Trauma und interkulturelle Gestalttherapie. Colette Jansen Estermann

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Trauma und interkulturelle Gestalttherapie - Colette Jansen Estermann IGW-Publikationen in der EHP

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Hinsichtlich des sogenannten Chacokrieges (1932-1936) erinnern sich viele Bolivianer daran, wie ihre Großväter oder Großonkel von dieser Hölle erzählt haben. Dieser für ganz Amerika größte und blutigste Krieg des 20. Jahrhunderts fand in einer Steppen- und Sumpflandschaft statt. Während der Grabenkämpfe kamen auf bolivianischer Seite etwa 55.000 und auf paraguayischer Seite 40.000 Soldaten durch Kugeln, Malaria oder Wassermangel ums Leben.5 Paraguay verdoppelte sein Staatsgebiet, aber die vermuteten Bodenschätze stellten sich als fiktiv heraus. Die Hoffnung Boliviens, via Río Paraguay einen Zugang zum Atlantik zu ergattern, nachdem es den Zugang zum Pazifik verloren hatte, erfüllte sich so nicht.

      Zudem wurde die bolivianische Bevölkerung regelmäßig von der eigenen Regierung – das heißt von Vater Staat – verraten, weil diese den nationalen Interessen zuwider einen Kurs persönlicher Bereicherung und des Ausverkaufs der Bodenschätze fuhr. Bei den Grenzverhandlungen mit den Nachbarländern Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay und Peru zog Bolivien immer den Kürzeren; entweder aus Eigennutz der Verhandelnden, Inkompetenz oder Identifikation mit dem ausländischen Gewinner. Im Standardwerk der Geschichte Boliviens6 werden die Präsidenten Achá, Melgarejo, Morales und Daza, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Land regierten, als »jähzornig, griesgrämig und wenig vorbereitet« (Mesa 2003: 417) beschrieben. In Bezug auf Mariano Malgarejo (1820–1871) wird ein klares Urteil gefällt: »Aber in Wirklichkeit war die Akzeptanz dieser neuen Grenzlinie und die Aufteilung der Reichtümer, welche eine Übergabe der Gewinne aus Mejillones an Chile und an reiche ausländische Geschäftsleute bedeutete, ein unverzeihlicher Fehler der Regierung von Melgarejo.« (Mesa 2003: 431). Im Volksmund wird oft – ohne jeglichen erkennbaren Gefühlsausdruck – erzählt, wie dieser unpatriotische Präsident den enormen Landesteil Acre im Tausch gegen ein weißes Pferd Brasilien geschenkt hat.7

      Wenn man sich in die Geschichte Boliviens vertieft, bekommt man leicht ein Gefühl der Unwirklichkeit. Mir persönlich fällt es jedenfalls schwer, die unglaubliche Ungerechtigkeit und Brutalität und die schroffen Gegensätze ernst zu nehmen. Es ist aber noch schwieriger, zu diesen Fakten Stellung zu nehmen, die Wut, Ohnmacht und Fassungslosigkeit auslösen. So gab es z. B. den Präsidenten Gualberto Villarroel López, der während seiner Amtszeit von 1943 bis 1946 einerseits gewisse Sympathien für den Nazi-Faschismus hegte und andererseits weitreichende Reformen durchführte, wie etwa die staatliche Anerkennung der Gewerkschaften. Im Jahre 1946 wurde er von regierungsfeindlichen Massen, die den Palacio Quemado (»Verbrannter Palast«, die Bezeichnung für das Regierungsgebäude in La Paz) stürmten, ermordet. Seine Leiche wurde von einem Balkon geworfen und an einem Laternenpfahl gegenüber des Palasts aufgehängt. Seitdem wird Villarroel als el presidente colgado (»der aufgehängte Präsident«) von der Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung als Märtyrer und Held angesehen.

      Eine andere historische Merkwürdigkeit ist die Existenz enormer Latifundien, mit anderen Worten Ländereien unbeschränkter Größe im Besitz einer einzigen Person. Der Großgrundbesitz wurde zwar mit der Agrarreform von 1953 offiziell abgeschafft; inoffiziell gibt es jedoch noch immer Besitztümer mit 50.000 bis 100.000 Hektar Land, vorwiegend im östlichen Tiefland Boliviens. Angesichts der etwa 650.000 Familien mit kleinsten Parzellen, die weniger als einen Dollar pro Tag einbringen,8 ist diese Situation innerhalb ein und desselben Landes kaum vorstellbar.

      Die demokratische Staatsordnung ist in Bolivien verhältnismäßig jung. Die Zeit der Militärputsche und Diktaturen ist im Gedächtnis der über 30 Jahre alten Bolivianer noch immer in Form bestimmter Einzelheiten und Bilder anwesend. Die jüngere Generation weiß durch Hörensagen davon. Regelmäßig wird auch wieder der Ruf nach einer solch starken Hand laut. Die Generäle Barrientos, Torres, Bánzer, Natush Busch und García Meza kreierten durch systematische Verfolgungen und Verdächtigungen in den Sechziger- und Siebziger-Jahren des 20. Jahrhunderts ein Klima der Angst. Dabei ist zu bedenken, dass der von ihnen ausgelöste Terror nicht nur die politisch Inhaftierten, Gefolterten, Verschwundenen und Ermordeten selbst, sondern auch ihre Familien, Kumpanen und Nachkommen betraf. Während in Europa ausführlich über das Schicksal der Verschwundenen in Chile und Argentinien berichtet wurde, scheinen die Informationen über die Tragik der von der bolivianischen Diktatur Verfolgten irgendwie untergegangen zu sein.

      René Barrientos Ortuño, der von 1964 bis 1969 das Land regierte, paktierte mit den Bauern und legte sich mit den Minenarbeitern an. Mithilfe der CIA wurde unter seinem Oberkommando Ernesto Che Guevara ermordet und der Guerilla eine vernichtende Niederlage zugefügt. Die Zahl der Opfer seiner Diktatur war besonders hoch; nach Amnesty International wurden nur allein zwischen 1966 und 1968 etwa 3.000 bis 8.000 Menschen durch die Todesschwadronen ermordet. Übrigens kam Barrientos selbst im Alter von 50 Jahren unter seltsamen Umständen bei einem Helikopterunfall ums Leben.

      Hugo Bánzer Suárez, der einer deutschen Familie entstammte, war von 1971 bis 1978 der militärische Diktator Boliviens und von 1997 bis 2002 dessen (demokratisch gewählter) Präsident. Während der Militärdiktatur unterdrückte er jede Form von Opposition und verbot später sogar alle politischen Aktivitäten. Dieser Diktator scheute sich keineswegs, brutale Gewalt einzusetzen, wobei er vor allem gegen die politischen Parteien – sogar seine eigene – und Gewerkschaften vorging. Er bekam die Unterstützung der USA, und in Einklang mit deren Außenpolitik versuchte er, den Koka-Anbau in Bolivien9 auszumerzen, sodass vielen Kokabauern ihre Existenzgrundlage entzogen wurde.

      Luis García Meza Tejada war ein weiterer berüchtigter Diktator der Republik Bolivien. 1980 putschte er sich mit Unterstützung des argentinischen Geheimdienstes an die Macht und errichtete ein grausames Schreckensregime. In den 13 Monaten seiner Herrschaft wurde die Bevölkerung massiv unterdrückt und mehrere Tausende von Menschen wurden von der bolivianischen Armee getötet. Das bekannteste Opfer war der prominente Abgeordnete Marcelo Quiroga Santa Cruz, welcher kurze Zeit nach dem Putsch auf nie geklärte Weise verschwand. Quiroga war Chefankläger und Initiator des Prozesses gegen den ehemaligen Diktator Bánzer wegen Verletzung der Menschenrechte und Misswirtschaft. Das Regime García Mezas war tief in den Drogenhandel verstrickt und wurde von den Drogenkartellen mitfinanziert. Zudem war es korrupt, unterschlug die Tagebücher des Che Guevara und andere Wertsachen, und verkaufte sie gegen einen guten Preis. 1981 trat Präsident García Meza unter starkem internationalem Druck – namentlich der Reagan-Administration – zurück. Nach seinem Rücktritt verließ er das Land und floh nach Brasilien, von wo er aber später ausgeliefert wurde. Wegen ernsthafter Verstöße gegen die Menschenrechte wurde er zu einer 30-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Diese Strafe sitzt er auch tatsächlich ab (eine löbliche Ausnahme im bolivianischen Kontext), obwohl er zurzeit in einem Krankenhaus liegt.

      Die seit 1982 schnell wechselnden demokratischen Regierungen konnten die wirtschaftlichen Probleme – einerseits ein Erbe der Militärdiktaturen und andererseits wegen dringlicher Forderungen der internationalen Banken, die Zinsen der Auslandsschuld zu zahlen – nur mühsam meistern. In den ersten Monaten des Jahres 1985 wurde die höchste Inflationsrate weltweit erreicht, nämlich 27.000 Prozent. Für die Bevölkerung war diese Entwertung ihres (Spar-) Geldes ein Schock, den man sich in Europa wohl kaum vorzustellen vermag und die nur mit dem Crash von 1927 zu vergleichen ist. Zudem wurde mithilfe nordamerikanischer Truppen einmal mehr versucht, den Anbau von Koka und den Handel von Pasta Básica (Grundlage für Kokain) zu unterbinden, was auf großen Widerstand stieß und nur teilweise gelang.

      1993 kam der Bergbauunternehmer Sánchez de Lozada an die Macht, während ein Aymara-Führer Vize-Präsident wurde. Im Vergleich zu den anderen schwer verschuldeten Ländern wurden in Bolivien die strengsten wirtschaftlichen Reformmaßnahmen überhaupt durchgeführt. Dieser neoliberale Kurs beinhaltete den Verkauf mehrerer Staatsbetriebe, eine rigorose Reduktion der Staatsausgaben im Erziehungswesen und Sozialbereich sowie die Schließung vieler Minen. Obwohl die Inflation auf 6,5 Prozent zurückgebracht werden konnte, musste die Bevölkerung große soziale Opfer bringen. Folglich wurde 1997 der Ex-Diktator General Bánzer zum Präsidenten gewählt. Während seiner Periode gab es verschiedene Regierungskrisen und einen Riesenskandal, weil die Korruption und Ineffizienz der Regierung an die Öffentlichkeit gelangte.

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