Mehrsprachigkeiten (E-Book). Dagmar Bach

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Mehrsprachigkeiten (E-Book) - Dagmar Bach Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

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Nebentöne und stereotypen Vorstellungen, eventuell auch fleissig. Sicher jedoch ist sie zufällig mit Begabung und vielleicht zusätzlich mit einer besonderen individuellen Biografie reich beschenkt worden. So weit der Mythos. Tatsächlich macht Begabung, gefasst mit dem Modell des Intelligenzquotienten gemäss zahlreichen Untersuchungen einen wesentlichen Teil des Schulerfolgs aus (vgl. Khan 2018, S. 344 f).

      Der Mythos der Sprachbegabung allerdings bremst – wie die übrigen – den fördernden Umgang mit Sprachen im Bildungssystem, impliziert er doch eine von aussen wenig beeinflussbare Sprachkompetenz, die Bildungsversuche unterläuft oder sie unnötig macht: Lehrpersonen und Dozierende erwarten so mitunter von Lernenden, die vor Kurzem aus Deutschland eingereist sind, dass sie bessere Texte schreiben als Schweizer derselben Gruppe, und reproduzieren diese Annahme gleich selbst über die Benotung. Weiter verführt dieser Mythos Fachleute beim Erstellen von Lehrplänen dazu, dass sie für Mehrsprachigkeiten weder Förderung noch spezifische Beachtung vorsehen und Sprachenlernen in sämtlichen Schulfächern auf eine marginale Rolle verwiesen bleibt. Kurz: Forschungsergebnisse bleiben didaktisch weitgehend wirkungslos, obschon sie belegen, dass sprachfördernde Lehrpersonen den inhaltlichen Lernstoff mit Lese- und Schreibunterricht verbinden (vgl. Neuland/Peschel 2013, S. 246; Hattie 2009, S. 259).

      Weiter vernachlässigt der Mythos der Sprachbegabung die Wirkung der sozioökonomischen Herkunft der Personen, die eine Sprache sprechen oder lernen: Es ist relevant, ob die Eltern eines Kindes mit albanischer Erstsprache im diplomatischen Dienst tätig sind oder Arbeiten ausführen, die keinen formalen Bildungsabschluss verlangen.

      Zusammenfassend lässt sich zu den Mythen über Mehrsprachigkeiten, deren es noch weitere gibt – etwa, dass nur Kinder eine Sprache voll und ganz erwerben können – Folgendes festhalten: Zukunft und Gegenwart sind mehrsprachig, und zwar in einem Masse, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, inwiefern die Arbeit mit einer einzigen Bildungssprache pro Region tatsächlich sinnvoll ist. Diskurse darüber, wie Mehrsprachigkeiten zu behandeln sind, müssen von Mythen befreit und in politischen Zusammenhängen gesehen werden. Was eine bestimmte Sprachverwendung bedeutet und bewirkt, sollte in der Schule und im Studium thematisiert werden.

      2 Zwei Formen von Mehrsprachigkeit

      Mehrsprachigkeiten erfassen kommunikative, identitätsstiftende Realitäten im gesamten Lebenskontext. Die öffentliche Bildung hat Lernende optimal darauf vorzubereiten.

      Wir unterscheiden grob zwei Formen von Mehrsprachigkeiten, die sich nicht scharf voneinander trennen lassen.

      

Einerseits wird die «Landessprache» in unterschiedlichen beruflichen und Bildungssituationen verwendet. Stichworte dazu sind Fachsprachen, Berufssprachen oder Firmensprachen. Dazu gehören auch die diversen Formen von Alltagssprachen und Sprachregistern, mit denen Menschen Beziehungen, Zugehörigkeit und Distanz ausdrücken. Wie sich diese Mehrsprachigkeit – auch individuell – entwickelt, zeigt sich besonders deutlich in der Altersphase zwischen 16 und 30 Jahren: Nicht nur markieren Berufs- und Gruppensprachen die Entwicklung von (beruflichen) Identitäten, sie befördern sie auch.

      

Andererseits stehen mehrere Herkunfts-, Landes- oder Unternehmenssprachen wie etwa Albanisch, Deutsch und Englisch sowohl getrennt also auch sich durchdringend in verschiedenen Kontexten nebeneinander und sind dabei nicht gleichwertig oder gleichberechtigt.

      Lernkontexte funktionieren vorab sprachlich, und ein Grossteil der Lernenden und Lehrenden lebt in komplexen mehrsprachigen Identitäten. Neben dem Unterricht, der offiziell in der Bildungssprache stattfindet, verwenden sie, in den Korridoren, auf dem Campus oder dem Pausenplatz, verschiedene Soziolekte, Wissenschafts- und Berufssprachen. Bestimmte Sprachen werden je nach Kontext auch versteckt, in der Schweiz etwa Serbisch während des Jugoslawienkriegs.

      «Mehrsprachigkeiten» – gezielt im Plural verwendet – meint also die Vielfalt an Sprachen, Sprachverwendungen und Sprachregistern im Kontext der Professionalisierung und die Formen ihres Erwerbs (gesteuerter oder ungesteuerter Spracherwerb).

      3 Thesen zu Mehrsprachigkeiten in der Ausbildung auf der Sekundarstufe II und an Hochschulen

      Für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache existieren zahllose Hilfestellungen und Ideensammlungen, die meisten davon allerdings nur für die Volksschule. Auch sind ausgreifende didaktische Anregungen zur «Förderung der Schulsprache in allen Fächern» (Neugebauer/Nodari 2016) selten. Was fehlt, wird oftmals an den Sprachunterricht/allgemeinbildenden Unterricht delegiert. An Hochschulen gibt es für das «Fehlende» spezifische Dienstleistungen (Kurse), manchmal auch Dienstleistungsstellen (Sprachzentren, Schreibzentren u. a.).

      Der vorliegende Band versucht, in diese Lücke zu springen, mit dem Risiko, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Wir beleuchten den Umgang mit Sprache auf der Sekundarstufe II und Hochschulstufe, berücksichtigen dabei Dimensionen von Mehrsprachigkeiten und geben Hinweise für die Unterrichtspraxis. Es gibt vier gute Gründe, dieses unmögliche Unterfangen zu wagen:

      

Mehrsprachigkeiten an sich sind kein Grund für Schulerfolg oder -misserfolg. Der sogenannte Migrationshintergrund ist keine aussagekräftige Kategorie, haben doch gewisse migrierte Einwohner*innen der Schweiz sogar einen durchschnittlich besseren Schulerfolg als die einheimische Bevölkerung. Erst in Kombination mit der sozialen Schicht können Mehrsprachigkeiten Misserfolg in der Schule erklären (Khan 2018, S. 386–399). Daher sind Lehrende, auch wenn kein sprachliches Fach im Vordergrund steht, angehalten, mit der Dimension der Mehrsprachigkeiten bewusst und gezielt umzugehen.

      

Mehrsprachigkeiten sind die Norm und nicht eine Störung des Unterrichts. Diese Haltung von Lehrpersonen ist produktiv für den Unterricht (Khan 2018, S. 406–429). Mehrsprachigkeiten zu akzeptieren, zu berücksichtigen, sie als Chance wahrzunehmen und auch didaktisch zu verwenden, dazu bedarf es viel Übung. Hier können persönliche Überzeugungen und subjektive Theorien das Unterrichtsgeschehen behindern. Etwa: Wenn die Volksschule das nicht geschafft hat, dann die Berufsbildung erst recht nicht. Zentral ist die Überzeugung der Lehrenden – wie immer beim Unterrichten –, dass Menschen lernen wollen und aus verschiedenen Kontexten und Perspektiven heraus unterschiedlich lernen. Zu dieser Haltung gehört auch ein offener Blick auf die vorhandenen sprachlichen und kulturellen Ressourcen. Wir plädieren dafür, dass diese Haltung professionell unterfüttert wird mit didaktischem Know-how zu Scaffolding, Arbeit mit Textsorten, effektivem Sprachenlernen sowie Kenntnissen über Besonderheiten der deutschen Sprache allgemein und der Bildungssprache (vgl. Schader 2012). Auf diese Weise nähern sich Lehrende dem Ziel, Sprachförderung in jedem Fach, jeder Lehrveranstaltung und jedem Seminar zu betreiben.

      

Der Spracherwerb, das Sprachlernen ist weder auf der Sekundarstufe II noch auf der Hochschulstufe abgeschlossen. Ab Sekundarstufe II beginnt die Sprachentwicklung hin auf elaboriertes Leseverstehen, materialgestütztes Schreiben sowie angemessene mündliche und schriftliche Sprache in bestimmten Berufen und Disziplinen. Gerade in Naturwissenschaften ist die Studiensprache ganz oder teilweise Englisch. Auch diese Form des Englischen muss eingeübt werden, sind doch die Gepflogenheiten wissenschaftlichen Schreibens auf Englisch andere als auf Deutsch (vgl. Sieber 1994 sowie Jörissen/Verhein in diesem Band).

      

Berufslernende und Studierende sind nicht grenzenlos fähig, mit eigenen Mehrsprachigkeiten umzugehen. Es ist Aufgabe der Lehrenden und der Bildungsinstitutionen,

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