Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung. Hieronymus Cardanus

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Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung - Hieronymus Cardanus

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wäre, als den allerbesten Vorsatz zu fassen und ihn dann wieder zu ändern, und sollte auch nichts anderes daran schuld sein als lebhaft tätiger Eifer oder die allgemeine Unbeständigkeit, Wandelbarkeit und Nutzlosigkeit menschlichen Tuns.

      Ich persönlich habe – um zugleich von mir selbst und von der Lebensklugheit im Allgemeinen zu sprechen –, nachdem ich mir über diese sehr schwierige Sache genau Rechenschaft gegeben, eingesehen, dass es nicht nur um manches andere, sondern auch um diese Tugend eine sehr leichte Sache ist. Fürs erste deshalb, weil ja die Dinge so mannigfach in ihrem Endzweck sind und jeder wählen kann, was ihm am meisten zusagt, und weil es dann ferner im Einzelnen so viele Arten und Möglichkeiten, Gegenstände und Gelegenheiten gibt, dass es gewiss niemand wagen darf, mir mit einigem Recht Unklugheit vorzuwerfen, außer er wollte behaupten, meine Pläne und meine Verhältnisse besser durchschauen zu können als ich selbst, was doch sicher nicht der Fall sein kann. Sind wir uns aber über unsere Ziele klar, so handelt es sich für uns nur noch darum, zu erkennen, welcher Weg zum Ziele der bessere und ob ihn zu gehen erlaubt ist, was freilich meiner Ansicht nach das Wichtigste ist. Dann, welcher Weg der bequemere; des Weiteren, wie das Erreichte festzuhalten; endlich, wie das Erreichte zu nutzen ist.

      Von Anfang an habe ich bewiesen, wie wenig ich von dem besitze, was der Grieche εύβούλία nennt. Und wenn auch diese Worte nur so viel bedeuten als Klugheit an sich, so ist es doch dasselbe, als sagten wir »menschliche Klugheit«; denn von allen Dingen, die wir kennen, besitzt doch keines Klugheit als allein der Mensch, auch keines der übrigen Lebewesen. Die Himmlischen nämlich besitzen etwas weit Besseres, das unmittelbare Schauen. Von den harpokratischen68 Naturen aber, die eine Gattung für sich sind, ist hier nicht die Rede.

      So ist es mit dem Begriff der Lebensklugheit eine unklare Sache. Im Einzelnen urteilt jeder anders, weil eben alle an die Dinge den Maßstab ihres eigenen Geistes anlegen. Ich für meinen Teil aber sehe sehr wohl ein, dass ich von jener Gewandtheit und sicheren Klugheit wenig besitze und wenig besessen habe. Daran ändert auch das wenig, was ich oben ausgeführt habe.

      ZWÖLFTES KAPITEL

      Meine Freude am Disputieren und Dozieren

      Umso größeren Eifer und Erfolg hatte ich auf diesem Gebiete. Zu Bologna dozierte ich fast immer auswendig. Weshalb auch die Gelehrten, die mit mir hätten disputieren sollen, nicht wagten, mir gegenüberzutreten. Ich erinnere an jene dreitägige Disputation, die zu Pavia zwischen mir und Andrea Camuzio69 angesagt und beim Senat der Akademie angemeldet worden war: schon am ersten Tage nach meiner ersten Ausführung schwieg mein Gegner. Dies bezeugten auch alle meine Widersacher, die damals anwesend waren. Wird davon auch einmal, mit eingemeißelten Lettern, auf den Denkmälern des Camuzio zu lesen sein? So sehr war die Sache damals allen Leuten bekannt, dass man schon gar nicht mehr vom Gegenstand meiner Ausführung sprach, sondern nur noch von meiner Redegewalt, die unwiderstehlich schien. Und heute noch, glaube ich, mag die Erinnerung daran lebendig sein. Branda Porro70, mein Lehrer, schrieb meinen Sieg meinem Können und meiner größeren Begabung zu, meine Widersacher dem Teufel, andere – und diese Vermutung wird der Wahrheit näher kommen – einem besseren und wirksameren Grunde. Ich habe nämlich weder in Mailand, noch in Pavia oder in Bologna, auch nicht in Frankreich oder Deutschland in den letzten 23 Jahren jemanden gefunden, der sich mit mir in eine Auseinandersetzung oder in eine Disputation eingelassen hätte. Ich will damit nicht prahlen; ich glaube vielmehr, wenn ich ein Stein wäre, so wäre die Sache nicht anders. Denn es ist dies kein Verdienst meiner Veranlagung und meines glänzenden Geistes, sondern nur eine Folge der Unklarheit und Unwissenheit jener Leute, die sich mit mir messen wollten. Wenn der Tintenfisch den Delphin angreift und zu fliehen zwingt, so braucht das keine Heldentat des Tintenfisches zu sein. Solche Dinge sind uns vom Schicksal in die Wiege gelegt.

      Als Angelo Candiano71 sich einmal vor vielen Fachleuten über einen Gegenstand geäußert und ich mich bereiterklärt hatte, ihm zu erwidern, schämte er sich nicht, zu versichern: »Ich habe von vornherein erklärt, mich über diese Sache äußern, nicht aber mit Euch mich auseinandersetzen zu wollen.« Und das war ein ganz vortrefflicher Arzt, der in Mailand bei unserem Fürsten72 und bei der Königin von Ungarn und Regentin der Niederlande die größte Rolle spielte, ein Mann von allerhöchstem Ansehen und, wenn dies etwas zur Sache tut, von großem Reichtum. Und wenn ich dann in solchen Fällen auf meine ehrliche Schlichtheit und auf meine mangelnden Kenntnisse hinwies, sagten viele: »In diesem einen Punkte wissen wir, dass du lügst und dass du die größten Kenntnisse besitzest; den anderen Punkt betreffend aber sind wir uns nicht klar, weil wir nicht sehen, wo hinaus das mit deiner Schlichtheit will, vor allem bei einem Mann, der, wie du, so oft erklärt hat, nie zu lügen. Und was deine unnachahmliche Art zu dozieren betrifft, so hat längst jedes Urteil, das im Positiv steht, wie die Grammatiker sagen, aufgehört uns wunderzunehmen, da uns ja selbst ein im Superlativ gesetztes Lob vertraut geworden ist. Zwar hat niemand das Verlangen geäußert, eine Probe davon zu hören; aber wenn auch eine dunkle Wolke sie verhängt, so hört die Sonne doch nicht auf zu sein. Und du brauchst dich auch nicht darob zu grämen, dass du so viele herrliche Lichter im stillen Schlafzimmer hast, die niemand von denen sehen will, die draußen sind. Denn es steht nicht zu fürchten, dass eine so göttliche Sache zugrunde gehe. Die Afrikaner von Phloria73 beten die aufgehende Sonne an, die von Garama74 verfluchen sie. Über allem thront nicht nur die göttliche Vorsehung, sondern strahlt auch die ewige Herrlichkeit.« – Von der Gabe des freien Vortrags habe ich nicht nur selbst immer rühmlichen Gebrauch gemacht, sondern habe auch andere darin unterrichtet. Wenn ich also auch hierin als so bedeutend erscheinen konnte, so besaß ich doch keinerlei gefälligen Ton in der Sprechweise, noch auch irgendwelche eigentliche Fertigkeit im Vortrag selbst; hatte ich einmal auf der einen Seite ein Mehr, so durfte man glauben, dass mir dafür ebenso viel auf der anderen Seite entzogen worden sei. Im Disputieren freilich war ich von solcher Gewandtheit und Schärfe, dass alle mich bewunderten und jeder einer Probe aus dem Wege ging. Weshalb ich auch lange Zeit ohne solche Plackerei leben durfte. Nur zwei Fälle mussten meine Gegner wider alle Hoffnung erleben. Das eine Mal war es in Pavia. Branda Porro, der einst mein Lehrer in der Philosophie gewesen war, hatte sich in die öffentliche Disputation eingemischt, die ich mit Camuzio über ein Thema aus der Philosophie hatte. Meine Gegner lockten mich nämlich häufig auf philosophischen Boden, weil sie auf dem Gebiet der Medizin keine Hoffnung hatten, Lorbeern gegen mich zu sammeln. Branda führte damals eine Stelle aus Aristoteles an, und als er den Text zitiert hatte, sagte ich: »Gib acht, nach dem Wort „weiß“ fehlt ein „nicht“; in Wahrheit spricht der ganze Satz gegen dich.« Darauf rief Branda, das könne nicht sein. Ich hatte wie gewöhnlich einen Schnupfen, schneuzte mich und widersprach in aller Ruhe, bis Branda wütend nach dem Kodex schickte. Ich verlange ihn, er lässt ihn mir geben, und ich lese den Text, wie er dasteht. Branda glaubt, ich wolle ihn hintergehen, reißt mir das Buch aus den Händen, schreit, ich wolle die Zuhörer täuschen, und fängt selbst zu lesen an. Er kommt zu dem betreffenden Wort, liest es, schweigt, alles ist überrascht, und aller Anwesenden Augen sind bewundernd auf mich gerichtet. Ein Zufall wollte es, dass Branda ein paar Tage darauf nach Mailand ging; dem Senat der dortigen Akademie war die Sache schon geschrieben worden, und einige fragten ihn nun, ob es wirklich wahr sei. Branda, ein ehrlicher und wackerer Mann, hat gewiss geantwortet: »Nur zu wahr; ich glaube, dass ich damals betrunken war.« Und die Herren vom Senat verzogen den Mund und schwiegen.

      Der andere Fall spielte zu Bologna mit Andrea Fracanzano, dem dortigen ersten Professor der praktischen Medizin. Als dieser in seinen Ausführungen auf den Weg zu sprechen kam, den die Galle zum Magen nimmt, zitierte er vor der ganzen Akademie – man hatte gerade eine anatomische Vorführung – eine griechische Stelle. Ich sagte: »Ihr lasst ein ού75 aus.« Worauf er entgegnete, das sei nicht wahr. Ich, in aller Ruhe, beharre darauf, und einige Schüler rufen, man solle das Buch holen. Er schickt lächelnd darnach, es wird sofort gebracht, er liest, findet, dass ich bis aufs Haar recht hatte, er schweigt, staunt, sieht mich bewundernd an. Noch mehr freilich taten dies die Schüler, die mich damals zu diesem Zweck mit Gewalt in den Hörsaal geschleppt hatten. Fracanzano aber floh von diesem Tag an jedes Zusammentreffen mit mir, so zwar,

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