Entlehrt euch!. Rolf Arnold

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Didaktische Analyse des Lehrinhaltes > Didaktische Analyse des Lernsubjektes Begründungsproblematik Gegenwartsbedeutung Welche Gegenwartsbedeutung hat der ins Auge gefasste Ziel- und Themenzusammenhang für die Alltagswelt der Lernenden? Lernprojektbezug In welchen (Er-)Klärungsversuchen ist das Subjekt selbst bereits befangen? Zukunftsbedeutung Welche Bedeutung wird das Thema in Zukunft für die Lernenden haben? Selbstlernbezug Wie lernt das Subjekt, und in welchen Formen bereitet es sich selbst auf seine – unbekannte – Zukunft vor? Exemplarische Bedeutung Welche allgemeinen Zusammenhänge, Beziehungen, Gesetzmäßigkeiten u. Ä. können mithilfe des Themas erarbeitet werden? Individualisierung Wie kann die Suchbewegung der Lernenden wertgeschätzt, begleitet und – zu ihren Bedingungen – unterstützt werden? Thematische Strukturierung Situierung Struktur des Inhalts Welche thematische Struktur hat das Thema? Unter welcher Perspektive soll es erarbeitet werden? Welche methodische Struktur liegt in der Thematik? In welchem größeren Zusammenhang steht das Thema? Welche Voraussetzungen müssen die Lernenden mitbringen oder erwerben? Situationsorientierung Wie kann man der Gegebenheit Rechnung tragen, dass Menschen bevorzugt an Situationen und in Situationen bleibende Kompetenzen entwickeln? Erweisbarkeit und Überprüfbarkeit An welchen Fähigkeiten, Erkenntnissen und Handlungsformen soll sich zeigen, dass die Lernprozesse erfolgreich waren? Kompetenzreifung Wie lassen sich der Fortschritt und Stand der jeweiligen Befähigung vom Lernsubjekt selbst bzw. in Kooperation mit ihm beurteilen? Zugänglichkeit Nutzung Zugangs- und Darstellungsmöglichkeiten Wie kann das Thema dargestellt und zugänglich gemacht werden? Zugangswege Wie können vielfältige Lernwege gleichzeitig eröffnet werden, ohne diese »im Gleichschritt« durchwandern zu wollen? Methodische Struktur Inszenierung Methodenwahl Welche methodische Struktur ist für das Thema angemessen? Wie können aktives Lernen und aktive Auseinandersetzungsprozesse mit dem Ziel, Mitbestimmungs- und Solidarisierungsfähigkeit zu fördern, durch die Methodenwahl unterstützt werden? Arrangement Wie lassen sich Lernräume gestalten, welche die Lernenden selbstgesteuert und mit ihren Aneignungsmethoden in Besitz nehmen können?

      Abb. 1: Von einer Inhalts- zu einer Subjektdidaktik (nach: Klafki 1993; leicht geändert aus: Arnold 2016, S. 181 f.)

      Für eine solche Subjektdidaktik ist Vollständigkeit kein Thema. Sicherlich sollen der in seiner Kompetenz zertifizierte Absolvent oder die ebensolche Absolventin über Zugänge zu dem notwendigen Fachwissen verfügen, um auf dessen Basis in ihrer Domäne handeln, intervenieren oder gestalten zu können. Dafür benötigen sie jedoch nicht das ganze Wissen gleichzeitig, und in der Regel konservieren Absolventinnen und Absolventen auch in den Bereichen eine vertiefte Fachkompetenz, in denen sie sich bereits erproben konnten, während andere – notwendige – Kenntnisse verblassen und in den Hintergrund treten. Man beherrscht sie für die Prüfungen, aber nicht für die Praxis. An die Stelle eines verbindlichen Horizontes an Lesarten, Argumentationsformen, traditionalen Gewissheiten und eines ethisch-moralischen Deutungsrahmens tritt die bloß formal zu beschreibende »Kraft« des Subjektes, mit wechselnden Lagen der Vereinsamung, Diskontinuität und Unsicherheit umgehen zu können. Die englische Wortschöpfung »reflexible« soll verdeutlichen, worum es bei dieser kompetenzorientierten Wende im Kern geht: Es ist nicht bloß der »flexible Mensch« (Sennett 1998), sondern auch der »reflexive Mensch« – kurz, der bereits erwähnte »reflexible Mensch« –, der hier Gestalt zu gewinnen scheint. Er muss in seiner Subjektivität letztlich zahlreiche Gegensätze gleichzeitig balancieren und situationsangemessen ausdrücken können: den Umgang mit den Anforderungen des Außen sowie die Stärkung der eigenen Kräfte im Innen, die Wahrung der Kontinuität sowie den Mut zu Neuem und die professionelle Distanz gegenüber der gestaltenden Nähe.

      Um in der sich rasant verändernden Welt überhaupt bestehen zu können, muss der reflexible Mensch sich selbst aus dem Vollständigkeitswahn befreien. Diente bereits die didaktische Analyse von Klafki keineswegs der Vollständigkeit inhaltlicher Anforderungen, sondern vielmehr ihrer Repräsentativität, d. h. der begründeten Auswahl der Lehrinhalte aus der Fülle des möglichen Wissens, so wird diese gewollte Unvollständigkeit von der Subjektdidaktik geradezu bewusst weiter zugespitzt. Sie meidet die Debatten um die Vollständigkeit dessen, was z. B. Schülerinnen und Schüler lernen sollen, und beteiligt sich stärker an den Klärungen der Formen, in denen eigene Erfahrungen gesammelt und Autonomie erlebt werden können. Außerdem schmiegt die Subjektdidaktik sich an die anstehenden Entwicklungsaufgaben der Lernenden an und ordnet diesen alles unter. Indem sie die Lernautonomie grundsätzlich beim Lernenden belässt und ihm zutraut, sich selbst Zugänge zu den notwendigen Themen zu erarbeiten, diese im Dialog zu vertiefen und mögliche Anwendungen zu üben, nimmt die Subjektdidaktik vorweg, was eine kompetenztheoretisch vertiefte Debatte letztlich auch bestätigen würde:

      Der Anspruch der Vollständigkeit ist Ausdruck eines veralteten Lehrverständnisses; ihm entgeht die händeringende Suche der fortgeschrittenen Bereiche unserer Gesellschaft nach selbstorganisierten Formen des Lernens und Gestaltens, wie sie in den Kontexten der Digitalisierung und der Arbeitswelt 4.0 ihren augenfälligsten Ausdruck finden (vgl. Kucklick 2015, S. 19).

      Deshalb plädiert auch die Vodafone Stiftung bei ihrer »Suche nach der richtigen Bildung für das digitale Zeitalter« (Vodafone Stiftung 2016) für mehr Aktivierung statt für Vollständigkeit. Dabei kommt u. a. Stephen Spurr zu Wort, der sich für den »umgedrehten Unterricht« (flipped classroom) mit dem Argument einsetzt, dass dieser das personalisierte Lernen stärke und den »Weg zu einer liberalisierten Welt eigenständiger Recherchemöglichkeiten« ebne (Spurr 2016, S. 47):

      »Die

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