Sisi, Sex und Semmelknödel. Omar Khir Alanam

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Sisi, Sex und Semmelknödel - Omar Khir Alanam

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Alte Hüte aufwärmen? Warum wärmen Menschen ihre Hüte auf? Noch dazu alte?

      Ich denke darüber nach und komme bald auf einen braunen Zweig. Nein, der Zweig ist grün. Vielleicht, sage ich mir, hat es ja mit dem Wetter hier zu tun. Ich würde es verstehen, wenn Menschen ihre Hüte aufwärmen und danach, wenn sie ofenwarm wie ein Fladenbrot sind, über den Kopf stülpen. Bis hinunter über die Ohren. Einfach, damit ihnen die Gedanken nicht einfrieren. Wie sonst sollen sie diese Kälte aushalten? Brrrrrrrrr.

      Und dafür nehmen sie eben lieber alte Hüte her. Das leuchtet mir ein. Weil es bei alten Hüten ziemlich egal ist, wenn etwas schiefläuft und sie beim Aufwärmen auseinanderfallen. Oder sich verkriechen. Oder sich zusammenziehen, bis sie sooo klein sind. Wie wenn ein Mann in eiskaltes Wasser springt und dann nackt an sich hinabsieht und entdeckt, dass ER… na, Sie wissen schon. Sooo klein, wie man IHN auf der Herrentoilette nicht zu Gesicht bekommt. Weil man lieber in eine Fliesenwand starrt und schweigt. Und dem Hut, sage ich mir, geht es auch nicht besser. Kein Wunder. Bei den Temperaturen.

      Apropos Hut: Ist der Hut, den Andreas Gabalier auf der Bühne trägt, auch so ein alter? Trägt Gabalier überhaupt Hut, wenn er singt? Oder singt er alte Hüte? Singt Gabalier überhaupt?

      Ich weiß es nicht. Über Geschmack lässt sich ja nicht streiten, sagen wir Araber. Die Araber. Daran muss ich wohl noch arbeiten auf meinem Weg zum gelernten Österreicher. Ich muss gewisse Wissenslücken auffüllen wie der Zahnarzt einen hohlen Zahn. Was ich weiß, ist: Gabalier macht es auch mit dem Terminator. Der mit dieser besonders lustigen Variante des ohnehin schon lustigen steirischen Dialekts. Arnie rufen sie ihn hier. Ja, Arnie und der Gabalier. Das ist noch gar nicht so lange her. Mai, 2019. »Pump it up«, heißt der Titel, hab ich gelesen. Der … Song? Ein Duett jedenfalls. Oder sollte man besser sagen: Duell?

      Wie auch immer. Das Ganze fügt sich nahtlos ein in die Reihe jener vielen Dinge hier, in Österreich, die mich ratlos zurücklassen. Und wo ich dann zu Alena gehe, sie in den Arm nehme und sage:

      »Erklärst du es mir, bitte?«

      Alena sagt nicht immer zu allem etwas. Bei Gabalier und Arnie zum Beispiel lächelt sie nur still und sehr rätselhaft. Aber sie klärt mich, einmal mehr, über etwas anderes auf. Darüber, was es mit den alten Hüten auf sich hat. Und mit dem Aufwärmen von alten Geschichten. Wie es richtig heißt. Bei uns.

      Ya-iIlahi. Diese deutsche Sprache. Alena ist es übrigens auch zu verdanken, dass ich gelernt habe, meine Winterjacke zuzumachen. Reißverschlüsse an Jacken haben in Syrien meist nur dekorativen Charakter. Sie sind eine Möglichkeit, die du wahrnimmst. Oder nicht.

      Wie das Bezahlen von Steuern. Oder das Beantragen einer Steuernummer (mit der man hier, wie ich höre, fast schon geboren wird). In Syrien und anderen arabischen Ländern ist all das nichts weiter als eine Möglichkeit. Eine von vielen kreativen Chancen, dein Leben in die eine oder andere Richtung zu lenken. Nicht einmal eine dringende Empfehlung. Aber, wie gesagt: Alles schön der Reihe nach. Wir waren ja hier stehengeblieben:

      Bei uns.

      Und bei dem Film, den mir mein neugieriger Freund ans Herz legt. Nein, nicht ans Herz legt. Er besteht darauf, dass wir ihn uns ansehen.

      »Das ist Kult, Omar« sagt er.

      Die Kultur in Österreich liegt mir. Warum nicht auch etwas, das hier Kult ist? Also folge ich artig und klappe den Laptop auf.

      Es beginnt mit fröhlicher Musik aus einer Panflöte, dazu sehr rhythmische Trommelklänge wie aus dem afrikanischen Busch. Dann sehe ich ein erstes Insert in fetten gelben Buchstaben: Fremde Länder, fremde Sitten. (Dabei fällt mir als integrierter Halb-Österreicher spontan ein, was die Männer hier gerne sagen, wenn sie auf Herrenurlaub unterwegs sind: Fremde Länder, fremde Titten – aber bleiben wir doch lieber bei dem Film):

      Denn gleich danach folgt schon die Kernbotschaft: Kayonga Kagame zeigt uns die Welt. Zu sehen ist ein schwarzafrikanischer Filmemacher, der seine Kamera auf der Schulter trägt und sich mit einem angespannten Lächeln langsam von einer Seite zur anderen dreht. So, als würde er gerade filmen und dabei staunen.

      Wo bin ich hier gelandet?

      Eine Sekunde danach weiß ich es, denn der zweiteilige Titel des Filmes wird nach und nach eingeblendet:

      Erster Teil: Das unberührte und rätselhafte Oberösterreich.

      Zweiter Teil: Das Fest des Huhnes.

      Mein Freund, der Journalist, lacht bereits das erste Mal, und ich habe keine Ahnung warum. Natürlich werde ich Ihnen jetzt nicht den ganzen Film nacherzählen. Den finden Sie jederzeit über Google. Er stammt aus dem Jahr 1992, ist also nur ein Jahr kürzer auf der Welt als ich es bin.

      Aber für alle, die ihn nicht kennen, ein paar Worte, worum es da geht: Afrikanische Forschungsreisende haben sich ins Herz von Europa aufgemacht, um für diese bei den Afrikanern scheinbar sehr beliebte Sendereihe das ursprüngliche Leben der Alpenstämme zu ergründen.

      Man habe bei der Abreise aus Kinshasa, heißt es, keine allzu großen Erwartungen gehabt. Erstens, weil die allermeisten Stämme (wie zum Beispiel Salzburger und Tiroler) weltbekannt und darum längst erforscht seien. Zweitens, weil man bei ähnlichen Reisen nach Asien oder Amerika erkannt habe, dass ein übergroßes Interesse der übrigen Welt die traditionellen Stammessitten zerstöre.

      Die Mission der filmenden Ethnologen lautet: Sofort Kontakt mit Eingeborenen aufnehmen und herausfinden, welchem Aberglauben sie anhängen. Tatsächlich gelingt es dem Forscherteam nach anfänglichen Schwierigkeiten, vier eingeborene Brüder als Träger der Ausrüstung und kundige Führer durchs Land zu gewinnen.

      Diese Brüder heißen Himmelfreundpointner. Was für ein Name. Rudolf, Sepp, Karl und Franz Himmelfreundpointner.

      Die Bilder sind bunt, die Vielfalt der Themen des Filmes ist es auch: rituelle Tänze; ein als Blockhütte verkleidetes Boot; Menschen beim Kartenspielen (Schnapsen); Frauen, die goldene Hauben tragen; Männer, die in Tracht auf und ab springen und sich dabei mit der flachen Hand abwechselnd auf Oberschenkel und Schuhsohlen schlagen (Alena sagt, das heißt schuhplatteln); Menschen, die scheinbar ziellos auf Fahrrädern durch die Gegend fahren, ohne von einem Ort zum anderen gelangen zu wollen; Menschen (vor allem Männer), die um die Wette trinken, nein: saufen; Menschen, die auf Biertischen stehen und schreien; Menschen, die massenweise Hühner essen. Und ein Mensch, der so ein Huhn (lebend) auf dem Kopf trägt. Oder ist es ein Hahn? Und, ganz zum Schluss, auch noch ein sehr lustiger Tanz, wo mein Freund, der Journalist, begeistert ruft:

      »Jö, der Vogerltanz!«

      Er ist begeistert wie ein Kind, das zum ersten Mal ein Feuerwerk sieht. Obwohl er den Film bestimmt schon oft gesehen hat. Davon bin ich überzeugt. Am Ende, stellt sich heraus, ist die ganze bunte Vielfalt der Bilder diesem einen Gedanken untergeordnet: Dass man möglicherweise Zeuge geworden ist, wie in einem fernen Land eine neue Religion entsteht. Weil die Menschen sich von ihrem alten Gott abgewendet und einem neuen zugewendet haben.

      Darum heißt es auch: Das Fest des Huhnes.

      Die ganze Zeit über (55 Minuten lang) bin ich hin und her gerissen. Zwischen Lachen und Staunen. Zwischen Ungläubigkeit und Nachdenklichkeit. Ja, einiges davon habe ich auf gewisse Weise hier auch schon erlebt. Anderes wiederum erscheint mir so fremd und absurd, dass ich es nicht glauben kann. Nein, so ist das hier nicht. Deshalb kann ich selbst auch nie so werden. Auch nicht als der vorbildhafteste gelernte Österreicher, der frei herumläuft.

      Wir klappen den Laptop wieder

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