Trauma und interkulturelle Gestalttherapie. Colette Jansen Estermann

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Trauma und interkulturelle Gestalttherapie - Colette Jansen Estermann IGW-Publikationen in der EHP

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Nähe kennt, ist der festen Überzeugung, dass der Gestaltansatz gerade für die andine Kultur und deren philosophischen Hintergrund eine ausgezeichnete Form der Psychotherapie ist, da sie holistisch ausgerichtet und nicht logozentrisch verfasst ist.

      In Trauma und interkulturelle Gestalttherapie versucht die Autorin auf der Grundlage eines breit angelegten Forschungsprojekts zu zeigen, dass nicht nur die Erfahrung und Art von Traumata, sondern auch deren Verarbeitung kulturell bedingt sind. Die vor allem im abendländischen Kulturraum der sogenannten »Ersten Welt« erarbeiteten Diagnostikverfahren und Symptomatiken vermögen einem völlig anderen kulturellen und sozialen Kontext, wie es der bolivianische eben ist, nicht gerecht zu werden. Deshalb braucht es der Autorin zufolge eine kreative interkulturelle Theoriebildung, wofür sie im vorliegenden Buch die ersten Grundlagen und Perspektiven aufzeigt.

      Unter den wichtigsten Befunden zeigt die Autorin auf, dass in einem sogenannten »Entwicklungsland« nicht nur von individuellen und einmaligen traumatischen Erfahrungen die Rede ist, sondern von kollektiven und transgenerationalen Tiefenschichten, die sich aus der gewaltsamen Unterdrückungsgeschichte des Landes erklären lassen. Deshalb führt sie neben dem in der Standardliteratur anerkannten »Einfachen Psychotraumatischen Belastungssyndrom (PTBS)« das inzwischen auch schon viel diskutierte »Komplexe PTBS«, vor allem aber neu auch das »Strukturelle PTBS« ein, das sich beim Umgang mit traumatischen Erfahrungen in Kontexten von extremer Armut, Ungerechtigkeit und Unsicherheit als sehr hilfreich erwiesen hat.

      Es ist zu beachten, dass die Autorin konsequent vom »Psychotraumatischem Belastungssyndrom« und nicht etwa von »Posttraumatischer Belastungsstörung« spricht, weil letzteres ein Werturteil beinhaltet, das in einem bestimmten Kulturraum beheimatet ist, und man zudem davon ausgeht, dass die traumatische Erfahrung selbst zu einem Abschluss gekommen ist. Dies ist aber in einem Kontext wie dem bolivianischen nicht der Fall. Außerdem betont sie – aufgrund der kollektiven Traumatisierung des bolivianischen Volkes – den Wert der Eigendiagnostik.

      Als weitere kreative Neuerung gilt der Rückgriff auf den vor allem in den Sozialwissenschaften beheimateten Begriff der »strukturellen Gewalt«, der für den Umgang mit traumatisierten Menschen in Bolivien, wie auch in anderen Ländern der sogenannten »Dritten Welt«, von großem theoretischem und praktischem Nutzen ist. Daraus ergeben sich nicht nur interkulturelle, sondern auch sozio-politische Konsequenzen, da die Armut als Form der »strukturellen Gewalt« für kollektive und Generationen übergreifende Traumatisierung von Menschen verantwortlich ist. Zudem zeigt die Autorin auf, dass es einen Umgang mit den Ressourcen und Coping-Strategien gibt, der kulturspezifisch ist und deshalb in einem nicht-abendländischen Kontext einen anderen Stellenwert hat.

      Die vorliegende Publikation, die auf der von Colette Jansen Estermann im Jahre 2009 eingereichten Dissertation basiert, ist ein Anstoß zur interkulturellen Sensibilisierung der Psychotherapie insgesamt, vor allem aber der Gestalttherapie und des Umgangs mit traumatischen Erfahrungen. Zudem gehört sie unbedingt zum Hintergrundwissen von EntwicklungshelferInnen und Einsatzleistenden, um die Menschen und deren Verhalten in einem Kontext von Armut und Mängeln besser verstehen zu können. Schließlich ist zu hoffen, dass mit diesem Buch auch im deutschsprachigen Raum eine Diskussion zur interkulturellen Transformation der Gestalttherapie in Gang kommt.

      Prof. Dr. Willi Butollo, Ludwig-Maximilian-Universität München

      Ein Wort des Dankes

      An dieser Stelle denke ich mit Liebe und Dankbarkeit an meinen Mann Josef und meine Kinder Sarah, Rafael und Christian, die mir eine Kraftquelle sind.

      Zudem gilt mein Dank meinen ehemaligen Studenten und Studentinnen, die zur ersten Generation von Gestalttherapeuten in Bolivien gehören, da ich nicht nur sehr viel von mir gegeben, sondern auch reichlich viel von ihnen bekommen habe: Ingrid, Jorge, Luis, Danny, Karen, Elías, Roberto, Shirley, Miguel Ángel, Lino, Gloria, Vicky, Jenny, Fabiola, Claudia, Daisy, Germán und Karina.

      Schließlich möchte ich mich beim Institut für Integrative Gestalttherapie Würzburg, namentlich bei Werner Gill, für die akademische Unterstützung und bei allen Gestalt-Dozenten und Dozentinnen für ihre Intensivkurse in La Paz bedanken. Ganz besonders möchte ich Peter Schulthess erwähnen, der mein Manuskript gegengelesen hat.

      Dieses Buch ist aus tiefer Verbundenheit mit dem bolivianischen Volk entstanden.

      1. EINFÜHRUNG

      1.1 Motivation

      Das vorliegende Buch besteht aus einem Versuch, mitten im Prozess einen Moment anzuhalten, um aus einer gewissen Distanz zu beschreiben, was ich wahrnehme und spüre. Ich werde einzelne Bilder, Gefühle, Erlebnisse und Begegnungen aus meinem Erfahrungsschatz hervorholen, nochmals genau betrachten und dann wieder aufheben. Das Schreiben macht mir Spaß, es ist ein Stück Verarbeitung und meine Art, einer stellvertretenden Traumatisierung vorzubeugen. Zudem gehe ich davon aus, dass meine Befunde den Lesern und Leserinnen1 nützlich sein werden. Es ist mir wichtig, dass die Menschen in Bolivien von den Menschen am anderen Ende der Welt nicht vergessen und in ihrer Andersartigkeit verstanden werden. Dieses Buch ist einerseits das Ergebnis eines Forschungsprojektes zum Thema »Traumatische Erfahrungen und eigene Ressourcen jugendlicher Studierender in den Städten La Paz und El Alto in Bolivien«, das 2009 in eine Dissertation mündete und bereits auf Spanisch herausgegeben wurde (Jansen Estermann 2010). Andererseits beinhaltet es eine Zusammenfassung meiner persönlichen und beruflichen Erfahrungen als Gestaltpsychotherapeutin und Ausbildnerin während einer Zeitspanne von 15 Jahren in Lateinamerika.

      Was mich damals bewegt hat, zuerst nach Peru und später nach Bolivien auszureisen, vermag ich nicht eindeutig zu erkennen. Im Nachhinein denke ich mir, dass der Stachel der Ungerechtigkeit und der Hang zum Abenteuer eine gewisse Triebfeder waren. Im Laufe der Zeit kam noch dazu, dass ich mich in Lateinamerika wie ein Fisch im Wasser fühle. Dies hat mit der zwischenmenschlichen Kommunikation zu tun, der Herzlichkeit und Körpernähe. Ich habe niemals erwartet, dass ich in La Paz ein Forschungsprojekt vorantreiben, den Doktor machen, einen Studiengang in ›Psicoterapia Gestáltica‹ aufbauen und eine Stiftung für Gestalttherapie gründen würde. Da kann ich nur staunen und es erfüllt mich eine große Dankbarkeit. Ich gehe davon aus, dass ich im richtigen Augenblick am richtigen Ort war – Kairos. Es waren aber die Menschen in La Paz, die positiv auf mein Angebot reagiert haben. Gemeinsam konnten wir in Übereinstimmung mit ihren Bedürfnissen dies alles erreichen. So haben sich die vereinzelten Puzzleteile des Lebens zu einem wunderbaren Netzgewebe gefügt. Dennoch möchte ich nicht verschweigen, dass die Entscheidung, trotz aller Fremdheit und Frustration über längere Zeit vor Ort weiterzumachen, auch sehr viel Kraft und Ausdauer gefordert hat.

      Dieser langjährige Aufenthalt in einem fremden Kulturkreis hat mir aber die einmalige Chance gegeben, meinen unbewussten ›Introjekten‹ auf die Spur zu kommen. Mit diesem gestalttherapeutischen Begriff meine ich meine verschluckten, verinnerlichten Modelle oder anders gesagt, die Regeln, Normen, Vorgaben, geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze in unserer (europäischen) Umwelt (Hartmann-Kottek 2004: 266). Dieser allmähliche Bewusstwerdungsprozess, bei dem ich am eigenen Leibe erfahren musste, dass meine Selbstverständlichkeiten nur manchmal unter ganz bestimmten Umständen gegeben sind, war mühsam und schmerzhaft. So wird ›Freundschaft‹ oder ›Sicherheit‹ im bolivianischen Umfeld anders erlebt, als ich sie vorher gewohnt war. Das Lebensgefühl in Bolivien und die Bedeutung vieler Ausdrücke unterscheiden sich erheblich von denen in Deutschland, Holland oder der Schweiz. Die vorherrschenden Gewohnheiten in Bolivien sind nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders. Gleichzeitig hat die Relativierung und sogar Zerstörung meiner Introjekte sehr befreiend auf mich gewirkt und schließlich zu mehr bewusster Selbstbestimmung geführt.

      Der horizontale Dialog nach dem Ich-Du-Prinzip von Martin Buber stellt für mich in diesem interkulturellen Kontext nach wie vor eine spannende Herausforderung dar. Denn erstens sind die Verhältnisse unvorstellbar schräg.

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