Schweizerische Demokratie. Sean Mueller
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4 Die Landschaft verlangte 1830 die proportionale Vertretung im kantonalen Parlament, d. h. eine Anzahl Sitze entsprechend der Bevölkerungszahl. Nachdem die Stadt dies verweigert hatte, brach ein gewaltsamer Konflikt aus, der Verletzte und Tote forderte. Schliesslich anerkannte die Eidgenossenschaft 1833 die Teilung zwischen Basel-Landschaft und Basel-Stadt in zwei Halbkantone und beendete so den Konflikt. Vgl. Andrey (1983:247–249) und Mueller (2013).
5 Zit. nach Masnata/Rubattel (1991:52). Auf die überragende Bedeutung des wirtschaftlichen Faktors verweisen weitere ältere Wirtschaftshistoriker wie Rappard (1912) oder Nabholz (1954). Neuere historische Arbeiten relativieren sie, so Zimmer (2003). Einen Überblick zum Stand der Diskussion vermitteln die Aufsätze von Hans-Ulrich Jost sowie Patrick Halbeisen und Margrit Müller, beide in: Ernst/Tanner/Weishaupt (1998:91 und 117 ff.). Vgl. auch Kreis (2014).
6 Gemäss Hutson (1991) gibt es mehrere Perioden gegenseitiger Beeinflussung. Besonders wichtig waren drei Etappen: 1) Im Konflikt zwischen amerikanischen Föderalisten und Anti-Föderalisten (d. h. Konföderalisten) verwiesen Letztere auf das schweizerische Modell. 2) Die Schweizer liessen sich 1848 stark von der amerikanischen Verfassung inspirieren, als sie die Prinzipien von Demokratie und Föderalismus kombinierten. 3) Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die schweizerische direkte Demokratie von den amerikanischen Weststaaten als Referenz benutzt, als es um die Einführung von Referendum und Initiative ging. Vgl. auch die Aufsätze von Tobias Kästli und Simon Netzle in Ernst/Tanner/Weishaupt (1998:35 ff. und 49 ff.).
7 Die moderne Föderalismusforschung hat dafür die Begriffe von «shared rule» (Mitwirkung) und «self-rule» (Autonomie) geprägt (vgl. Elazar 1987; Hooghe et al. 2010).
8 Hierbei konnten die Befragten bis zu drei Hauptsprachen angeben. Nimmt man die Gesamtbevölkerung inklusive der ca. 24 % Ausländerinnen und Ausländer als Basis, so verändern sich die Anteile der Sprachgruppen wie folgt: 63 % Deutsch, 23 % Französisch, 8 % Italienisch, 0,5 % Rätoromanisch und 22 % andere Sprachen (BFS 2016b).
9 Rätoromanisch vermochte sich erst 1938 aufgrund eines Vorstosses der Bündner Regierung als offizielle Landessprache zu etablieren (Widmer et al. 2004). Die Revision von 1996 stand unter den Zielen der gleichwertigen Anerkennung der vier Landessprachen, der Förderung von Verständigung und Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften, der Verpflichtung des Bundes zur Unterstützung der Kantone Graubünden und Tessin bei der Spracherhaltung sowie der Aufwertung des Rätoromanischen zur Teilamtssprache (APS 1996:311; APS 1995:295 ff.).
10 Welches Konfliktpotenzial die kulturell-sprachliche Differenz in mehrsprachigen Kantonen bergen kann, zeigt etwa das Beispiel Freiburgs, wo ehemals rein Französisch sprechende Gemeinden wie Marly aufgrund der Migration bedeutende deutschsprachige Minderheiten ausweisen. Ein typischer Konflikt entbrannte ob der Frage, ob deutschsprachige Eltern das Recht hätten, ihre Kinder in die deutschsprachigen Schulen nach Freiburg zu schicken. Solche Konflikte regeln die Kantone grösstenteils selbst im Rahmen ihrer politischen Autonomie. In letzter Instanz wirkt in vielen Fällen das Bundesgericht an der Streitschlichtung mit und bestimmt damit den konkreten Gehalt der verfassungsmässigen Sprachenfreiheit. So hat es zum Beispiel in der Frage des Umgangs mit Behörden für unzulässig erklärt, das Rätoromanische in einem Gebiet als Gerichtssprache auszuschliessen, in welchem der Anteil der Romanischsprechenden nahezu 50 Prozent beträgt (Müller 1991:82). Andererseits ist es nach bundesgerichtlicher Praxis mit der Sprachenfreiheit noch vereinbar, dass im zweisprachigen Freiburger Saanebezirk mit rund 15 000 oder 26 Prozent Deutschsprachigen nur das Französische als Gerichtssprache anerkannt wird (BGE 106 Ia 299 ff.). Hinsichtlich der Unterrichtssprache hat das Bundesgericht in BGE 100 Ia 462 ff. entschieden, eine kleine Bündner Gemeinde sei nicht verpflichtet, für die Angehörigen der romanischsprachigen Minderheit (20 Prozent) Schulklassen zu führen, in welchen Rätoromanisch unterrichtet wird; die Sprachenfreiheit verlange auch nicht, dass die betreffende Gemeinde die Kosten des Schulbesuchs in einer Nachbargemeinde mit rätoromanischer Unterrichtssprache übernehme (Müller 1991:83).
11 Die italienischsprachige Schweiz hatte seit 1848 knapp zur Hälfte der Zeit einen Vertreter im Bundesrat (Giudici/Stojanovic 2016:296). Der gegenwärtig letzte Bundesrat italienischer Muttersprache schied allerdings 1999 aus dem Bundesrat aus.
12 Die mehrsprachigen Kantone kennen wenig formelle Regelungen zur proportional-politischen Vertretung ihrer Sprachminderheiten. Immerhin sichert das Wahlrecht von BE und VS je mindestens einen Sitz für die jeweilige Sprachminderheit in der kantonalen Regierung (vgl. Stojanovic 2017).
13 Zur vertieften theoretischen Auseinandersetzung vgl. Kapitel 11 und 14.
14 Allenfalls liesse sich ein Zusammenhang zu der Stadt-Land Unterscheidung herstellen.
15 Zitiert nach Gruner (1964:40).
16 Vgl. Gruner (1959:335–342); Katzenstein (1984); Linder (1983a); Farago (1987).
17 Vgl. Gruner (1987/88), Jost (1992) und Craig (1988).
18 Zur Geschichte der KPS: Stettler (1980). Zum Verhältnis von KPS und SPS: von Gunten/Voegeli (1980).
19 Dieses verlangte im Gegensatz zur bürgerlichen Politik nicht den Protektionismus einzelner Branchen, sondern die Ankurbelung der allgemeinen Beschäftigung durch verstärkte staatliche Investitionen. Es wäre etwa vergleichbar dem New Deal Roosevelts in den USA oder einem keynesianischen Beschäftigungsprogramm.
20 Zum Wandel der wirtschaftspolitischen Konzeptionen der SP: Scheiben (1987). Zur Haltung der Sozialdemokratie betreffend Wehrfrage: Zanoli (2003).
21 Anders in den Kantonen: Schon um die Jahrhundertwende verschaffte sich die SP in den urbanen Industriekantonen BS, GE und ZH über den freiwilligen Proporz in Volkswahlen Eintritt in die Regierung, und vor Ende des Zweiten Weltkriegs war die SP in den Exekutiven von 15 Kantonen vertreten (AG, AR, BE, BL, BS, GE, GL, NE, SG, SO, SH, TG, TI, ZG und ZH) (Felder 1993).
22 Das Friedensabkommen von 1937 war nicht ganz neu. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Gesamtarbeitsverträge zwischen einzelnen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Allerdings brachte das Friedensabkommen zwei wichtige Neuerungen: Die Arbeitgeber wurden direkt an die Entscheidungen ihrer Organisation gebunden, und Streiks bzw. Ausschliessungen wurden auch für den Fall einer Änderung des Friedensabkommens ausgeschlossen.
23 Zur Diskussion des schweizerischen Neokorporatismus: Kriesi (1980), Linder (1983a), Farago (1987), Armingeon (1996a, 2001).
24 Die Anhörung via Vernehmlassungsverfahren bleibt allerdings in Art. 147 geregelt.
25 Nach einer Studie von Martin Killias et al. (2011) hat sich das Niveau der Kriminalität allerdings weitgehend den Verhältnissen im übrigen Europa angeglichen. Namentlich bei Einbrüchen und Tätlichkeiten/Drohungen lägen die Raten der Schweiz heute höher als in rund der Hälfte der europäischen Länder.
26 Das Jesuiten- und Klosterverbot wurde 1973 aufgehoben. Auch das Schächtverbot, welches das Schlachten von Tieren nach jüdischem Ritus untersagte, wurde aus der Verfassung gestrichen, aber durch ein entsprechendes Verbot im neuen Tierschutzgesetz von 1978 ersetzt. Vgl. APS 1976:89 f., APS 1977:91 sowie APS 1978:87.
27 Vgl. Mesmer (1988); Linder (1988).
28 Zum Vergleich: das durchschnittliche Einwanderungssaldo von Ausländern für die Jahre 1998–2006 betrug 38 000 pro Jahr.
29 Nur Luxembourg ist