Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg
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Seine Taktik war ihr klar. Zuerst würde er in der Person ihres Stellvertreters den schwächeren Turm beschießen und, sobald der sturmreif geschossen war, sie selbst als eigentliches Ziel attackieren. Die Adresse des Landeskriminalamts hieß »Schanze 7«, früher hatte ihr Name »Auf der Bauernschanze« gelautet. Wie passend für ein Gefecht. Sie würde die Rolle der Scharfschützin übernehmen. Im Fall des Falles würde sie auch keine Skrupel haben, auf den Kredit zu setzen, den ihr die Zeitungen wegen ihrer spektakulären Erfolge eingeräumt hatten. Ihr kam entgegen, dass der »Niederösterreichische Tag« einen kritischen Kommentar über ihren neuen Vorgesetzten verfasst hatte, in dem es hieß, er verdanke seine Ernennung vor allem parteipolitischem Kalkül.
Ein kurzes Klopfen an ihrer Tür, und schon ging sie auf, ohne dass die eintretende Person auf ein »Herein« gewartet hätte. Obwohl sie ihren Schreibtischsessel so gedreht hatte, dass sie mit dem Gesicht zum Fenster saß, was sie immer tat, wenn sie nachdachte, wusste sie sofort, wer da gleich seinen massigen Körper ins Büro schieben würde.
Es konnte nur Gerhard Malzacher sein, den alle im Büro wegen seiner Ähnlichkeit mit der Filmfigur Bud Spencer »Spencer« nannten. Nur er konnte sich ihr gegenüber Freiheiten herausnehmen, die sie anderen Mitarbeitern nie hätte durchgehen lassen. Doris gab ihrem Drehstuhl mit ihrem rechten Bein einen kleinen Schwung und lächelte ihren Stellvertreter an.»Du willst wohl wissen, wie es mit dem Marbolt gelaufen ist?«
»Auch.« Ohne eine Aufforderung seiner Chefin abzuwarten, fläzte er sich in den Holzsessel, der vor dem Schreibtisch stand.
»Ich bin neugierig, wie lange der Sessel dein Gewicht aushält. Aber sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.«
»Komm, lenk nicht ab. Wie war’s?«
»Was erwartest du denn? Du hast ihn doch beim Rundgang erlebt. Interessiert. Gescheit. Und wirklich sehr freundlich. So war er auch im Gespräch mit mir. Von dir hält er übrigens sehr viel.« Sie bemühte sich, ihren Stellvertreter besonders freundlich anzuschauen, in der Hoffnung, dadurch glaubhaft zu wirken.
»Komm, Doris! Ich sehe dir doch an der Nasenspitze an, dass du mir einen Scheiß erzählst. Der Mann war schon ein Schleimer, als er noch im Büro unseres hochverehrten Herrn Landeshauptmanns gearbeitet hat. Und glaub mir, in der Schule des Innenministers steht auch nicht ›Charakterbildung‹ als Hauptfach auf dem Stundenplan.«
Malzacher wuchtete seinen Körper von der linken auf die rechte Seite. Der Sessel ächzte und knarzte, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Malzacher schien das nicht im Geringsten zu stören.
»Spencer, du bist wieder einmal völlig auf dem Holzweg. Er mag dich. Und mich mag er auch.«
»Dass er dich mag, überrascht mich nicht einmal. Weil du für seine Karriere nützlicher bist als ich. Aber an deiner Stelle würde ich ihm auch nicht über den Weg trauen. Ich weiß nicht, ob es ein Rasierwasser gibt, das sich ›Falscher Hund‹ nennt. Wenn ja, dann wäre er dafür ein ideales Testimonial oder wie das heißt.«
Malzacher, der die abwehrende Handbewegung seiner Chefin bemerkte, sagte: »Ja, ich bin schon still. Und ich werde ihm selbstverständlich mit aller Loyalität, zu der ich fähig bin, dienen. Aber wegen dem Marbolt allein bin ich gar nicht da. Stell dir vor, wer mich gerade angerufen hat.«
»Keine Ahnung.«
»Dieser Unglücksmensch mit Namen Frisch, der sich als Revierinspektor verkleidet hat.«
»Der hat mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt. Wo drückt ihm denn der Schuh?«
»Er behauptet, in einem Weingarten bei Weißenkirchen zu stehen, in dem Kinder angeblich ein weibliches Skelett gefunden haben.«
»Der lässt auch nichts unversucht, um auf sich aufmerksam zu machen«, sagte Doris mit einem Kopfschütteln.
»Vielleicht macht ihm seine Frau die Hölle heiß, weil er noch nicht Gruppeninspektor ist.«
»Dann muss er entweder gescheiter werden oder sich eine andere Frau suchen. Sag ihm jedenfalls, dass wir für Skelette nicht zuständig sind. Er soll seinen Fund den Archäologen melden. Und du geh nach Hause und mach dir einen schönen Abend.« Sie blickte auf ihre Uhr. »Vielleicht schaffe ich es noch zum Elternsprechtag.« Doris versuchte, ihre Stirnfransen aus dem Gesicht zu blasen, und stand auf. Ihr Stellvertreter blieb sitzen.
»Da gibt es nur einen Haken. Er behauptet, dass das Skelett eine künstliche Hüfte hat. Ich habe noch nie gehört, dass sich Archäologen für Gelenke aus Kunststoff interessieren.«
Die Chefinspektorin setzte sich wieder. »Dieser Frisch kann doch nicht einmal ein Knie von einer Hüfte unterscheiden. Wie will so jemand erkennen, ob ein Knochen aus Kunststoff ist?«
Malzacher feixte. »Vielleicht hat er den Tipp von den Kindern bekommen.« Er stand auf. »Wird mir nichts anderes übrig bleiben, als hinzuschauen. Ich nehme an, dass du keine Lust hast, mich zu begleiten?«
»Diesmal liegst du mit deiner Annahme ausnahmsweise richtig. Wenn das mit der künstlichen Hüfte wirklich stimmt, kann es ja nicht so schwer sein, die Person zu identifizieren. Meines Wissens haben künstliche Gelenke alle eine Kontrollnummer. Wegen eventueller Haftungsfragen.«
»Donnerwetter. Was du alles weißt.«
»Vielleicht kannst du dir bei der Gelegenheit wenigstens einen guten Urgesteinsriesling mitnehmen. Der vom Jamek ist besonders zu empfehlen.«
»Um Himmels willen. Sag das nicht so laut. Und vor allem nicht vor dem Marbolt. Sonst nützt dir dein ganzes Wissen um Kontrollnummern nichts. In deiner Personalakte wird nur stehen, dass du eine Säuferin bist.«
3. April, 16:30 Uhr
Gerhard Malzacher hatte sich entschlossen, zunächst ohne Begleitung durch die Kollegen der Spurensicherung nach Weißenkirchen zu fahren. Auch wenn ihm die Sache mit der künstlichen Hüfte eigenartig vorkam, glaubte er im Moment nicht wirklich an einen Fall für die Mordkommission. Zumal das Skelett auch keine Anzeichen von Gewalt aufwies, wie ihm Felix Frisch versichert hatte.
Dennoch war der Chefinspektor gar nicht unglücklich über seine Fahrt. Er war nicht wie seine Chefin in der Wachau geboren, aber er liebte diese Gegend, seit er in seiner Schulzeit einen Klassenausflug auf die Ruine Aggstein unternommen hatte. Für ihn als gebürtigen Amstettner war das ein Erlebnis gewesen. Wandertag. Zuerst eine Fahrt mit dem Schiff von Melk nach Aggstein und dann ein Fußmarsch hoch zur Ruine. Er erinnerte sich