Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg
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Zunächst hatte er überlegt, seiner Frau gar nicht die ganze Wahrheit zu sagen, um ihr nicht alle Hoffnung zu nehmen. Er hatte aber eingesehen, dass Martins Zeugnis für sie dann bloß ein noch größerer Schock sein würde. Wenn er ihr versprach, ihren Liebling die Klasse notfalls wiederholen zu lassen, würde sie über die schlimme Nachricht schon irgendwie hinwegkommen. Sollte sie auch, denn in vierzehn Tagen würden sie beide den zwanzigsten Hochzeitstag feiern.
Er hatte seine Marlies in Schwarzach/St.Veit kennengelernt, wo er nach seinem Turnus in Krems die Facharztausbildung begonnen hatte. In der Skisaison fast nur Knochenbrüche, viele davon sehr kompliziert. Sie war dort Krankenschwester gewesen. Obwohl er in seiner Studentenzeit und als junger Arzt alles andere als ein Kostverächter gewesen war, hatte er es mit seiner Wahl so ausgezeichnet getroffen, dass er seit der Heirat nie mehr auch nur in Versuchung geraten war. Sie hatte auch jeden seiner berufsbedingten Ortswechsel ohne Murren mitgemacht. Vor neun Jahren war er dann ans Ziel seiner Träume gekommen: das Chirurgie-Primariat in Krems.
Er hatte vorgehabt, seine Frau zum Hochzeitstag ins Danieli nach Venedig einzuladen, aber sie hatte entschieden abgelehnt. Viel zu teuer. Sie wünschte sich zum bevorstehenden Geburtstag ein Abendessen im Landhaus Bacher und zum Hochzeitstag eine Nacht im Schlosshotel Dürnstein, wo sie schon seinerzeit auf Wunsch seiner Marlies die Hochzeitsnacht verbracht hatten. Es musste auch wie damals Zimmer 34 sein, das er schon vor zwei Wochen reserviert hatte.
Eine Hochzeitsreise von Salzburg in die Wachau schien ihm durchaus angebracht. Aber was sollten sie jetzt in einem Hotel, das nur sieben Kilometer von ihrem höchst komfortablen Kremser Haus am Fuß des Rosenhügels entfernt war? Eine verrückte Idee. Doch er hatte gelernt, seiner Frau in gewissen Dingen nicht zu widersprechen.
4. April, 08:35 Uhr
Sie war noch am Vorabend von Spencer telefonisch darüber informiert worden, worauf er in Weißenkirchen gestoßen war. Ein höchst eigenartiger Fund. Wer vergräbt schon eine Frau in einem Weingarten? Noch dazu eine alte Frau, wenn sich die Information über die künstliche Hüfte als den Tatsachen entsprechend herausstellen sollte, woran sie keinen Zweifel hatte. Die Kontrollnummer konnte wahrscheinlich nicht mehr eruiert werden. Das machte die Sache nicht einfacher.
Sie war jetzt seit fast zwei Jahren Leiterin der Mordkommission und hatte es in diesen Jahren mit einer Reihe von spektakulären Mordfällen zu tun gehabt. Einige von ihnen waren ihr zunächst höchst rätselhaft erschienen, aber sie war immer sicher gewesen, die Rätsel letztlich zu lösen. Warum hatte sie seit gestern Abend ein derart ungutes Gefühl? Es war doch nicht einmal sicher, ob es sich um Mord handelte. Wahrscheinlich hatte ihr das Gespräch mit Marbolt mehr zugesetzt, als sie wahrhaben wollte.
Ihr Mann, dem sie von der unerfreulichen Begegnung erzählt hatte, schien die Sache nicht besonders ernst zu nehmen. Er hatte eine verblüffende Argumentation für seine Sorglosigkeit: Weder ein Landeshauptmann noch ein Minister würde eine erfolgreiche und gleichzeitig attraktive Frau gegen ihren Willen von ihrem Posten abziehen können. Das würde sich in der Öffentlichkeit gar nicht gut machen. Da müssten sie schon eine noch erfolgreichere und noch attraktivere Frau im Talon haben.
Beides zusammen ist so gut wie ausgeschlossen, wie er ihr mit dem Lächeln versicherte, mit dem er sie seinerzeit gegen harte Konkurrenz erobert hatte. Seine Worte gefielen ihr durchaus, beruhigten sie aber nicht wirklich. Sie hatte sich allerdings gefreut, als er ihr vor dem Einschlafen von der Turnprofessorin und ihrer Einschätzung von Sophie erzählte. Sie hielt die Geschichte mit dem Völkerball zwar für eine kuriose Methode zur Charakterbestimmung, aber im Fall ihrer Jüngsten lag die Lehrerin bestimmt richtig.
Sie hatte mit ihrem Stellvertreter, der noch am Vorabend das Team der Spurensicherung für den Einsatz heute Vormittag gebrieft hatte, vereinbart, sich um halb neun zur Besprechung der weiteren Vorgangsweise in ihrem Büro zu treffen.
Die Sonne schien, von ein paar dünnen Wolken leicht verschleiert, in ihr Fenster. Ihre schwarzen Haare, die sie heute früh gewaschen hatte, in der Hoffnung, sich damit auch den Frust von der Seele zu spülen, glänzten noch stärker als gewöhnlich. Sie hatte sich sogar ihre Stirnfransen frisch geschnitten, weil einige von ihnen schon an ihre Augenbrauen stießen.
Als Malzacher eintrat, musste sie schmunzeln. Wahrlich kein sehr erhebender Anblick. Der Hemdknopf über dem behaarten Bauchnabel stand wie immer offen. Die Kragenspitzen zerknüllt, als ob er in dem Hemd geschlafen hätte. Und die Kragenweite sicher um zwei Nummern zu klein. Das Hemd hatte er wahrscheinlich schon vor mindestens zehn Jahren gekauft. Seitdem hatte Spencers Hals an Umfang mindestens drei Zentimeter zugelegt.
»Guten Morgen.« Er kam sofort zur Sache. »Gestern habe ich dir am Telefon gesagt, dass mir Übles schwant. Tut es heute noch immer.«
»Guten Morgen. Jetzt setz dich einmal nieder. Magst du einen Kaffee?«
»Nur, wenn du ihn mir höchstpersönlich servierst. Und bitte mindestens auf Augarten. Steht mir zu, wo ich doch bei deinem Chef so hoch im Kurs stehe, findest du nicht?« Er setzte sich wieder auf den Sessel, den er schon gestern Nachmittag mit seinem Gewicht malträtiert hatte. »Vielleicht spendiert er für mich sogar einen neuen Sessel. Den da kann er sich nehmen. Sein Spatzengewicht hält der noch hundert Jahre aus.«
Doris stand auf. »Augarten habe ich nicht. Aber meine Papierbecher sind von Meißen. Wenn du damit vorliebnimmst, kannst du einen Kaffee haben. Ich bringe ihn dir sogar.«
Sie gab ihm einen Klaps auf seinen breiten Rücken.
»Klingt irgendwie preußisch. Aber wenn der Inhalt wenigstens österreichisch stark ist, soll es mir recht sein.«
Nachdem sie mit zwei Bechern dampfenden Kaffees zurückgekommen war und sich wieder gesetzt hatte, kam sie ohne weiteres Herumalbern zur Sache. »Ich habe ehrlich gesagt auch kein gutes Gefühl. Aber das haben wir am Anfang eines Falles noch nie gehabt. Vielleicht ist es auch gar kein Fall, und jemand hat sich einen Spaß erlaubt und eine Leiche gestohlen.«
»Doris, da habe ich von dir schon originellere Erklärungen gehört. Wer soll bitte die Leiche einer unbekleideten alten Frau stehlen und in einem Weingarten vergraben? Der einzige, der mir dazu einfällt, wäre ein sternhagelvoller Prosekturdiener. Aber der wäre dann nicht mehr imstande, ihr einen Finger auszureißen.«
»Du bist sicher, dass er nicht amputiert ist?«
»Ganz sicher bin ich nicht, aber ziemlich. Auf meiner Rückfahrt von Weißenkirchen bin ich gleich in Krems gewesen und habe den Staatsanwalt informiert. Ganz schön fixer Bursche. Hat gleich in meinem Beisein an der Gerichtsmedizin in Wien angerufen und einen Pathologen angefordert. Hat auch gleich einen aufgetrieben, der versprochen hat, heute nach Krems zu kommen und sich das Skelett anzuschauen. Aber keine Ahnung, wann er mit seiner Arbeit fertig sein wird. Von den Wienern sind wir in der Hinsicht ja nicht gerade verwöhnt.«
»Und du hast den Verdacht, dass an dem Finger ein Ring gesteckt hat …«
»… den der Mann nicht gleich vom Finger gekriegt hat. Theoretisch könnte er natürlich am Wert des Ringes interessiert gewesen sein. Aber ich vermute einmal, dass er einfach nicht wollte, dass die Frau über ihren Ring identifiziert werden kann. Nur hat er nichts von der künstlichen Hüfte gewusst.«
»Könnte der Täter keine Frau gewesen sein?«
»Eher