Schweizerische Demokratie. Sean Mueller
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1 Beide stammen vom Künstler Ben Vautier; letzteres war auch das Motto des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung in Sevilla 1992.
2 Zu den öffentlichen Gütern und Dienstleistungen gehören: a) Kollektivgüter: Der private Markt stellt sie nicht bereit, weil sie auch von Nichtbezahlenden konsumiert werden können (z. B. öffentliche oder nationale Sicherheit) und/oder weil sie als frei zugängliches Gut durch viele übernutzt oder zerstört werden (Rivalität des Konsums z. B. von sauberer Umwelt); b) Meritorische Güter: Sie können an sich von Privaten hergestellt werden, jedoch nicht zur Menge, zum Preis oder in jener Qualität, wie sie von der Gesellschaft gewünscht werden (z. B. Bildung, Gesundheit, Kultur). Neben diesen allgemeinen ökonomischen Kriterien bestimmen Verfassung und Gesetz den Kreis und den Umfang öffentlicher Güter und Dienstleistungen.
3 Zur näheren Unterscheidung vgl. Kapitel 2.
4 Der Graben zwischen Deutsch- und Westschweiz war nach Jost (1983:120) in erster Linie ein Problem der politischen Elite und ihrer agitierenden Presse und weniger eines der Bevölkerung.
5 Der hier angebrachte Begriff der Subsidiarität lässt sich umschreiben als «Was du selber kannst besorgen, das verschiebe nicht nach oben.»
6 Näheres dazu in Kapitel 3, Abschnitt A2.
Kapitel 2: Durch politische Integration zur multikulturellen Gesellschaft
«Den Bedrohungen von aussen kann nur ein Volk Widerstand leisten, das trotz aller Verschiedenheit der Sprache, der Konfession und der Rasse das Bewusstsein der nationalen Zusammengehörigkeit besitzt.»
Arbeitsgemeinschaft «Frau und Demokratie» zum 1. August 1933
«Switzerland is not peaceful because of its people but because of its institutions.»
Walter Kälin, Völkerrechtler
A. Die Schaffung des Bundesstaats von 1848
Nach dem Wiener Kongress von 1815, als in Europa viele Strukturen des vorrevolutionären Ancien Régime wieder etabliert wurden, erwartete niemand, dass die schweizerischen Kantone eine der ersten Demokratien und einen eigenen Nationalstaat schaffen würden. Zwar hatten sich Uri, Schwyz und Unterwalden als erste Kantone im 13. Jahrhundert von den Habsburgern unabhängig gemacht. Andere Orte folgten dem Beispiel und traten dem Bündnis bei, in dem sich die Eidgenossen gegenseitige Hilfeleistung zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit versprachen. Zur Zeit der Französischen Revolution bildeten dreizehn Kantone einen losen Staatenbund. Hatten diese sogenannten «Alten Orte» zunächst erfolgreich für die Befreiung von feudalistischer Herrschaft gekämpft, so hinderte sie das später nicht, sich selbst Untertanengebiete anzueignen und diese auszubeuten. Kein Wunder also, dass das morsche «Ancien Régime» der alten Kantone auch aus inneren Gründen zusammenbrach, als 1798 Truppen der Französischen Revolution auf ihrem europäischen Befreiungszug die Schweiz besetzten.
Mit dem Diktat Napoleons von 1798 wurden die Kantone zu einer Republik nach dem Muster der französischen Direktorialverfassung. Während es gelang, die Vorrechte der Alten Orte durch Gleichstellung der ehemaligen Untertanengebiete als neue Kantone zu brechen, scheiterte der Versuch, die Kantone im Einheitsstaat der Helvetischen Republik zu verschmelzen. 1803 kam auf Geheiss Napoleons die Mediationsakte zustande, welche die gliedstaatliche Autonomie der Kantone wiederherstellte. 1815 schliesslich gewann die Eidgenossenschaft ihre volle Unabhängigkeit zurück. Die Gleichberechtigung aller Kantone blieb dabei als dauerhafte Errungenschaft der Französischen Revolution bestehen. Aber man näherte sich wieder dem alten System eines Staatenbunds, einem lockeren Zusammenschluss von nunmehr fünfundzwanzig Kantonen, die sich als souveräne Staaten betrachteten. In ihrem «Bundesvertrag» garantierten sich die Kantone gemeinsame Sicherheit durch gegenseitige Hilfeleistung. Eine Konferenz von Delegierten – die Tagsatzung – konnte gemeinsame Entscheide fällen. Diese Delegierten waren jedoch an die Weisungen ihrer kantonalen Regierungen gebunden, deshalb war ein Konsens nur schwer zu erreichen. Der Staatenbund von 1815 hatte also weder ein Parlament noch ein Exekutivorgan, und der Bundesvertrag enthielt anders als die vorherigen Verfassungen keine Freiheitsrechte zugunsten der Bürger (Kölz 1992:184). Mit andern Worten: Der Schweiz fehlten wichtige Eigenschaften eines Nationalstaats.1
Die folgenden Jahrzehnte waren von einer zunehmenden Polarisierung zwischen den politischen Bewegungen des Freisinns und der Konservativen gekennzeichnet. Die Konservativen stammten vor allem aus katholischen und ländlichen Gebieten. Als Minderheit lehnten sie die Aufhebung der Einstimmigkeitsregel für Beschlüsse der Tagsatzung ab, und noch mehr widersetzten sie sich der Idee einer starken Zentralregierung. In einer Zeit der beginnenden Demokratisierung auf kantonaler Ebene wollten die Konservativen auch die starke politische und kulturelle Stellung der katholischen Kirche bewahren. Auf der anderen Seite stand die Bewegung der Freisinnigen. Sie war vorwiegend in den protestantischen, städtischen und industrialisierten Gegenden verwurzelt. Ihr politisches Ziel der Demokratisierung erreichte sie in elf Kantonen in der sog. Regenerationszeit nach 1830.2 Unter der Devise der «Volkssouveränität» und des «Fortschritts» entstanden liberale Verfassungen, die das Stimm- und Wahlrecht für die erwachsenen Männer, die Gewaltentrennung, die Öffentlichkeit der Parlamentsdebatten, aber auch die Trennung von Kirche und Staat brachten (Blum 1983).
Das laizistische Staatsverständnis des Freisinns verweigerte der konservativen Minderheit die Bewahrung der gesellschaftlichen Vorrechte ihrer Kirche. Damit verschärfte sich zu Beginn der kantonalen Demokratisierung nochmals der konfessionelle Konflikt. Dieser hatte in der Alten Eidgenossenschaft zu vier Religionskriegen geführt. An deren Ende stand aber immer der Versuch zur Verständigung und des friedlichen Zusammenlebens zwischen den katholischen und protestantischen Gebieten. Statt zur politischen Vorherrschaft einer Seite kam es zu einem labilen Gleichgewicht (vgl. Kasten 2.1).
Kasten 2.1: Religiöse Konflikte vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zwischen protestantischen und katholischen Kantonen
1529: | Ein militärischer Konflikt zwischen dem protestantischen Zürich und den fünf katholischen Kantonen wird durch den «Ersten Kappeler Landfrieden» verhindert, der konfessionelle Toleranz garantiert. |
1531: | Die protestantischen Truppen von Zürich und Bern verlieren Kämpfe gegen die Katholiken. Im «Zweiten Kappeler Landfrieden» wird zwar die protestantische Konfession anerkannt, doch setzen die siegreichen Katholiken einige Vorrechte durch. Dieser «Zweite Kappeler Landfrieden» stabilisiert die Machtverhältnisse zwischen katholischen und protestantischen Kantonen bis 1656. |
1656: | Bern und Zürich versuchen, ihre Position gegenüber den Katholiken zu verbessern, verlieren aber den «Ersten Villmerger Krieg», der die katholische Dominanz bestätigt. |
1712: | Den «Zweiten Villmerger Krieg» gewinnen die Protestanten. Der Sieg beendet die katholische Vorherrschaft in der Alten Eidgenossenschaft und sichert den protestantischen Kantonen Bern und Zürich einen ihrer wirtschaftlichen Grösse angemessenen politischen Einfluss. |
Die Religionsfrage stellte in der Regenerationszeit nicht den einzigen Konfliktpunkt zwischen Freisinnigen und Konservativen dar. So waren Schutzzölle für die kantonale Industrie und ihre Tarife heftig umstritten. Die religiöse Frage trug aber besonders zur Vergiftung des politischen Klimas zwischen den beiden Lagern bei, nachdem freischärlerische Truppen den Kanton Luzern von seiner konservativen Regierung «befreien» wollten, was Letztere mit militärischen Mitteln verhinderte. 1845 schlossen sich die katholischen Kantone zur Verteidigung ihrer gemeinsamen Interessen