Achtsamkeitscoaching. Günther Mohr

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Achtsamkeitscoaching - Günther Mohr EHP-Praxis

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Unterdrückung von Erfahrungen–Kein Veränderungswunsch–Intentionalität: vorhandene Absicht, achtsam zu sein

      3. Techniken

Konzentration und Fokussierung zu innerer Ruhe als Voraussetzung für Achtsamkeit
Etikettieren – Benennen der Erfahrung in einfachen Worte, nicht Konzeptionen

      4. Ziele und Wirkungen

Einsicht und Klarheit – Wahrnehmung der Welt
Ruhe, innerer Frieden und Gleichmut
Entwicklung von Freiheit; Befreiung von Leid im umfassenden Sinne
Entwicklung von liebender Güte, Mitgefühl und Mitfreude
Selbstregulation
Präsenz
Ermöglichung neuer Erfahrungen.

      (Weiss et al. 2010, S. 20 ff.)

      Manche Menschen erreichen plötzlich Achtsamkeit, ohne viel geübt zu haben. Bei anderen ist es mühsamer, wie es die Zen-Geschichte des großen Meisters Akoshi verdeutlicht.

      Er hatte als Zen-Schüler 15 Jahre lang jedes Koan (Rätsel zur Schulung der Geisteskraft) gelöst und während dieser ganzen Zeit asketisch gelebt. Er galt als Vorbild aller Übenden. Allerdings spürte er, dass er die Erleuchtung nicht erreicht hatte. Dies musste auch sein Meister konstatieren. So beschlossen sie, dass er das Kloster verlassen sollte. Er fühlte sich, als wäre er gescheitert. Als er den Klosterbezirk, der direkt neben dem Bordellviertel lag, verließ, dachte er, jetzt komme es auch nicht mehr drauf an und ging zu einer der schönen Frauen, die sich dort anboten. Und als er mit der Frau zusammen war, fühlte er die Erleuchtung. Er wurde ein großer Meister.

      Achtsamkeit kennt also viele Wege und sie ist individuell. Achtsamkeit wird sehr unterschiedlich erlebt. Für den einen ist sie tatsächlich Beruhigung, Entspannung, innere Ruhe, und den anderen kratzt sie auf, er bekommt endlich die Energie, seiner Berufung zu folgen. Achtsamkeit ist kein Wellnessprogramm, das auf die bürgerliche Sicherheit aufgesetzt wird. Im Beruf sind wir erfolgreich, die Kinder sind aus dem Haus, das Haus ist abbezahlt, jetzt besorgen wir uns noch Achtsamkeit. Achtsamkeit ist keine Fortsetzung eines unendlichen Entspannungsprogramms. Es ist nicht das permanente »Om« auf den Lippen. Denn der skurrile Auftritt, den manche mit Achtsamkeit verwechseln, trennt von anderen Menschen und lässt so ein wesentliches Moment von Achtsamkeit, die Beziehung zu anderen Menschen, außer Acht.

      Achtsamkeit besteht nicht in einem Rückzug aus der Welt. Der Mensch ist ein grundlegend soziales Wesen. Achtsamkeit ist von Mitgefühl oder dem christlichen Begriff »Nächstenliebe« nicht zu trennen. Zur Achtsamkeit gehört die Erkenntnis, dass ausgeprägter Individualismus eine sich zwar verbreitende, aber merkwürdige und unrealistische Sichtweise ist. Ohne andere Menschen, ohne die Beiträge früherer Generationen und auch ohne unsere Umwelt wären wir nichts. Deshalb bedeutet Achtsamkeit auch achtsames Eingreifen in die Welt, jedoch aus einer ›geläuterten‹ Perspektive heraus, die weder gedankenlos noch blind oder etwa hysterisch durch die emotionale Ebene getrieben agiert.

      Ab dem mittleren Erwachsenenalter interessieren sich viele Menschen für Spiritualität oder Religion. Vielleicht ist der näher rückende Tod für diese Hinwendung verantwortlich. Das ist in allen Kulturen so. In der traditionell sehr spirituell geprägten Kultur Indiens widmen sich gläubige Hindus nach einem erfolgreichen Berufsleben im dritten Lebensdrittel der Spiritualität. Achtsamkeit ist aber auch hier die intensive Auseinandersetzung mit den kindlich geprägten religiösen Vorstellungen. Da ist vieles auszusortieren, was noch ungeprüft im Unbewussten als wirksame Vorstellung schlummert.

      Nach allen Erklärungen, was Achtsamkeit nicht ist, kann man sie viel knapper folgendermaßen beschreiben: Achtsamkeit ist ein ganzheitlicher, bewusster Einsatz der Aufmerksamkeitsebenen. Mit seinem ›inneren Beobachter‹ oder ›inneren Zeugen‹ sieht man das gute Zusammenwirken seiner Aufmerksamkeitsebenen zu einer integrierten Achtsamkeit. Achtsamkeit ist mehr Akzeptanz als Bewertung und Veränderung. Aber akzeptiert man sich erst einmal so wie man ist, entstehen Entwicklung und Veränderung sehr viel leichter. Man hält sich dann nicht mehr mit überlagernden Mustern auf. Der Mensch erfährt seinen individuellen Weg.

      Achtsamkeit ist gerade heute ein Weg gegen Burn-out. Achtsamkeit steht dem Sich-Verlieren in der totalen Reizwelt der vielen Pseudoannehmlichkeiten und vermeintlichen Sachzwänge gegenüber.

      Übung: »The first appointment of the day«

      Mach den ersten Termin morgens mit dir und deiner Aufmerksamkeit. Hol’ dich selbst für den Tag ab. Nimm dir mindestens eine halbe Stunde Zeit, um mit deinem Innersten in Kontakt zu kommen und dich zu zentrieren. Du kannst die verschiedenen Aufmerksamkeitsebenen zu Wort kommen lassen.

      Wenn ich diese Übung in Gruppen vorschlage, höre ich vielfältige Proteste, warum das nicht geht. Einer muss Kinder versorgen oder früh zur Arbeit oder ist morgens schlecht drauf oder, oder, oder. Meine Antwort darauf ist: Es geht. Man kann es realisieren. Zur Not geht man abends früher ins Bett.

      Mit dem Eigenen zu beginnen, vor allem anderen am Tag, hat viele Vorteile. Man bekommt das Gefühl, schon etwas für sich getan zu haben und jagt dem nicht den ganzen Tag hinterher. Dieser Tagesbeginn mit innerer Aufmerksamkeit ist keine neue Erfindung. In allen Weisheitslehren, ob im Christentum oder im Buddhismus, wird für praktizierende Mönche der Tag mit einer solchen Zentrierung begonnen, bevor die jeweiligen Rollen (Mutter, Berufstätiger, Schüler) den Menschen einnehmen. »So make the first appointment of the day with yourself“

      Eine zweite ganz einfache Übung geht in eine ähnliche Richtung.

      Übung: Innehalten

      Für ein paar Sekunden setzen wir uns aufrecht hin oder, wenn wir unterwegs sind, bleiben stehen oder gehen bewusster, atmen bewusster und konzentrieren uns auf die Freude in unserem Leben. Wir können uns beispielsweise die Menschen vorstellen, die wir lieben.

      (nach Matthais Ennenbach)

      Welche Vorteile bietet die Betrachtungsweise der verschiedenen Aufmerksamkeitsebenen? In erster Linie wird der eigene Horizont erweitert. Die Erkenntnis, dass mögliche Aufmerksamkeitsebenen über das übliche Betrachten hinausgehen, ist für viele Menschen neu. Vor allem das Hinnehmen der transgenerationalen und der nondualen Aufmerksamkeitsebene ist ungewohnt und fremd. Für die meisten ist beim Ich Schluss. Andere oder das Ganze sollen Einfluss auf mich haben? Jeder ist doch seines Glückes Schmied. Da ist auch etwas dran, denn jeder liefert seinen Beitrag. Dennoch ahnen viele Menschen, dass es noch mehr gibt.

      Zweitens werden Unterschiede und Konflikte verstehbar. Themen des Alltags, des Berufs und der Politik werden von einzelnen Menschen mit sehr unterschiedlichen Aufmerksamkeitsebenen wahrgenommen und mit unterschiedlichem Bewusstsein diskutiert. Die eine Seite argumentiert logisch und rational, etwa mit Zahlen, die andere Seite hat einen emotionalen Bezug, vielleicht aus einem persönlich biografischen Erleben heraus. Treffen solche Menschen aufeinander, können sie in der Kommunikation Probleme bekommen. Man spricht nicht dieselbe Sprache, hat nicht dieselbe Wellenlänge, versteht sich nicht.

      Drittens wird eine Perspektivenergänzung ermöglicht. Wer sich die sechs Aufmerksamkeitsformen vor Augen führt, kann manche Fragestellungen differenzierter und klarer auftrennen. So dringt auch die häufige Vermischung von Körper und Gefühl ins Bewusstsein. Körperempfindungen und Gefühle sind etwas deutlich Unterschiedliches, wie der portugiesische Hirnforscher António Rosa Damásio herausgefunden hat (Damásio 2000). Vielen fällt es aber schwer, zwischen Gedanken und Gefühlen zu unterscheiden. Dies ist aufgrund der häufigen Musterbildung aus Körperempfindungen, Gefühlen und Verhalten sowie der oft früh konditionierten Prägung einzelner Verknüpfungen verständlich.

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