Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg

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Dürnsteiner Würfelspiel - Bernhard Görg

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es, wenn du ihm einen schönen Gruß von mir ausrichtest?«

      »Ich werde mich darum kümmern, keine Sorge. Ich werde selbst Wache halten. Da braucht es einen sehr erfahrenen Mann.«

      3. April, 18:35 Uhr

      Seine Frau hatte ihn schon in der Früh gewarnt, dass sie es wegen des Besuchs ihres neuen Chefs möglicherweise nicht zum Elternsprechtag schaffen würde. Daher hatte sie ihn gefragt, ob er eventuell für sie einspringen könnte.

      Erich Lenhart war mit ihr schon zu Beginn der Schulzeit der älteren Tochter übereingekommen, Sprechtage nur im äußersten Notfall zu versäumen, weil deren Besuch auch eine Form der Wertschätzung für die Arbeit der Lehrer war. Er hatte aber Verständnis dafür, dass sie ihren neuen Vorgesetzten nicht gleich am ersten Tag sitzen lassen konnte. Er verschob seine Nachmittagstermine, um selbst in die Schule fahren zu können. Er war daher überrascht über den Anruf seiner Frau, dass sie den Sprechtag doch schaffen würde. Da er selbst schon zur Schule unterwegs war, kam er schnell mit ihr überein, sich die Arbeit zu teilen. Sie würde sich um die Lehrer ihrer Sechzehnjährigen kümmern, er um die ihrer elfjährigen Sophie.

      Als er knapp nach halb sieben in die Wohnung gegenüber der Hesser-Kaserne in der St. Pöltner Innenstadt zurückkehrte, war seine Frau noch nicht da. Das war für ihn keine Überraschung. Lehrer hatten in der Regel über Sechzehnjährige mehr zu erzählen als über Elfjährige, und Eltern mussten sich daher länger anstellen, um etwas über die Leistungen ihrer Sprösslinge aus den Oberstufenklassen zu erfahren.

      Er wusste, dass Sophie eine problemlose Schülerin war. Intelligent, fleißig und darüber hinaus anpassungsfähig. Zuhause war sie manchmal bockig, wenn sie sich in Konkurrenz zu ihrer Schwester Veronika fühlte, aber insgesamt bereit, einen elterlichen Rat anzunehmen. Es kam daher für ihn nicht unerwartet, dass die Lehrer in den Hauptgegenständen nur Gutes über sie zu berichten hatten.

      Aus einer reinen Laune heraus, die er auch mit zwei Stunden Abstand nicht erklären konnte, hatte er sich spontan entschlossen, der Turnlehrerin von Sophie einen Besuch abzustatten. Eigentlich war das völlig unnötig, weil seine Tochter die Sportlichkeit ihrer Mutter geerbt hatte. Alles andere als eine sehr positive Beschreibung durch die Lehrerin wäre für ihn eine Überraschung gewesen.

      Als er an der Tür zur 7a des Gymnasiums in der Hainfelderstraße klopfte, in der die Sportlehrerin auf nachfragende Eltern wartete, hörte er sofort ein sehr freundliches »Herein«. Beim Eintritt bot sich ihm ein für einen Elternsprechtag ungewohntes Bild. Eine sehr sympathische, sportliche Frau, die er auf Anfang fünfzig schätzte, lächelte ihn an. Sie hatte eine hellblonde Haarfarbe, bei der er nicht sicher war, ob sie natürlich oder Chemie war. Die Lehrerin saß mutterseelenallein in dem großen Zimmer, nicht etwa am Pult, sondern auf einem Sessel vor der ersten Bankreihe links vom Zwischengang. Das offene Lächeln, das sie ihm zeigte, erweckte den Eindruck, als ob sie nicht nur erfreut, sondern geradezu dankbar über seinen Besuch war.

      Nachdem er sich vorgestellt hatte, bat sie ihn mit freundlicher, erstaunlich jugendlich wirkender Stimme, Platz zu nehmen. Gleich darauf erlebte er die nächste Überraschung. Die Lehrerin verzichtete auf einen Blick in ihr Notizbuch, wie es sonst üblich war, sondern begann gleich, über Sophie zu sprechen. In Turnen und Sport konnte sie nur das Beste über sie sagen. Und dann setzte sie etwas hinzu, das ihn gleichzeitig freute und neugierig machte. »Sie können stolz auf ihre Tochter sein. Sie ist nicht nur eine ausgezeichnete Sportlerin und, wie ich von meinen Kolleginnen und Kollegen weiß, eine fast perfekte Schülerin, sie hat auch einen sehr guten Charakter.«

      Wie konnte man am Reck oder beim Schwimmen den Charakter eines Menschen feststellen?

      »Das höre ich natürlich sehr gern, Frau Professor. Aber es macht mich neugierig, wie Sie zu dem Urteil über den Charakter meiner Tochter kommen.«

      »Ich habe da eine sehr einfache Methode. Ich beobachte die Kinder beim Völkerball, das wird in der Unterstufe noch immer viel und gern gespielt. Dabei sehe ich drei Typen von Kindern. Die einen, die mit dem Ball auch dann auf ein Kind schießen, wenn es gestürzt ist. Das sind die mit einem Durchschnittscharakter. Dann die zweite Gruppe, die nicht nur auf ein gestürztes Kind schießt, sondern auch bewusst auf dessen Gesicht zielt. Diese Gruppe können Sie charakterlich vergessen. Und dann die dritte – leider die kleinste –, die nie auf ein gestürztes Kind schießen würde. Das sind die besonders anständigen Kinder. Und ihre Sophie zählt zu dieser Gruppe.«

      Auch wenn ihm als gelernten Psychologen diese Klassifizierung etwas simpel schien, verstand er doch deren Logik. Jedenfalls freute er sich über das Lob über seine Jüngste. Die Professorin sah ihm offensichtlich die Freude an und beeilte sich hinzuzufügen: »Ist leider gar nicht auf meinen Mist gewachsen. Darauf hat mich als ganz junge Turnlehrerin ein erfahrener Kollege hingewiesen. Er hat seine Theorie vor fast vierzig Jahren an einem seiner Schüler entwickelt, der sich einen geradezu sadistischen Spaß daraus gemacht hat, seinen Kameraden ins Gesicht zu schießen. Mein Kollege hat damals gemeint, dass da ein potentieller Mörder heranwächst. Oder aber ein Mordopfer. Ich gebe aber zu, dass diese Schlussfolgerung selbst mir zu kühn gewesen ist.«

      3. April, 19:15 Uhr

      Auch am Piaristengymnasium Krems fand heute der Elternsprechtag statt – wie immer kurz vor Verteilung der Osterferien. Auch zu diesem Sprechtag war ein Vater unterwegs. Ein sehr besorgter. Bei diesem Vater handelte es sich um Doktor Christoph Ritzek, Primar der Chirurgischen Abteilung des Landesklinikums Krems.

      Im Gegensatz zu Erich Lenhart, dem Personalchef aus St. Pölten, wusste der Arzt aus Krems, dass der Aufstieg zu der Schule, an der er selbst maturiert hatte, für ihn ein schwerer Gang sein würde. Nicht wegen der Steilheit der Frauenbergstiege zum Gymnasium, sondern weil er wusste, dass alle schulischen Signale für seinen Sohn Martin auf Rot standen. Seine Frau, deren erklärter Liebling Martin war, hatte die Lehrer immer in Verdacht gehabt, ihrem Sohn gegenüber voreingenommen zu sein. Dr. Ritzek wusste es besser. Sein Bub, der voriges Jahr die vierte Klasse mit Ach und Krach positiv abgeschlossen hatte, hatte bis jetzt einfach nichts getan, was darauf schließen ließ, dass er dieses Kunststück auch heuer wiederholen konnte. Ritzek hatte sich noch vor fünf Jahren nicht vorstellen können, dass er diese Schule, die erst vor Kurzem mit ihm als Gast der Festveranstaltung ihr Vierhundert-Jahr-Jubiläum gefeiert hatte, je ungern und schweren Herzens betreten würde.

      Da er Angst hatte, seine Frau könnte die Nerven verlieren und einem Professor ihren Verdacht direkt ins Gesicht schleudern, war er selbst zu diesem Sprechtag gekommen. Zusätzlich hoffte er insgeheim auf einen kleinen Bonus für seinen Sohn. Immerhin hatte er seinerzeit an eben dieser Schule zu den hervorragendsten Schülern gezählt. Der Mathematik- und der Biologielehrer seines Sohnes würden sich sicher noch daran erinnern, waren sie damals doch seine Klassenkameraden gewesen. Außerdem war er als Primararzt eine bekannte Kremser Persönlichkeit.

      Aber auch diese kleine Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Lehrer schienen ihm geradezu gnadenlos. Martin sei ein Träumer, der die Schule mit einer Wärmestube verwechselte. Zwar war er überall beliebt und auch wirklich liebenswert, aber Begriffe wie Logik, Präzision oder Disziplin waren für ihn vollkommene Fremdworte. Als der Mathematiklehrer auch noch mit kumpelhaftem Lächeln anmerkte, dass er manchmal gar nicht glauben könne, dass Martin Christophs Sohn sei, so sehr würden sich die Leistungen des Sohnes von denen des Vaters unterscheiden, war selbst der Herr Primar nahe daran, die Nerven zu verlieren. Natürlich hatte er keinen Zweifel an seiner Vaterschaft, doch diese Bemerkung, die von seinem ehemaligen Klassenkameraden entweder scherzhaft gemeint war oder unterstreichen sollte, wie gut er sich an den Schüler Christoph Ritzek erinnerte, erschien ihm ungehörig distanzlos.

      Doch das Schlimmste war, dass diese Einschätzungen zutrafen. Sein Sohn war in seiner derzeitigen Form für kein Gymnasium geeignet.

      Wie

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