Mehrsprachigkeiten (E-Book). Dagmar Bach
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a) Schulisches Schreiben kann zwar die Voraussetzungen für den Erwerb des beruflichen und akademischen Schreibens schaffen, es kann jedoch nicht berufliches bzw. akademisches Schreiben vermitteln, da die Merkmale einer beruflichen oder akademischen Gemeinschaft anders ausgeprägt sind als die einer schulischen Schreibgemeinschaft. Wer beispielsweise selbst nicht als Ärztin oder Maurer mit Kundenkontakt arbeitet, wird die entsprechenden literalen Praktiken auch nicht erwerben und damit keinen beruflich angemessenen Rapport verfassen können.
b) Die Vermittlung und Förderung beruflicher Schreibfähigkeiten kann nicht nur eine Aufgabe der weiterführenden Schulen sein, sondern ist auch eine wichtige Aufgabe der jeweiligen (Lehr-)Betriebe beziehungsweise der akademischen Institutionen (zu Letzteren sind auch die Hochschulen selbst zu zählen), da sich die Textproduktion, die «Dokumentenentstehung» und die Unternehmenskultur gegenseitig beeinflussen (Jakobs 2005, S. 30).
Wissen die Schüler*innen, welche Funktion etwa Protokolle grundsätzlich haben, haben sie im Verlauf ihrer schulischen Bildung zudem bereits verschiedene Formen kennengelernt – zum Beispiel ein Versuchsprotokoll aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht oder ein Klassenratsprotokoll aus dem Deutschunterricht – und dabei auch erfahren, dass Form und Funktion zusammenhängen, dann sind sie zwar eher in der Lage, andere Formen zu verstehen und selbst Texte in dieser Form zu verfassen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich einen Regierapport oder eine Patientenakte selbstständig erschliessen können. Hinzu kommt, dass mehrsprachige Lerner*innen, die einen Teil ihrer schulischen Bildung nicht in der Schweiz erworben haben, möglicherweise andere Textformen kennengelernt haben. Auch diese Lerner*innen müssen nicht nur wissen, wie bestimmte Textformen aufgebaut sind, sondern auch, wie Form und Funktion zusammenhängen, mit welchen sprachlichen Mitteln sie angemessen umzusetzen sind.
Insgesamt sind damit bestimmte Anforderungen an den Schreibunterricht an weiterführenden Schulen verbunden: Es braucht in erster Linie Lehr- und Lernarrangements, die berufliche beziehungsweise berufsnahe, aber prototypische Situierungen zum Ausgangspunkt nehmen. Solche Situierungen können die spezifischen Merkmale ihrer beruflichen Schreibgemeinschaft modellieren. Das hat auch den Vorteil, dass die Lernenden Schreiben nicht als etwas Isoliertes wahrnehmen oder als Selbstzweck erleben, sondern dessen berufliche Relevanz erfahren können (Schneider u. a. 2013, Kapitel 5).
Eine Verzahnung von berufsfachlichem und sprachlichem Lernen ist nicht nur ein didaktisches Gebot, vielmehr geht es ebenso mit weiteren Herausforderungen einher: Zum einen können diese organisatorisch gemeistert werden, indem Sprach- und Fachlehrpersonen gemeinsam unterrichten, zum anderen wäre auch denkbar, dass die Fachlehrpersonen und Ausbilder*innen in der Aus- und Weiterbildung so vorbereitet werden, dass berufliches Schreiben (und Lesen) Teil ihres Unterrichts, ihrer Förderkonzepte werden.
Im Folgenden wird dies mit Blick auf das Schreiben mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache – hinsichtlich wirksamer Fördermassnahmen und darauf aufbauend auch bezogen auf formatives Feedback – kurz ausgeführt.
2.1 Schreiben mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache
In der deutschsprachigen Schreibforschung zu «Schreiben mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache» dominiert nach wie vor eine Defizitorientierung, das heisst eine Orientierung an dem, was sprachlich nicht korrekt oder nicht angemessen ist (stellvertretend sei hierzu Jeuk 2013, genannt). Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Forschung in erster Linie kontrastiv angelegt ist (Marx 2017): Mit Blick auf Deutsch als Zweitsprache werden vor allem L2-Texte mit L1-Texten kontrastiert und so die sprachlichen Aspekte von Texten untersucht, während bezogen auf Schreiben mit Deutsch als Fremdsprache eher Schreibstrategien im Zentrum stehen (vgl. z. B. Sasaki 2000 zum akademischen Schreiben). Dagegen werden in der angloamerikanischen L2-Schreibforschung soziokulturelle Ansätze stärker berücksichtigt, wie Marx (2017, S. 142 f.) hervorhebt.
Darüber hinaus zeigt sich, dass sich die Schwierigkeiten im Schreibprozess bei L2- oder L1-Lernenden nicht grundsätzlich unterscheiden, auch wenn L2-Lernende in der Regel weniger planen oder weniger flüssig schreiben, dafür mehr in das Überführen von Ideen in Sprache investieren und mehr sprachlich überarbeiten, ohne deswegen aber die konzeptuelle Überarbeitung aus dem Blick zu verlieren (Schoonen u. a. 2009). Umso wichtiger ist, dass L2-Schreibende ausreichend Schreibgelegenheiten erhalten, um den schriftlichen Formulierungswortschatz aufbauen und auch rascher abrufen zu können.
Eine Studie von Verheyden u. a. (2012) zu jüngeren L2-Schüler*innen belegt, dass ein Unterricht, der sprachliche Angemessenheit und Korrektheit betont, dazu führt, dass die Schüler*innen zwar akkurater, insgesamt aber weniger komplexe Texte schreiben. Wird dagegen zu Beginn einer Textproduktion im Unterricht die Textebene – Schreibziel, Inhalt und Aufbau – fokussiert und erst später beim sprachformalen Überarbeiten die Akkuratheit, entstehen sowohl zunehmend komplexe als auch zunehmend akkurate Texte. Eine vergleichbare Studie zu älteren Schüler*innen stellt ein Desiderat dar. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Vermittlung von beruflichem Schreiben mit Deutsch als Zweitsprache nicht einseitig sprachformale Aspekte fokussieren sollte, da berufliches Schreiben im Wesentlichen eine Frage der Enkulturation ist.
2.2 Wirksame Fördermassnahmen
Als besonders wirksame Fördermassnahme im Bereich Schreiben hat sich über mehrere Metaanalysen hinweg die sogenannte explizite Vermittlung von Schreibstrategien erwiesen (Schneider u. a. 2013, Kapitel 3). Bei diesem Verfahren wird nicht nur der Textproduktionsprozess portioniert – sofern es sich um komplexere Schreibaufgaben handelt –, sondern die für die «Lösung» der Aufgabe zentralen kognitiven Aktivitäten werden stärker bewusst gemacht (ein Schreibziel generieren, Ideen generieren, auswählen und in eine Reihenfolge bringen, das eigene Schreiben überwachen, evaluieren usw.). Dazu wird in erster Linie das Modellieren eingesetzt: Die Lehrperson führt vor, wie sie eine bestimmte Schreibaufgabe bearbeitet, und denkt dabei gleichzeitig laut, das heisst, sie verbalisiert ihre Überlegungen, Gedanken beim Schreiben.
Dieses Verfahren weist eine grosse Nähe zu cognitive apprenticeship auf: Dabei handelt es sich um eine Lehr-/Lern-Methode, die in der beruflichen Bildung stark verankert ist (z. B. im Pflegebereich). Auch in diesem Förderansatz kommt dem Modellieren eine wichtige Rolle zu (Collins 2005): Die Lehrperson ist Modell, macht vor und begründet dabei ihre Handlungen und Überlegungen so, dass sie für die Lernenden beobachtbar und nachvollziehbar sind. Beim Beobachten bauen die Lernenden ein konzeptuelles Modell der Prozesse auf, das für sie beim anschliessenden Bearbeiten einer eigenen Aufgabe handlungsleitend wird. Während solches Vormachen durch die Lehrperson zu Beginn viel Raum einnehmen kann, lösen die Lernenden ihre Aufgaben zunehmend selbstständiger, übernehmen also immer mehr Verantwortung für ihr Lernen.
Gleichzeitig wird betont, dass cognitive apprenticeship in situiertes Lernen einzubetten sei, dass dabei die (literalen) Praktiken der jeweiligen Gemeinschaft eine zentrale Rolle spielten und die Lernenden als Mitglieder der Gemeinschaft partizipieren sollten: «A critical element in fostering learning is having students carry out tasks and solve problems in an environment that reflects the nature of such tasks in the world» (Collins 2005, S. 52).
In diesem Sinne könnte Schreiben also wie andere berufliche Lerngegenstände auch nach einem sehr ähnlichen Verfahren vermittelt werden.
2.3 Formatives Feedback
Liegt der Fokus auf dem beruflichen Schreiben (und Lesen) als literale Teilhabe, rückt insbesondere für das formative Beurteilen die Frage ins Zentrum, inwiefern es den Lernenden gelingt, ein kommunikatives, inhaltliches, allenfalls auch sprachliches Schreibziel so umzusetzen, dass die intendierte Wirkung erzielt werden kann. Fehlen im Regierapport oder in der Patientenakte