Liebesbrief an Unbekannt. Thomas Brezina
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Du hast mich gefragt, ob ich am Strand geweint habe. Meine Antwort: Ich habe eine Atemmeditation gemacht, mit stoßweisem Ausatmen. Nell tut das regelmäßig, und ich habe sie dabei beobachtet, am Tag bevor sie abgereist ist.
Die Wahrheit ist: Ich habe geweint, weil es der einzige Weg ist, diesen schrecklichen Knoten in meinem Hals und meiner Brust loszuwerden, der dort sitzt und wehtut.
Eric, wie soll ich dir jemals sagen, wer ich wirklich bin? Du würdest sicher allen Respekt vor mir verlieren. Es kann nicht anders sein, denn ich habe selbst vor mir keinen Respekt mehr.
Wenn du wüsstest, was ich alles getan habe in den vergangenen Jahren und welche Folgen es für die Menschen rund um mich hatte, und für mich natürlich auch.
Deshalb lüge ich. Deshalb rede ich von stoßweiser Atmung und Meditation. Deshalb habe ich dir auch im Lucky Beach, als du mich auf den Mojito eingeladen hast, erzählt, ich wäre Journalistin und würde eine große Geschichte über die kleinen Hotels und B&Bs in Brighton recherchieren. Deshalb hätte ich das Hotel von Nell für einige Monate übernommen.
Du hast es geglaubt und mich bewundert, weil ich für ein Magazin schreibe.
Aber es war alles nur gelogen.
Manchmal bekomme ich in letzter Zeit Angst, dass ich mir die Lügen nicht merke, die ich Leuten erzähle. Ich versuche wenigstens, ziemlich die gleichen Geschichten zu verwenden, um nicht völlig durcheinander zu geraten.
Aber bestimmt würdest du dich nicht mehr über den Tisch beugen und »Echt?« sagen, wenn ich dir reinen Wein einschenke. Dabei mag ich diese Momente mit dir so besonders. Weil ich dann deine dunklen Augen aus der Nähe sehe und die kleine Narbe über der Augenbraue, die vom Biss deiner Zwillingsschwester stammt.
Heute habe ich mich so zurückhalten müssen, dir nicht mit den Fingern durch deine Haare zu fahren. Ich hätte nie gedacht, dass ich rote Haare anziehend finde, aber deine schon.
»Ginger« nennt ihr die Farbe hier. Wieso eigentlich Ingwer? Ingwer ist doch nicht orange oder rot, sondern eher gelb.
Es tut so gut, mit dir zu reden. Danke, dass du mich vor drei Wochen auf den Mojito eingeladen hast, als ich im Lucky Beach gesessen habe. Ich hätte mir den Drink nie leisten können, dabei ist Mojito ganz oben auf meiner Hitliste.
Der Grund, wieso ich trotz des Regens in ein Strandcafé gekommen bin, war die Hoffnung auf eine frühe Happy Hour. Wenig Gäste, mehr Großzügigkeit, habe ich gedacht. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass du mich einlädst.
Weiß das dein Chef? Hat er eine Ahnung, dass sein Caféleiter/Kellner Frauen auf Drinks einlädt?
Er ahnt es, wie alle Lokalbesitzer ahnen, dass ihre Mitarbeiter sich bedienen. Es war bei uns auch so, daher kenne ich mich aus. Aber daher weiß ich auch von »frühen« Happy Hours, von verbilligten Drinks, damit die wenigen Gäste zu trinken anfangen, auf den Geschmack kommen und weitertrinken. An schwachen Tagen kann man so gutes Geschäft machen.
Wie du hörst, bin ich Expertin.
Oder ich war Expertin. Mich lässt niemand mehr in ein Lokal, um es zu leiten, wenn er oder sie erfährt, was geschehen ist.
Vielleicht deshalb eine Warnung: Bleib besser weg von mir. Ich bringe kein Glück.
Jetzt bin ich beruhigt, dass ich dich nicht ins Haus eingeladen habe. Es ist gut, dass nichts weiter geschehen ist. Für einen One Night Stand bist du einfach zu freundlich.
Habe gerade gelesen, was ich alles geschrieben habe. Ich muss verrückt sein. Dieses Briefeschreiben muss aufhören. Ich werde den Brief zerreißen und wegwerfen.
Wieso schreibe ich das auf? Wieso schreibe ich meine Frage auf, wieso ich das aufschreibe?
Emma, du hast sie nicht mehr alle.
Mit einem tiefen Seufzer richtete sich Emma auf. Es war genug. Wenn sie mit Eric flirten wollte, dann musste sie nur ins Lucky Beach gehen und sich an einen Tisch setzen. War wenig Betrieb, hatte er Zeit. Sie konnte weiter vorgeben, Journalistin zu sein. Vielleicht gefiel sie ihm, und er hatte Spaß an einem kleinen Flirt.
OMG, wie lange hatte sie schon nicht mehr geflirtet. Am vergangenen Abend war es das erste Mal gewesen, dass sie mit einem Mann annähernd das gehabt hatte, was man Flirt nennt. Natürlich sehnte sie sich auch nach mehr Berührung, einer langen Umarmung, zarten Küssen, die langsam heftiger wurden, und sie hätte nichts dagegen gehabt, auch wieder einmal einen Mann in ihrem Bett zu haben.
Es würden dann wieder die üblichen Zweifel und Unsicherheiten beginnen, aber das nahm sie in Kauf.
Ja, sie beschloss, Eric beim nächsten Mal einfach Andeutungen zu machen, dass sie bereit für mehr wäre. Bisher erschien er als liebenswert, wenn auch nicht als Traummann. Ihre Lügen würde er irgendwann herausfinden, aber wenn sie bis dahin schon Spaß miteinander gehabt hatten und die Gefühle abgeflaut waren, konnte es ihr egal sein.
Nachdenklich blickte sie durch das Erkerfenster auf die parkenden Autos.
Emma, Emma, was ist aus dir nur geworden, fragte sie sich im Stillen. Viel wichtiger aber war wohl die Frage, was aus ihr werden sollte?
Sie schob den Stuhl zurück und stand auf. Zeit, ins Bett zu gehen. Schlafen und vergessen. Das hatte in der Vergangenheit immer geholfen.
5
Wie viel hatte sie am Abend getrunken? Beim Aufwachen fühlte sich Emma wie nach einer Partynacht. Sie versuchte sich genau zu erinnern, und ihr fielen nur zwei kleine Bier ein. Davon konnte sie doch nicht so benebelt sein.
Sie setzte sich im Bett auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Ihr Zimmer – eigentlich das Schlafzimmer ihrer Tante Nell – lag unter dem Dach, war niedrig und eng. Emma mochte hier so gut wie gar nichts: Die Blümchentapete war hoffnungslos altmodisch und ausgebleicht, das Bett zu hoch und für ihren Geschmack zu weich, das Braun des Schranks der Nachtkästchen hatte ihr vom ersten Moment an nicht gefallen.
Das Wetter verbesserte ihre Laune auch nicht gerade. Der Himmel hatte das gewohnte Grau und der Wind rüttelte an den Hälften der Schiebefenster. Emma rechnete mit Regen bis spätestens Mittag.
Was für ein großartiger Wochenbeginn, dachte sie und stand auf.
Die Küche befand sich, wie in vielen dieser Häuser, im Souterrain. Es war ein Keller, der halb aus dem Boden ragte und Fenster besaß, durch die Licht fallen konnte. Emma stapfte gähnend die steilen Treppen hinunter. Das Haus war schmal, besaß aber vier Stockwerke samt Dachgeschoss, und dann noch Küche und Essraum im Keller.
Sie fröstelte und zog den ziemlich ausgeleierten Bademantel fester um sich und den Stoffgürtel zu. Auch der Mantel war aus dem Besitz ihrer Tante, und Emma hoffte, sich bald einen eigenen neuen kaufen zu können.
Aus Sparsamkeit hatte sie die Heizung nicht mehr eingeschaltet, aber in Brighton brauchte man sie manchmal sogar im Juli, hatte ihr Patricia erklärt. Der Anblick, der sich Emma in der Küche bot, war auch nicht sehr erfreulich: Drei volle Müllsäcke lehnten an der Anrichte, weil sie so oft vergessen hatte, sie hinaus an den Zaun zu hängen. In Brighton war es nicht erlaubt, den Müll einfach nur hinzustellen, da die Möwen sonst die Säcke aufrissen und den Abfall nach Fressbarem durchwühlten.
Sie füllte den elektrischen