Schweizerische Demokratie. Sean Mueller

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Schweizerische Demokratie - Sean Mueller

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      Quelle: Nohlen (1990:33)

      Für diesen langen Prozess und seinen späten Erfolg werden unterschiedliche Gründe geltend gemacht. Historikerinnen zeigen, dass es in der Schweiz frühe Frauenbewegungen gab, die aber nach den Rückschlägen in den 1920er-Jahren viel von ihrem Mut verloren hatten, das Frauenstimmrecht überhaupt zu verlangen (Mesmer 1988; Hardmeier 1997). Es sei dahingestellt, ob die schweizerische Gesellschaft in den 1950er-Jahren – verschont von den Sozialkatastrophen der Weltkriege – insgesamt konservativer war als andere, aber in Frauenfragen mag das sicherlich der Fall gewesen sein.2 Als Iris von Roten 1958 ihr Buch «Frauen im Laufgitter» publizierte – ein kritischer und umfassender Bericht zur ökonomischen, politischen und sozialen Benachteiligung der Frau in der Schweiz – wurde das Werk zunächst von der Presse als skandalös zerrissen und die Autorin dann totgeschwiegen.3 Erst 1991 erlebte das Buch eine zweite Entdeckung und wurde als das schweizerische Pendant zu Simone de Beauvoirs «Le deuxième sexe» (1949) oder Betty Friedans «The Feminine Mystique» (1963) gepriesen.

      Aus politologisch-theoretischer Sicht, so unsere Hypothese, gab es einen zusätzlichen und bedeutenden Faktor, nämlich das Erfordernis der direktdemokratischen Abstimmung. Das fundamentale Problem der demokratischen Einführung des Frauenstimmrechts lag überall darin, dass zur Entscheidung dieser Frage nur die Männer stimmberechtigt waren. Nirgendwo sonst auf der Welt aber wurde das Frauenstimmrecht durch einen direktdemokratischen Entscheid herbeigeführt. Dieser Umstand führte zu einer grundlegend anderen Entscheidungssituation als in repräsentativen Demokratien.

      In Repräsentativsystemen gab es inhärente Anreize für die politische Elite, das Frauenstimmrecht einzuführen: Wer dies mit Erfolg versuchte, hatte eine gute Chance, die nächsten Wahlen – mit den Frauen – zu gewinnen. Die einzige Hürde war, dass die Männer mehrheitlich gegen das Frauenstimmrecht sein konnten – wie in der Schweiz. Diese war in repräsentativen Systemen allerdings gut zu überspringen: Die Partei, die das Frauenstimmrecht wollte, machte in ihrer Wahlplattform die übrigen Punkte ihres Programms so attraktiv, dass sie trotzdem von einer Mehrheit gewählt wurde, die ein saures neben vielen süssen Bonbons in Kauf nahm. Man kann dies theoretisch als «Positiv-Summen-Spiel» bezeichnen: eine Situation, bei der alle Beteiligten etwas gewinnen.

      In der direkten Demokratie dagegen gab es kaum einen Anreiz für eine Parlamentsmehrheit, durch die Einführung des Frauenstimmrechts eine folgende Wahl zu gewinnen, denn Wahlen haben grundsätzlich eine geringere Bedeutung. Die direkte Demokratie bot auch keine Möglichkeit, den abstimmenden Männern den Verlust ihres Privilegs durch ein Kompensationsgeschäft zu versüssen; anders als Wahlprogramme erlaubt die Volksabstimmung zu einem einzigen Thema keine Kompensationsgeschäfte. Theoretisch war dies also ein Null-Summen-Spiel: Die eine Seite verlor (ihr Machtprivileg), was die andere Seite gewann (die politischen Rechte). So blieben als Ausweg nur die langfristige Überzeugungsarbeit, die zunehmende «Normalität» des Frauenstimmrechts in mehreren Kantonen und vielen Gemeinden sowie der allgemeine Wandel gesellschaftlicher Anschauungen über das Verhältnis von Frau und Mann.4 Dabei hat der Föderalismus eine zwiespältige Rolle gespielt. Einerseits erlaubte er die fortbestehende Benachteiligung von Frauen in den Territorien konservativer Gesellschaft (Ballmer-Cao 2009), andererseits war er eben hilfreich zur Bildung von Brückenköpfen eines politischen Wandels von unten, der erdauert werden musste.

      2016 lag der Frauenanteil im Nationalrat mit 32 Prozent trotz später Einführung des Stimm- und Wahlrechts über dem OSZE-Durchschnitt (26 %) aber unter dem der Nachbarländer Frankreich (36 %), Italien (31 %), Österreich (31 %) und Deutschland (37 %).5 Gesetzliche Massnahmen wie die Festlegung von Mindestquoten für die Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden waren politisch chancenlos: Eine entsprechende Volksinitiative scheiterte 2000 deutlich in der Volksabstimmung (APS 2000: 32–33). So bleiben Bemühungen zur Erhöhung des Frauenanteils im Wesentlichen eine Aufgabe der politischen Parteien. Bei der Linken und den Grünen, welche konsequent Frauenförderung betreiben, erreichen Frauen nicht selten paritätische Vertretung – in der nationalrätlichen Fraktion der SP stellen sie seit Oktober 2015 sogar die Mehrheit. Waren direkte Demokratie und beschränkter Parteienwettbewerb der Einführung der politischen Rechte der Frauen eher hinderlich, so begünstigt umgekehrt das Proporzwahlrecht den Einzug der Frauen in die Politik, vor allem in Wahlkreisen mit grösserer Sitzzahl, wie folgende Tabelle zeigt. Der Frauenanteil ist tendenziell höher in den proportional bestellten Parlamenten als in den Exekutiven, für die zumeist nach dem Majorzprinzip gewählt wird. Sodann ist bei Majorzwahlen mit kurzfristig starken Veränderungen zu rechnen. So waren 2003 23,9 Prozent der Ständeräte Frauen, dagegen fand sich im Bundesrat nur ein einziges weibliches Mitglied (14,3 Prozent). Dafür erreichten die Frauen 2010 mit der Wahl Simonetta Sommarugas (SP) in den Bundesrat das erste Mal – und auch nur für kurze Zeit – eine Mehrheit im 7-köpfigen Gremium: Dies ein Vierteljahrhundert, nachdem 1984 mit Elisabeth Kopp die erste Frau in den Bundesrat gewählt worden war.

      Tabelle 3.2: Frauenrepräsentation in den Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden (Stand: 24. April 2016)

BehördeZahl der SitzeFrauenanteil
Bundesrat728,6 %
Nationalrat20032,0 %
Ständerat4615,2 %
Kantonsregierungen15224,0 %
Kantonale Parlamente260925,6 %
Exekutiven zehn Städte (2015)6227,4 %
Parlamente zehn Städte (2015)77650,1 %

      Quellen: BFS (2016a), eigene Berechnungen. Zu den Städten zählen wir Zürich, Genf, Basel, Lausanne, Bern, Winterthur, Luzern, St. Gallen, Lugano und Biel/Bienne (>50 000 Einwohner).

      Unter politischer Kultur kann die Gesamtheit der Werthaltungen, Einstellungen und im weiteren Sinne auch der Verhaltensbereitschaft der Bürgerschaft zur Politik und zu ihrem politischen System verstanden werden.6 Es gibt wenig systematische Untersuchungen, die zeigen könnten, wie sich das Demokratie- und Politikverständnis in der Schweiz von demjenigen anderer Länder unterscheidet.7 Umfrageergebnisse aus dem European Social Survey (2014), in welchem die sozialen und politischen Einstellungen der Bevölkerung aus über 20 europäischen Staaten untersucht werden, zeigen einige interessante Unterschiede gegenüber zwei Nachbarn der Schweiz sowie Schweden.

      Zunächst fällt die hohe Zufriedenheit der Schweizerinnen und Schweizer mit der Demokratie auf (84 Prozent). Das sind deutlich mehr als in Deutschland, Frankreich und sogar Schweden. Auch in konkreteren Fragen erscheint das Vertrauensfundament schweizerischer Demokratie vergleichsweise gross: Bürgerinnen und Bürger setzen hohes Vertrauen in Polizei, Gerichte und Parlament. Selbst das Vertrauen in eine internationale Organisation wie die UNO ist in der Schweiz leicht höher als in den zwei Nachbarländern, aber tiefer als in Schweden. Allerdings bekunden Schweizerinnen und Schweizer kein deutlich höheres Interesse

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