Trauma und interkulturelle Gestalttherapie. Colette Jansen Estermann

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Trauma und interkulturelle Gestalttherapie - Colette Jansen Estermann IGW-Publikationen in der EHP

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in La Paz und El Alto leben nach dem Empfinden des ›Sowohl-als-auch‹. Sie sagen selten gerade heraus ›Nein‹, denn dies wäre ein Affront. Sie möchten niemanden vor den Kopf stoßen, schließlich könnte es immer noch anders kommen. Diese Möglichkeit, man könnte irgendwann in der Zukunft aus irgendwelchen Gründen doch noch zustimmen, wird ständig offen gehalten. Dieses Lebensgefühl des ›Sowohl-als-auch‹ schlägt sich auch auf der psychologischen Ebene nieder, indem man dazu neigt, die Grenzen zwischen mir und den Anderen, zwischen Wirklichkeit und Wunschdenken, zwischen Vergangenheit und Aktualität zu verwischen. Die Grenzen des Selbst oder der Realität sind keineswegs fest und klar, sondern äußerst flexibel und durchlässig.

      »Zusammenfassend können wir festhalten, dass der bevorzugte Zugang des andinen Menschen zur ›Wirklichkeit‹ nicht der Intellekt ist. Vielmehr sind es eine Reihe von nicht-rationalen (die deshalb nicht etwa ›irrational‹ sind) Fähigkeiten, von den klassischen fünf Sinnen, von Gefühlen und Emotionen bis hin zu ›parapsychologischen‹ gnoseologischen Sinnen (Ahnung, psychosomatische Phänomene, ›telepathische Kommunikation‹). Das ›logische‹ Argument, dass eine Apfelsinen-Verkäuferin einen größeren Gewinn erlangen könnte, wenn sie gleich alles, was sie hat, verkaufen würde, entspricht nicht der ›Logik des Herzens‹, die besagt, dass man für alle Fälle immer etwas zurückbehalten soll.« (Estermann 1999: 116)

      Eine interkulturelle Psychotherapie, welche sich der kulturellen Andersartigkeit vom Gegenüber verpflichtet fühlt und Recht tun will, steckt wahrscheinlich noch in den Kinderschuhen. Diesbezüglich ist die Tatsache, dass das allgemein angewandte Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders15 (DSM) sein Leserpublikum nicht einmal auf die Möglichkeit, geschweige denn Notwendigkeit einer soziokulturellen Kontextualisierung und Relativierung hinweist, vielsagend. Und auch der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD)16 fehlt es, trotz ihres Anspruchs auf weltweite Anwendbarkeit, an einer nuancierten interkulturellen Betrachtungsweise. Im Kreis angesehener Psychotherapeuten bemüht man sich anscheinend nach wie vor, die psychischen Störungen und diagnostischen Kriterien zu verallgemeinern, obwohl dieser Anspruch auf Universalität nicht ohne Weiteres geltend gemacht werden kann. Die Psyche des Menschen mag zwar weltweit den gleichen Gesetzen und derselben Dynamik unterliegen, die prägende Wirkung der jeweiligen Geschichte und Umgebung auf die Psyche führt aber zu beachtlichen Unterschieden. Leider wird der interkulturelle Ansatz auch in der Psychologie-Forschung nur selten als Bereicherung gesehen und dementsprechend verfolgt.

      Allerdings gibt die Gestalt-Psychotherapie zu verstehen, prinzipiell offen für den interkulturellen Ansatz zu sein. Schließlich bietet ihre Grundhaltung eine dialogische, humanistische, kreative und kontextuelle Perspektive. Zudem weist ihr ›Sitz im Leben‹ auffallend viele Übereinkünfte mit dem ›bolivianischen‹ Lebensgefühl auf. Denn gerade die holistische Betrachtungsweise des Menschen als einer bio-psycho-sozialen Einheit, die Struktur des Organismus-Umwelt-Feld, die Verankerung im Hier-und-Jetzt, den prozesshaften Charakter, den Kontakt im Fluss des Lebens, die Orientierung am einmaligen Erlebnis, das Verständnis des ›Selbst‹17 und den hohen Stellenwert von Gruppenarbeit haben sie gemeinsam. An dieser Stelle möchte ich ebenfalls erwähnen, dass die Mehrheit der Gestalttherapeuten sich selbst mit ihrer Aversion, sich festlegen und folglich auch schriftlich festhalten zu wollen, ein Bein gestellt hat. Es gibt nämlich einen bedauerlichen Mangel an Theoriebildung, Diagnostik und Studien zu anderen wissenschaftlichen Themen, wie z. B. das der Dissoziation.

      In einem Land wie Bolivien ist eine kontextualisierte Gestalttherapie gefragt, da die ursprüngliche Form aus dem Norden – namentlich Europa und den USA – stammt. Diese kann nur von den einheimischen Psychotherapeuten vor Ort entwickelt werden. In der Gestaltausbildung in La Paz gebe ich meinen Studenten diese schwierige Aufgabe als Herausforderung mit. So wird man als Gestalttherapeut in Bolivien mit spezifischen kulturellen Introjekten konfrontiert, die vielleicht in einem bestimmten Maß auch in Europa gelten, aber doch nicht (mehr) in dieser gewaltigen Intensität, z. B.: Du sollst deinem Vater ergeben sein, ihm nicht widersprechen oder direkt in die Augen schauen. Als junges Mädchen sollst du warten, bis du gefragt wirst; als Junge sollst du auf jedem Terrain die Initiative ergreifen. Eine andere Akzentuierung der therapeutischen Arbeit betrifft die Leitung einer Selbsterfahrungsgruppe als Paar, als Mann und Frau. Erstens arbeitet und ist man nicht gern allein, und zweitens hat sich diese Zusammensetzung sowohl für die Leitung als auch die Gruppe als außerordentlich fruchtbar herausgestellt. Zudem möchte ich die heilsame, horizontale Gesprächsebene hervorheben, wenn sich die Menschen in Bolivien gesehen und gehört fühlen. Wahrscheinlich hängt dieses Bedürfnis bzw. dessen befreiende Befriedigung mit der jahrhundertelangen kollektiven Unterdrückung während der kolonialen und diktatorischen Geschichte zusammen. Zum Schluss möchte ich ihre Freude an Körperarbeit, Spielsequenzen und Ritualen betonen. Wenn diese Elemente in den gestalttherapeutischen Prozess eingebracht werden, so erzielen sie meist eine äußerst positive Wirkung.

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