Schweizerische Demokratie. Sean Mueller

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Schweizerische Demokratie - Sean Mueller

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schweizerischen Institutionen

       A. Der Zusammenhang von Globalisierung, Nationalstaat und Demokratie

       B. Rückblick: Die Europäisierung auf dem bilateralen Vertragsweg

       1. 1992: Das Nein von Volk und Ständen zum EWR-Vertrag

       2. Die Strategie des Bilateralismus

       3. Unilaterale Integrationspolitik

       4. Europäisierung als Teil der Globalisierung

       C. Die politischen Folgen der Europäisierung

       1. Europäisierung und neue gesellschaftliche Spaltungen

       2. Institutionelle Veränderungen

       3. Zunehmende Polarisierung

       4. Die polarisierte Konkordanz

       D. Alternativen zum Bilateralismus

       E. Vom Bedarf an Reformen und von der Weisheit, auf solche zu verzichten

       1. Die Verbindung von Föderalismus, direkter Demokratie und Konkordanz: Eine zukunftsfähige Grundstruktur

       2. Postdemokratie Swiss made

       3. Direkte Demokratie im globalisierten Umfeld

       Anhang

      Literatur- und Quellenverzeichnis

      Tabellenverzeichnis

      Grafikverzeichnis

      Kastenverzeichnis

      Kapitel 1: Einführung

      «Der Schweizer hat … den dialektischen Vorteil, dass er gleichzeitig frei, Gefangener und Wärter ist.»

      Friedrich Dürrenmatt, Schriftsteller

      «In der Schweiz ist übrigens alles schöner und besser.»

      Adolf Muschg, Schriftsteller

      Die Schweiz ist ein privilegiertes Land. Während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast ganz Europa in die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkrieges gezogen wurde, überlebte die Schweiz als Demokratie, als direkter Nachbar der kriegführenden Mächte und als unabhängiger Kleinstaat. Und war das Land im 19. Jahrhundert noch arm und ohne eigene Rohstoffe, so weist die schweizerische Gesellschaft heute den nahezu höchsten Lebensstandard unter den industrialisierten Ländern aus. Dazu hat vor allem ein anhaltendes Wirtschaftswachstum in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Neben dem Tourismus, der starken Baubranche und den Mittel- und Kleinbetrieben des Binnenmarktes bauten die schweizerische Pharma-, Uhren-, und Maschinenindustrie sowie Banken, Versicherungs- und Handelsunternehmen ihre Geschäftstätigkeit weltweit aus. Die Wirtschaft ist stark exportorientiert und hat sich im letzten Jahrzehnt einen Spitzenrang in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erhalten können. Die Schweiz bezeichnet sich als Kleinstaat; das ist sie jedenfalls bevölkerungs- und flächenmässig. Wirtschaftlich jedoch gilt sie als mittlere Macht im europäischen Raum; sie ist im Jahr 2015 drittgrösster Kunde der Europäischen Union (nach den USA und China) und ihr viertgrösster Lieferant (nach den USA, China und Russland) (DEA 2017:9).

      Zur wirtschaftlichen Stärke gesellt sich ein leistungsfähiger Staat. Die Verschuldung der öffentlichen Hand ist im Vergleich zu jener in den OECD-Staaten gering. Schweizerinnen und Schweizer bezahlen weniger Steuern als die meisten Europäer, vor allem aber wenig im Vergleich zu den Leistungen, die sie vom Staat in Anspruch nehmen. Das Bildungswesen weist in einigen Bereichen wie der Berufsbildung hohes Niveau aus; in einzelnen Forschungsbereichen geniesst die ETH Weltruf. Das System des öffentlichen Verkehrs ist zuverlässig und dicht. Es erschliesst nicht nur die grossen Städte, sondern reicht bis in kleine Bergdörfer. Das Preis-Leistungs-Verhältnis im Gesundheitswesen und bei den Sozialversicherungen ist vergleichsweise gut. Die politische Stabilität gilt als aussergewöhnlich. Obwohl Volk und Stände im Jahresdurchschnitt etwa sechsmal über Verfassungsänderungen abstimmen, ist die Schweiz nicht das Land politischer Revolutionen. Schon eher beklagt man sich über das geringe Interesse der Stimmberechtigten, von denen sich meistens weniger als die Hälfte zur Urne bewegen.

      Neben dieser Erfolgsgeschichte ist aber auch eine andere zu hören – diejenige der Schweiz, die in einer ungewissen Zukunft mit sich selbst ringt. Die Jahrzehnte jenes Wirtschaftswachstums, in denen unser Land leichter zu Wohlstand kam als andere, sind vorbei. Die Standortvorteile der Vergangenheit haben nach 1989 an Bedeutung eingebüsst. Mit dem Ende der bipolaren Ost-West-Welt ist auch die Sonderstellung der Schweiz zu Ende gegangen. Aus der Verbindung neutralitätspolitischer Abstinenz bei gleichzeitiger handelspolitischer Verflechtung lassen sich weniger Vorteile ziehen als früher. Statt des Beitritts zum EWR hat das Land 1992 den Weg bilateraler Verträge mit der EU gewählt. Sie sind das Kernstück einer weitgehenden Integration in den europäischen Wirtschaftsraum ohne institutionelle Anbindung an die EU. Damit bleibt die Schweiz allerdings verletzbar: Die Zukunft des bilateralen Wegs ist ebenso ungewiss wie die weitere politische Entwicklung der EU selbst. In Konflikten mit den USA und der EU um Bankgeheimnis und Steuervorteile spürt die Schweiz, dass sie zunehmend isoliert ist. Die unkontrollierten Risiken der globalen Finanzmärkte trafen auch die Schweiz: Die «systemrelevante» Grossbank UBS, die sich im Zuge der US-Immobilienkrise an den Rand der Insolvenz brachte, beanspruchte 2008 ein milliardenschweres Rettungspaket des Bundes. Die Schweiz hat an ideellem Kredit im Ausland eingebüsst. Historiker schreiben Abschnitte der schweizerischen Geschichte neu. Die Schweiz hat nicht nur ihren Platz in einer veränderten weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung zu behaupten, sondern auch ihre Identität neu zu bestimmen. Zwei bekannte Bonmots bringen den Gegensatz zwischen Erfolgsgeschichte und Identitätskrise auf den Punkt: «je pense, donc je suisse» und «Suiza no existe»1.

      Die Schweiz teilt mit den liberal-demokratischen, entwickelten Industrieländern eine Reihe von Strukturmerkmalen. Dazu gehört vor allem die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in die Bereiche eines wirtschaftlichen, sozialen und staatlichen Systems. Diese sind zwar miteinander verflochten, erfüllen aber unterschiedliche Funktionen. Auch ihre Selbststeuerung folgt unterschiedlichen Medien des geldförmigen Tauschs, der sozialen Normen und des rechtlichen Zwangs. Das wirtschaftliche, das soziale und das staatliche System der demokratischen Industriegesellschaft lassen sich auf abstrakter Ebene wie in Grafik 1.1 unterscheiden.

      Grafik 1.1: Funktionen von Wirtschaft, Staat und Sozialbereich aus systemtheoretischer Perspektive

      Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Offe (1972).

      Die drei Systeme erfüllen unterschiedliche Funktionen:

      – Wirtschaftssystem: Mit der Industrialisierung wurden Formen der Subsistenzwirtschaft (d. h. Produktion für den Eigenbedarf) durch die kapitalistische Erwerbswirtschaft abgelöst. Die Produktion der meisten Wirtschaftsgüter

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