Liebesbrief an Unbekannt. Thomas Brezina
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Auf so einen Hinweis hatte sie jetzt keine Lust. Jetzt nicht und in Zukunft nicht. Daher ignorierte sie den Blick, obwohl der Duft des Parfüms wirklich anziehend auf sie wirkte.
»Das macht fünf Pfund.« Die Kellnerin stellte das große und das etwas kleinere Bierglas vor sie auf eine blaue Frotteematte mit dem Logo des Fußballclubs Chelsea. Sie hatte die Gläser gut gefüllt und seitlich rannen Schaum und Bier herab. Emma kramte eine zerdrückte 5-Pfund-Note heraus und reichte sie der Frau. Sie nahm die Gläser und wollte sich nach rechts drehen, wo Eric an einem schmalen Tisch in einer Nische saß.
»Verzeihung«, sagte der Mann, der sie angestarrt hatte.
Nein, keine Bemerkung über Krümel von verbranntem Toast in meinem Gesicht, dachte Emma und beschleunigte die Drehung. Sie machte einen Schritt…
…das heißt, sie wollte einen Schritt machen. Aber etwas hielt ihren rechten Fuß zurück. Emma stolperte nach vorne, versuchte sich zu fangen, stolperte dabei aber weiter und ihre Hände mit den vollen Gläsern schnellten in die Höhe. Sie schaffte es die rutschigen Gläser festzuhalten, das Bier aber schwappte heraus. Der Mann war auf sie zugesprungen und hielt sie gerade noch fest, bevor sie stürzte.
Die Gläser waren halbleer, das Bier auf dem Boden.
Wie konnte man nur so ungeschickt sein?
»Brauchen Sie was zum Abwischen?«, fragte die Kellnerin. Sie klang noch mürrischer als zuvor.
»Nein, danke«, sagte Emma.
»Nicht Sie. Er!«
Erst jetzt bemerkte Emma, dass sie den Großteil des Biers über den Mann geschüttet hatte. Sein roter Strickpullover hatte auf der Brust einen großen nassen Fleck. Das Bier hatte seine Spur aber auch vorne auf der Jeans hinterlassen, was peinlich aussah.
»Es tut mir so leid. Entschuldigung.« Emma nahm die kleine Frotteematte vom Tresen und wollte den Fleck am Pulli trocknen. Der Mann ließ es sich gefallen.
»Ihr Schnürsenkel ist offen. Ich wollte Sie aufmerksam machen«, sagte er.
Emma blickte auf und in ein frisches, leicht gebräuntes Gesicht. Sie sah einen Anflug von Bartstoppeln, buschige Augenbrauen und ein Lächeln, das echt und freundlich schien. Sein Haar war kurz geschnitten und recht präzise frisiert.
Als sie da so mit dem nassen, nach Bier stinkenden Frotteetuch an seinem Pullover fummelte, kam sich Emma wieder einmal unendlich lächerlich vor.
»Lassen Sie mich.« Die Kellnerin war hinter dem Tresen vorgetreten und schob Emma zur Seite. Sie hatte ein frisches Geschirrtuch gebracht und tunkte das Bier vom Pullover mit schnellen Griffen auf. Danach zeigte sie auf die Flecken am Hosenstall und meinte: »Das tun Sie besser selbst.« Der Mann lachte kurz auf und nahm ihr das Tuch ab. Als er fertig war – mit nicht so viel Erfolg wie am Pullover – nahm sie ihm das Tuch wieder ab, warf es auf den Boden und bewegte es mit der Schuhspitze über die Bierpfütze.
»Tut mir wirklich leid.« Emma zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Last order«, rief die Kellnerin und läutete die Schiffsglocke an der Wand neben dem Tresen.
»Ein Glas Chardonnay«, bestellte der Mann.
Die Tür des Pubs wurde aufgestoßen, und eine dunkelhaarige Frau schlüpfte herein. Sie hatte diese Art sich zu bewegen, um die sie Emma sofort beneidete: sicher, elegant, sehr damenhaft. Die Frau winkte dem Mann, kam auf ihn zu und betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Was ist dir denn passiert?«
»Kleiner Unfall mit zwei Biergläsern. Muss nur trocknen.«
Emma war erleichtert, dass er sie aus dem Spiel ließ. »Wieso warst du nicht in der Vorstellung?«, hörte sie die Frau vorwurfsvoll fragen. Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter Richtung Stadttheater, das schräg gegenüber vom Fitzherbert lag.
»Weil ich viel zu spät war, verzeih mir. Ich war unten am Strand beim Pier. Jamie hat schon sehr auf seinen Abendspaziergang gewartet, denn ich war heute lange in der Kanzlei und musste noch so viel vorbereiten für die Verhandlung morgen.«
»Du kennst nur deine Arbeit.«
»Ich muss es morgen schaffen, für meinen Klienten 500.000 Pfund zu retten, weil er sonst pleite geht. Aber ich komme am Dienstag in die Vorstellung. Versprochen.«
Die Kellnerin schob das Glas mit dem Weißwein zu den beiden.
Emma fragte kläglich, ob sie bitte noch einmal ein Pint und ein halbes Pint haben könnte. Wortlos machte sich die Kellnerin ans Zapfen. Eric tauchte neben Emma auf. »Ich übernehme das.«
»Nein, ich.«
»Du bindest deinen Schnürsenkel.«
Gehorsam bückte sich Emma nach unten. Sie kam sich vor wie ein dummes, kleines Schulmädchen.
Eric bezahlte und trug die Gläser in die Nische. Er holte auch noch zwei Säckchen Chips, riss beide auf und drehte sie Emma hin.
»Danke, nein.« Sie klopfte auf ihren Bauch.
»Bist du schwanger? Von wem?«, fragte Eric grinsend.
Emma nahm das Glas und drohte scherzhaft, es ihm über den Kopf zu leeren.
Sie prosteten sich zu und nahmen beide einen Schluck. Das Bier war genau richtig gekühlt und schmeckte.
»Was ist los? Hast du geweint am Strand oder nicht?« Eric sah sie auf eine Art an, als wollte er ausdrücken, dass es für Emma kein Entkommen gab. Sie musste ihm jetzt die Wahrheit sagen.
Lieber Wer-immer-du-bist,
37 Minuten nach Mitternacht. Könntest du Eric sein? Wäre das möglich? Können diese Briefe wirklich so schnell wirken, und habe ich meinen zukünftigen Mann schon angezogen? Habe ich vorhin einen Fehler gemacht, als mich Eric vor der Haustür abgesetzt hat? Hätte ich dich hereinbitten sollen auf einen »letzten Drink«, der natürlich direkt ins Bett geführt hätte?
Eric, ich hätte dich so gerne hier behalten, ich gebe es zu, wenn du derjenige bist, an den ich diese Briefe schreibe. Ich hätte dich gerne an mich gezogen und dich geküsst. Du hast dich so angenehm angefühlt, als ich hinter dir auf deinem Moped gesessen und mich an dir festgehalten habe.
Gehst du viel ins Fitnessstudio? Trainierst du? Deine Bauchmuskeln sind stark, und Schwimmreifen scheinst du keinen zu haben. Jedenfalls konnte ich keinen durch deine Lederjacke spüren.
Ich sitze hier und schreibe dir, weil ich einfach loswerden muss, wie unendlich blöd ich mich fühle. Wenn du wirklich derjenige bist, der in mein Leben soll (ich kann mir das vorstellen), dann habe ich unser erstes Date total verhaut. Nicht wegen des Tritts in deine Mitte. Das war irrtümliche Notwehr. Nein. Aber ich habe auf jede deiner Fragen eine falsche Antwort gegeben. Mit falsch meine ich, eine erfundene Antwort, eine Lüge.
Langsam finde ich diese Briefe, die