig hatten sie in ihrer alten Heimat zu verlieren, zu groß war der Wunsch, den traditionellen Strukturen zu entfliehen und ein neues Leben zu beginnen. Die Nachricht versprühte einen suchterregenden Geruch von Freiheit und Reichtum.

      Der spektakuläre Fund hatte sich im Januar 1848 ereignet. Während in San Francisco zu diesem Zeitpunkt ungefähr neunhundert Seelen lebten, waren bereits ein halbes Jahr später mehr als doppelt so viele Menschen hierher gezogen. Am Ende desselben Jahres war die Einwohnerzahl auf zwanzigtausend gestiegen. Täglich ankerten neue Schiffe in der Bucht. Mit den Passagieren gingen zumeist auch die Matrosen an Land und kehrten nie mehr zurück an Bord. Die Neuankömmlinge zogen weiter ins Landesinnere, entlang des American River, oder ließen sich direkt in San Francisco nieder. Denn wer nicht Gold suchen wollte, kam mit anderen Ideen, aus denen sich Geld machen ließ. Die vielen Goldsucher brauchten schließlich Zelte zum Wohnen, Kleidung, Lebensmittel – und jemanden, der ihnen das Gold abkaufen würde. In San Francisco entstanden Banken und Unternehmen wie Levi Strauss & Co. Die Stadt entwickelte sich zum wirtschaftlichen Zentrum Kaliforniens.

      Während in den ersten Jahren nach der Entdeckung des Goldnuggets endlose Karawanen aus Reitern, Pferdewägen und Fußgängern von der Ostküste monatelang durch die Prärien zogen und sich mühsam über die Rocky Mountains kämpften, gab es für die besonders Ungeduldigen noch zwei andere Wege. Einer führte per Schiff um das Kap Horn, der andere über den Isthmus von Panama. Letztere Möglichkeit war deutlich schneller als die anderen Wege, dafür aber auch viel gefährlicher.

      Als Heinrich Schliemann sich nach dem Tod seines Bruders Ludwig entscheidet, nach Kalifornien aufzubrechen, muss er nicht lange überlegen, auf welchem Weg er sein Ziel erreichen will.

      *

      Im Frühjahr 1850 ist es so weit. Schliemann verlässt St. Petersburg mit dem Gefühl, nicht viel verlieren zu können. Oder anders gesagt: Den Inhalt seines Lebens, sein Vermögen, nimmt er einfach mit. Verpflichtungen gegenüber anderen hat der Achtundzwanzigjährige nicht. Für Schröder arbeitet er mittlerweile auf eigene Rechnung, sodass er ihm bezüglich seiner Lebenspläne keine Rechenschaft mehr schuldig ist. Und seine Versuche, eine Ehefrau zu finden, sind bislang gescheitert. Nachdem Schliemann über Minna Meinckes Hochzeit informiert worden war, hatte er seine Suche innerhalb der St. Petersburger Gesellschaft fortgeführt. Zwei auserwählte Frauen hätte er sich tatsächlich als lebenslange Begleiterinnen vorstellen können. Sophie Hecker hieß eine von ihnen, eine gebürtige Deutsche, die mit ihren Eltern nach Russland gezogen war. Schliemann schätzte drei ihrer Talente ganz besonders: Sie beherrschte drei Sprachen, spielte Klavier und war bescheiden. Gekränkt musste Schliemann die Beziehung aufgeben, als er ihre unangemessene Offenheit gegenüber einem Offizier bemerkt

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