Achtsamkeitscoaching. Günther Mohr

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Achtsamkeitscoaching - Günther Mohr EHP-Praxis

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verbunden, können aber auch eindeutige Fokussierungen zeigen. Wenn man körperliche Schmerzen hat, wird diese Ebene sofort dominant und es fällt uns schwer, andere Gedanken zu fassen. Auch eine aus der Familie stammende Vorschrift oder Erwartungshaltung (transgenerationale Ebene) kann so stark sein, dass andere emotionale Gestimmtheiten des Menschen zurücktreten müssen. Jede Ebene hat ihren Wert im menschlichen Leben. Es liegt weitgehend außerhalb und jenseits der Verantwortung des Einzelnen, mit welchen Ebenen er in seinem Leben in Kontakt kommt und welche Form dieser Kontakt hat. Hier spielen seine Lebensumstände eine große Rolle. Und dies gilt sowohl biografisch bezüglich seiner Herkunft, Schicht und Bildungsmöglichkeiten, aber auch bezüglich des aktuellen Kontextes, der einen Sog für die Aufmerksamkeit ausübt. Wenn ich mich mit hundert Prozent meiner Energie auf ein berufliches Projekt konzentriere, werde ich von dieser Logik voll und ganz bestimmt. Wohl gemerkt, es ist nicht falsch, im Beruf positiv wirksam zu sein. Aber durch einseitige Fixierung auf den Beruf findet man nicht zu integrierter Achtsamkeit und ganzheitlicher Erkenntnis. Dies gilt genauso für andere einseitige Orientierungen. Gerade Weisheitslehren verordnen gerne Askese. Der Zölibat der katholischen Priester beispielsweise fußt auf der Idee, dass dann die Konzentration auf den spirituellen Auftrag leichter fällt. Ganz im Gegensatz dazu wird von einem jüdischen Rabbi erwartet, dass er Erfahrung in Familie und Kindererziehung hat, da er nur dann für diesbezügliche Fragen ganzheitliche Achtsamkeit entwickeln kann.

      Gelingt uns wirkliche, ganzheitliche Erkenntnis, so wird sie Einfluss auf die gesamten Ebenen haben und etwa den Umgang mit dem eigenen Körper positiv beeinflussen. Man wird sich vielleicht gesünder ernähren, sich angemessen bewegen und auf seinen Körper hören. Aber auch die transgenerationale Ebene muss mitspielen. Denn solange beispielsweise ein neues Verhalten einen Verstoß gegen die Regeln der »Ahnen« darstellt, besteht ein Hindernis. Wenn etwa in früheren Generationen gehungert wurde, wird es einem Menschen – obwohl es für ihn gesünder wäre – vielleicht ungeheuer schwer fallen, Essen einmal stehen zu lassen. Ein anderes Verhalten wird zunächst kaum eine Chance im Verhaltensspektrum eines Menschen haben. Eine große innere Kraft wirkt dem entgegen. Erst wenn die Aufmerksamkeit auf die transgenerationale Ebene gelenkt wird und auf dieser Ebene eine Verständigung erreicht wird, kann es auch auf den aktuell konkreten Ebenen wie Körper/Verhalten und Denken vorangehen.

      Grundsätzlich gilt: Persönlichkeitsentwicklung funktioniert nur durch die Kombination unterschiedlicher Ebenen und auch durch einen deutlichen Perspektiv-Wechsel auf eine höhere Ebene.

      Der auf Beziehungen spezialisierte Religionsphilosoph Martin Buber hat einmal darauf hingewiesen, dass es wenig echte Begegnung zwischen Menschen gibt. Menschen verbringen zwar oft sehr viel Zeit miteinander. Sie interessieren sich aber nicht wirklich für den anderen. Sie wollen sich oft nur mit dem anderen vergleichen (Buber 1983). Das fühlt sich vielleicht manchmal gut an, wenn man sieht, dass es einem nicht schlechter geht als dem anderen. Aber dieses Vergleichen akzeptiert weder die Einzigartigkeit der Menschen noch lässt sie eine Begegnung auf der gemeinsamen Tiefenebene zu.

      Der berühmte Dirigent des Bostoner Symphonieorchesters Benjamin Zander hat all seinen Schülern die Note Eins gegeben. Das wäre ein gutes Vorbild für den Umgang mit anderen. Denn wenn man alle Menschen vorbehaltlos annimmt und ihnen die Note Eins gibt, kann man die Schönheit des anderen in seinem Tun erkennen. Man kann zusehen, wie sie wachsen und bekommt in der Regel Dank zurück. Aber Zander hat seinen Studenten dazu eine kleine Aufgabe gestellt: Was müsstest du im Semester tun, damit die Eins gerechtfertigt ist? Die Studenten haben dann ihren eigenen Weg zur Eins erarbeitet und – man höre und staune – auch eingehalten.

      Anteilnahme und Interesse an der Lebensgestaltung anderer wäre eine lohnende Einstellung, insbesondere für Führungskräfte. Diese Eigenschaften zeigen aber nur ganz wenige, weil sie sich eigentlich nicht für Menschen und deren Lebendigkeit interessieren, sondern nur für Abstraktes wie Zahlen und Fakten.

      Aber Vorsicht: Es geht nicht um Identifikation. Mitgefühl bedeutet nicht, sich im Gefühl des anderen zu verlieren. Bleib bei dir, während du mit dem anderen bist, so heißt die Devise. Die eigene Achtsamkeit sollte weiterhin im Fokus stehen. Das heißt, es gilt immer wieder, zu den eigenen Bedürfnissen und eigenen Gefühlen zurückzukommen. Die geben den Standort an. Was fühle ich gerade? Welches Bedürfnis zeigt sich darin? Dann kehrt man zu sich selbst zurück, nimmt sich selbst achtsam wahr. Man verschwimmt nicht mit dem anderen, sondern kann ihm gegenüber einfühlsamer, gelassener und besonnener reagieren.

      Gerade im Arbeitsleben werden integrierte Achtsamkeit und innere Ruhe immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Ich habe in dem Buch »Systemische Organisationsanalyse« (Mohr 2006) ausführlich beschrieben, was in Organisationen alles denkbar ist. Sie können für die beteiligten Menschen sorgen, ihre Kreativität fördern und ihnen befriedigende Arbeitsplätze bieten. Sie können aber auch Menschen ausbeuten, wenn sie als reine Produktionsfaktoren betrachtet werden. In Organisationen passiert eine Menge, was man als Zeitvertreib und Beschäftigungstherapie bezeichnen könnte. Organisationen sind wie Gesellschaftsspiele. Es gibt Regeln und Figuren, die bestimmte Züge vollziehen dürfen. Andere hingegen dürfen nicht dieselben Spielzüge nehmen. Die Regeln können sich abrupt und mehrmals ändern – auch diese Vorstellung ist durchaus noch real. Es erinnert an das große Lebensspiel Leela, wie es im Hinduismus für das gesamte Zusammenspiel der Menschen beschrieben ist. Menschen mit unterschiedlichsten Persönlichkeiten werden in einen Kontext gestellt und man schaut, was dabei herauskommt. Das versucht man in Organisationen natürlich durch strukturelle, formale und rechtliche Regelungen zu kanalisieren. Dennoch bleibt der Spielcharakter erhalten. Das Ziel in Organisationen ist oft viel eher die Profilierung Einzelner als der Gewinn oder der Fortschritt des Ganzen. Organisationen sind auch nicht vor Verrücktheit geschützt (Ahlers-Niemann et al. 2008). »All organizations are crazy.« (»Alle Organisationen sind verrückt.«), so formulierte es mir gegenüber einmal ein Mensch aus dem Orient. Meine deutsche, ordnungsliebende, transgenerationale Aufmerksamkeit wollte schon protestieren: So kann man das doch nicht sehen! Aber wenn eine Firma beispielsweise eine sehr kriegerische Mentalität hat, dann wird ein echter Kampf geführt und jeder, der intern nicht stromlinienförmig mitzieht, wird bedroht. Die Regeln des jeweiligen Spiels können eine gleichzeitig vom Menschlichen verschobene und sehr bindende Form haben. Die Frage ist: Wie verhält man sich in einer solchen Organisation, wenn man das Spiel durchschaut, aber dennoch gezwungen ist, weiter mitzumachen? Natürlich nimmt man weiter am Spiel teil. Schließlich müssen sich die meisten Menschen durch Arbeit in Organisationen materiell versorgen und absichern. Aber man sollte sich weder innerlich noch äußerlich (z. B. durch finanzielle Verschuldung im Privatbereich) abhängig von einem bestimmten Arbeitsplatz machen. Und man sollte deutlich zwischen Arbeitsplatz und ›Einkommensplatz‹ unterscheiden. Menschen brauchen einen Einkommensplatz. So war es immer. Dafür haben Menschen lange Zeit sogar Sklaverei in Kauf genommen. Ob sie dort auch ihre persönliche Produktivität zeigen können, hängt von der Anerkennung ab, die sie durch diese Tätigkeit erfahren. Vielleicht kann der eigene Genius besser auf anderen Lebensbühnen gezeigt werden. Dies haben Menschen immer gemacht, sobald sie die Chance zu ›kleinen Fluchten‹ hatten.

      Hinzu kommt, dass sich viele aus dem Gemeinschaftsbedürfnis und dem Sicherheitsbedürfnis, das Menschen mitbringen, mit »ihrem« Unternehmen oder »ihrer« Institution identifizieren. Firmen fordern das immer wieder. Aber es ist ein Fehler. Aus der Perspektive der integrierten Achtsamkeit heraus ist einseitige Identifikation, gar mit einem künstlichen Konstrukt wie einer Organisation, falsch. Engagement ja, aber keine Identifikation, sondern konstruktiv-kritische Distanz ist angesagt. Gerade die Identifizierten sehen oft nicht die ›Kollateralschäden‹, die Organisationen verursachen. Ihr eigenes Burn-out ist zum Beispiel so ein ›Nebeneffekt‹. Wenn man spürt, dass es auf Dauer nicht gut tut, in einer Firma zu bleiben, dann sollte man eine Organisation verlassen. Der Verstand wird nicht nur durch Arbeit stimuliert, sondern beschäftigt sich auch ständig damit, dass man sich die täglichen Verrücktheiten vom Hals halten muss. Hier den Helden zu markieren, macht wenig Sinn. Die Cleveren formulieren Lippenbekenntnisse. Die Überlegten bleiben innerlich in angemessener Distanz und sorgen dafür, dass ihr Frieden nicht genommen wird. Die

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