Schweizerische Demokratie. Sean Mueller
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Dieses Buch hat einen Vorläufer. 1994 erschien «Swiss Democracy – Possible Solutions to Conflict in Multicultural Societies». Mittlerweile sind zwei Neuauflagen sowie Übersetzungen und Teilübersetzungen auf Polnisch, Nepalisch, Serbokroatisch, Rumänisch und Russisch entstanden, gefolgt 2013 von einer Publikation in arabischer Sprache. Sie belegen das ausserordentliche Interesse, das in jungen Demokratien und kulturell gespaltenen Gesellschaften den Institutionen eines Landes entgegengebracht wird, das die Integration seiner sprachlichen und konfessionellen Minderheiten den Besonderheiten seiner Demokratie verdankt: der Staatsbildung von unten sowie der Verbindung von direkter Demokratie, Föderalismus und politischer Konfliktlösung durch Verständigung. Das könnte zu einem doppelten Missverständnis beitragen. Das eine wäre, die schweizerische Demokratie als Modell für andere zu betrachten und zum Exportartikel zu machen. Alle Erfahrung zeigt, dass derartige Exporte nicht funktionieren: Jedes Land hat seine Institutionen auf seinem eigenen kulturellen Erbe zu entwickeln. Das zweite, noch mehr verbreitete Missverständnis: Die Besonderheiten der schweizerischen Demokratie werden nicht selten entweder über- oder unterschätzt. Deshalb sind die wichtigsten Strukturelemente des schweizerischen Systems – direkte Demokratie, Föderalismus und politische Machtteilung – in den Kapiteln 12–14 im internationalen Vergleich dargestellt. Der Vergleich zeigt, dass direkte Demokratie auch in andern Ländern praktiziert wird, in einzelnen Staaten der US sogar so intensiv wie in den schweizerischen Kantonen. Gleichzeitig wird damit belegt, dass die rund 30 Föderationen ihren Föderalismus auf ganz unterschiedliche Weise praktizieren. Sodann wird verständlich gemacht, dass Konkordanz als «konsensuale Demokratie» mehr ist als ein helvetischer Sonderfall – nämlich ein eigentliches Alternativmodell zur angelsächsischen «Mehrheitsdemokratie». Ansätze zu konsensualer Demokratie und politischer Machtteilung verbreiten sich heute weltweit und haben sich in Ländern wie Nordirland, Bosnien, Südafrika oder Indien unter zum Teil ungleich schwierigeren Verhältnissen zu bewähren als im historischen Fall der Schweiz. Die vergleichenden Teile des Buches dienen daher insgesamt dazu, das eigene Politiksystem aus Distanz und mit dem neugierigen, aber auch nüchternen Auge eines Dritten zu betrachten.
In der Vorbereitung der früheren Auflagen des Buchs habe ich von aufmerksamen und kritischen Studierenden in meiner Vorlesung «Schweizerische Innenpolitik» während langen Jahren immer wieder wertvolle Hinweise bekommen. Ebenso hatte ich von den Anregungen vieler Kollegen und Kolleginnen profitiert: von Clive Church, Adrienne Héritier, Stefano Bartolini, Peter Mair und Philippe Schmitter, Pascal Sciarini und Simon Hug, von Hubert Treiber, Jürg Steiner, Walter Kälin, Adrian Vatter sowie von Andreas Ladner. Unterstützt wurde ich in früheren Auflagen von meinem Team am Berner Institut für Politikwissenschaft. Dazu gehörten, in wechselnder Besetzung, André Bächtiger, Christian Bolliger, Michael Brändle, Marina Delgrande, Sophia Hänny, Claudia Heierli, Oliver Hümbelin, Andrea Iff, Georg Lutz, Michael Meyrat, Daniel Schwarz, Monika Spinatsch, Isabelle Stadelmann-Steffen, Michael Sutter, Emanuel von Erlach, Reto Wiesli und Regula Zürcher sowie weitere Mitarbeiter, vor allem Michelle Beyeler, Hans Hirter, Christian Rosser und Bianca Rousselot. Ihnen allen sowie jenen Mitarbeitenden des Haupt Verlags, die zum Gelingen des Buchs beigetragen haben, bin ich zu Dank verpflichtet. Ein besonderer Dank gilt meiner Frau Verena Tobler Linder, die den gesamten Text kritisch durchgelesen und stilistisch geschliffen hat.
Die vorliegende, vierte Auflage wurde allein vom Team Linder/Mueller aufbereitet. Ein herzliches Dankeschön gehört Sean, nicht nur für die fruchtbaren Diskussionen zum gemeinsamen neuen Text, sondern auch für die umsichtige und höchst effiziente Aufarbeitung aller Daten.
Bern, im Juni 2017 | Wolf Linder |
Inhalt
Vorwort
Grundlagen
Kapitel 1: Einführung
A. Die Schweiz zwischen Erfolgsgeschichte und Identitätskrise
B. Zur Rolle der politischen Institutionen für die schweizerische Gesellschaft
1. Die Funktionen von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft
2. Die Schweiz als «paradigmatischer Fall politischer Integration»
3. Die Eigenart schweizerischer Demokratie
4. Die schweizerischen politischen Institutionen im Kontext der Globalisierung
Kapitel 2: Durch politische Integration zur multikulturellen Gesellschaft
A. Die Schaffung des Bundesstaats von 1848
1. Ein grösserer Markt für die industrielle Wirtschaft
2. Wachsender politischer Druck von aussen
3. Die Kultur gegenseitiger Hilfe und Zusammenarbeit in der Kleingesellschaft
4. Die kantonale Demokratisierung
5. Die Verbindung von Demokratie- und Föderalismusprinzip
1. Der politische Katholizismus
2. Mehrsprachigkeit: Verständnisse und Missverständnisse
3. Der Jura – die Ausnahme der Integration einer kulturellen Minderheit
D. Kapital und Arbeit: Vom Klassenkampf zu Sozialpartnerschaft und Konkordanz