Achtsamkeitscoaching. Günther Mohr

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Achtsamkeitscoaching - Günther Mohr EHP-Praxis

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Entwicklung auf mehreren Ebenen möglich und sogar sehr sinnvoll.

      Achtsamkeit ist mehr als Wahrnehmung. Wenn im MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction), einer sehr empfehlenswerten Methode von John Kabat-Zinn, die Menschen eine Rosine bewusst wahrnehmen und genießen lernen, ist das erst einmal Wahrnehmung. Ob es achtsam ist, hängt davon ab, ob die Rosine für den einzelnen gerade wirklich »dran« ist. Achtsamkeit bedeutet, sich darin zu üben, zu erkennen, was im Moment wirklich dran ist. Um das zu bearbeiten, was beim Einzelnen gerade Thema ist, was Achtsamkeit verdient, dafür braucht man alle Ebenen.

      Das kann man sich in der Veränderungsarbeit zu Nutze machen. Man stößt auf verschiedenen Ebenen Entwicklungen an und beobachtet das Ergebnis. So wie bei einer Problemlösung häufig nicht die Fokussierung auf das Problem und dessen Ursache hilfreich ist, sondern eine neue Perspektive. Schon Albert Einstein sagte: »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.« Es gibt auch jede Menge möglicher Kombinationen. Körperliche Probleme bedingen eine Verhaltensänderung und brauchen einen Anreiz auf der emotionalen Ebene. Rückwärtsentwicklungen sind meist Übersteigerungen einer Ebene, die mit der Ausblendung anderer verbunden sind.

      Grundsätzlich gilt, dass Menschen das Bewusste im Vergleich zum Unbewussten maßlos überschätzen. Der Mensch hält das, was er wahrnimmt, für Realität. Dabei ist das bei näherem Hinsehen nur ein kleiner Ausschnitt und ausschließlich durch die Fähigkeit seines äußeren und inneren Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsapparates bedingt. Menschen kennen sich nicht. Ihnen ist ihr Selbst allenfalls in Ausschnitten bewusst. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk hat dies mal mit dem Fahrverhalten eines Lastzuges, bestehend aus Lastwagen und Anhänger, verglichen. Man lernt das Verhalten des Anhängers, des Selbst, erst kennen, wenn man mit ihm in die Kurven geht, also das Leben tatsächlich lebt (Stasiuk 1998). Auch die Eltern erkennen nicht ohne Weiteres das Besondere des kleinen Menschen, der ihnen anvertraut wurde. In den meisten Fällen werden die Kleinen mit anderen verglichen und an den Standardaufgaben gemessen: Er läuft früh; er spricht spät; er ist gut im Rechnen und er spielt ganz gerne alleine. Es entsteht der normengerechte Mensch. Der Genius des Einzelnen bleibt oft verborgen.

      Es gibt verschiedene Ebenen des Unbewussten, die eine Rolle spielen: das normale Alltagsunbewusste, das, was wir automatisch tun und gar nicht bemerken wie etwa bestimmte Körperbewegungen (Mohr 2008), das implizite Wissen unserer vorsprachlichen Zeit, die großen Lernschritte, die wir persönlich absolviert haben (Allen 2003; Erickson, Rossi und Rossi 2009), das Vergessene und Verdrängte des personalen Unbewussten in den Traumata oder ungelösten Konflikten zwischen eigenem Bedürfnis und Normen (Freud 1999) bis hin zum kollektiven Unbewussten, der langen Reihe von Erfahrungen unserer Sippe, kulturellen Gruppe und der Menschen insgesamt (Jung 1995).

      Menschen können offensichtlich nur einen Teil der Aufmerksamkeitsebenen gleichzeitig verarbeiten. Für alles reicht ihre Kapazität nicht. Sie müssen immer fokussieren. Bei Erwachsenen kann man davon ausgehen, dass nur wenige Wahrnehmungen der fünf Sinne im ursprünglichen Sinne rein sind. Sie tendieren dazu, sie immer sofort mit vermeintlich wichtigen inneren Verknüpfungen – sprich früheren Erfahrungen – zu verbinden. Der Schotte Ian Stewart zeigte, dass es bei Erwachsenen eigentlich keine ungetrübten Reaktionen im Sinne des sogenannten natürlichen Kind-Ichs mehr gibt (Stewart 2002). Erwachsene Menschen haben in der Regel zu fast allen Situationen schon Erlebnisse gehabt und Erfahrungen gesammelt. Diese werden dann innerlich ›zu Rate gezogen‹. Deshalb macht es Sinn, die innere Aufmerksamkeit, letztlich das implizit wirksame Gedächtnis, als weitere Wahrnehmungsfläche zu den üblichen Sinnen Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten hinzuzufügen. Dies hatte im Übrigen schon der Buddha vor 2600 Jahren erkannt, wie Paul Köppler (2008) es in seiner Sammlung der Originaltexte von Buddha darstellt. Das Ziel der Achtsamkeitsarbeit ist, die Aufmerksamkeitsebenen wieder möglichst rein, das heißt ohne emotionale Wertung und intellektuelle Einordnung, zu registrieren: Was ist überhaupt da? Was ist davon ein gefühlsmäßiges Bedürfnis und was ist nur ein gelernter Denkprozess?

      Auch die moderne Hirnforschung fand heraus, dass bei einer äußeren Sinneswahrnehmung der größte Anteil durch schon vorhandene innere Informationen bestimmt wird. Bei der Verarbeitung einer äußeren Sinneswahrnehmung sind vier von fünf Nervenzellen nach innen auf bisherige schon gespeicherte Informationen bezogen. Dies zeigt sich auch in den unbewussten Gedanken, Bildern und durch Symbolsprache, zum Beispiel im Traum. Alle sechs Aufmerksamkeitsebenen haben bewusste, aber vor allem sehr stark unbewusste Anteile. Dies beginnt schon beim Körper. Viele unserer körperlichen Vorgänge bemerken wir gar nicht. Was in den Zellen des menschlichen Körpers passiert, ist für uns nicht detailliert wahrnehmbar und schon gar nicht unmittelbar beeinflussbar. Viele Körperprozesse passieren von selbst. Wir bemerken sie erst, wenn sie in irgendeiner Form haken und nicht mehr automatisch vonstatten gehen. Generell geht es bei der Arbeit mit den Aufmerksamkeitsebenen darum, das Unbewusste, das sich entwickelt hat, von Überlagerungen zu befreien, quasi zu enthüllen und ins Bewusstsein zu bringen. Das können angenehme Aspekte und Talente sein, die lange schlummern oder sich durch Lebenserfahrung langfristig angesammelt und verdichtet haben. Es zeigen sich aber auch durchaus unangenehme Aspekte des Lebens wie die eigenen Grenzen, vermeintliche Versäumnisse, ungenutzte Chancen. Sogar traumatische Erlebnisse offenbaren sich wieder und es gilt, einen neuen Bezug zu ihnen zu finden. Der Naturwissenschaftler Heinz Hilbrecht hat dies in seiner Analyse von Meditation und Gehirn als »innere Umkehr« bezeichnet (Hilbrecht 2010). Sie kann ein Schritt der Achtsamkeitsentwicklung sein. Auf dem Weg erfährt man in der Meditation verschiedene sogenannte Versenkungsstufen. Aber es tauchen auch die schmerzlichen Anteile des Lebens auf. Parallel dazu müssen die Erfahrungen der sozialen Umwelten und Lebensbühnen (Arbeit, Partnerschaft, Erziehung) verarbeitet werden. Für beides, die innere Einkehr wie die Außenwelt, gilt: Wenn man sich dem Leben und seinen Aufgaben darin stellt, seine Person darin einbringt und dies mit gescheiten und weisen anderen Menschen zusammen auswertet, trägt man zur Achtsamkeit bei und lernt unweigerlich.

      Abb. 3: Der Mensch in verschiedenen Situationen

      6. Die westliche und die östliche Weisheit

      Der indische Adelige Siddhartha Gautama hatte sich, nachdem er Askese, Yoga und viele andere Techniken letztlich ohne den erhofften Erfolg ausprobiert hatte, so lange zur Meditation unter einen Baum gesetzt, bis er die Erkenntnis erlangte. So wurde er der Buddha. Aber diese Erfahrung und Erkenntnis ist nicht nur den großen Weisheitslehrern oder Meistern wie Ramana Maharshi oder Jiddu Krishnamurti oder den westlichen Berichterstattern wie Karl Graf Dürckheim, Willigis Jäger oder Hugo Makibi Enomiya-Lassalle – alle drei hatten aus Aufenthalten in Fernost ihre Erfahrungen mitgebracht – vorbehalten. Jeder kann die Erkenntnis gewinnen. Im 19. Jahrhundert wurde Buddhismus im Westen noch belächelt. Ernst Lothar Hoffmann, der später als buddhistischer Lehrer den Namen Lama Govinda annahm, beschreibt dies in seinem Buch »Der Weg der weißen Wolke« sehr eindrücklich. Heute erkennt man den großen Erfahrungsschatz des Buddhismus, der einer 2600-jährigen Überprüfung durch große Denker und ›Lebenspraktiker‹ standgehalten hat. Zunehmend wird die Ähnlichkeit der Erkenntnisse in westlichen wie östlichen Denkmodellen offenkundig, wie drei Therapeuten im »Achtsamkeitsbuch« beschreiben (Weiss, Harrer, Dietz 2010). Und gerade die Studien neuerer westlicher Wissenschaften wie Psychologie und vor allem Neurophysiologie machen deren Wahrheit auch für den Skeptiker nachvollziehbar. Durch aktive Begegnung hat auch eine Integration in der anderen Richtung stattgefunden. In Asien haben die großen Länder China und insbesondere Indien Elemente der viel stärker zielorientierten und aktiven westlichen Herangehensweise genutzt, um Fortschritte für ihre wirtschaftliche Entwicklung und den Aufbau von Wohlstand für ihre Menschen zu erzielen. Die Welten begegnen sich mit großer Kraft. Das Modell der Aufmerksamkeitsebenen ist insofern inspiriert durch meine eigenen Erfahrungen in der westlichen, wissenschaftlich geprägten Praxis, aber auch durch das Training in der fernöstlichen Betrachtungsweise und in 30 Jahren Meditation und Übung.

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