Schweizerische Demokratie. Sean Mueller

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lässt sich sagen, im Trend der seit dem Zweiten Weltkrieg tieferen Wahlbeteiligung drücke sich ein allgemeiner gesellschaftlicher Wandel aus, den die Schweiz mit anderen Industriegesellschaften teilt, während das tiefere Niveau gegenüber anderen Ländern vor allem auf die politisch-institutionelle Besonderheit einer geringen Bedeutung der Parlamentswahlen zurückzuführen ist. Zum jüngsten Wiederanstieg der Wahlbeteiligung seit 1995 hat laut Lutz (2008) die zunehmende Umstrittenheit der Bundesratswahlen im Parlament beigetragen, der mit der Abwahl amtierender Bundesräte (Ruth Metzler 2003 und Christoph Blocher 2007) eingesetzt hatte. Daneben sind seit der Jahrtausendwende ein deutlich gesteigerter Parteienwettbewerb und eine verstärkte politische Polarisierung zu verzeichnen, welche nicht nur den traditionellen Links-rechts-Gegensatz betreffen, sondern auch das bürgerliche Lager gespalten haben (Mueller et al. 2016). Dies alles begünstigt die Mobilisierung der Wählerschaft.

      Grafik 3.2 Wahlbeteiligung bei den letzten Parlamentswahlen und Veränderung seit 1980

      Quelle: IDEA (2016), Wahlen 2012–16 und 1979–83 (ohne CL, SI, CZ, SK, HU und EE)

      Diese allgemeinen Regelmässigkeiten erklären freilich nicht, warum die Beteiligung in den einzelnen Kantonen um mehr als 40 Prozentpunkte variiert. So gingen bei den eidgenössischen Wahlen von 2015 in Schaffhausen 63 Prozent, in Appenzell Innerrhoden dagegen bloss 37 Prozent der Stimmberechtigten zur Urne.

      Bühlmann und Freitag (2006) belegten anhand der Selects-Daten 2003, wie wichtig der kantonale Kontext für die Wahlbeteiligung in der Schweiz ist. Der Beteiligung förderlich sind neben der Wahlpflicht im Kanton Schaffhausen die politische Polarisierung und ein starker Parteienwettbewerb (Selb/Lachat 2004:11–12). Tiefste Beteiligungen gibt es in der Regel bei blossen Bestätigungswahlen, dem Extremfall einer «low salience»-Wahl, in denen wegen fehlender Konkurrenz durch andere Kandidaten keine echte Wahl zustande kommt. Das Schaffhauser Resultat zeigt umgekehrt den hohen Einfluss der Wahlpflicht, die nur noch in diesem Kanton praktiziert wird. Es wäre indessen verfehlt, die Wahlpflicht als alten Zopf abzutun: Wernli (1998:89) belegt, dass in diesem Kanton nicht nur die Wahlbeteiligung, sondern auch das politische Interesse, die politischen Kenntnisse und Parteibindungen grösser sind als in andern Kantonen. Schliesslich behaupten amerikanische Forscher aus dem Vergleich von US-Einzelstaaten, dass ein höheres Mass an direkter Demokratie auch die Wahlbeteiligung stimuliere. Diese These lässt sich für die Schweiz nicht bestätigen – im Gegenteil: Stadelmann-Steffen/Freitag (2009) zeigen im Kantonsvergleich, dass ein leichterer Zugang zur direkten Demokratie (geringere Hürden für Volksinitiativen) mit einer geringeren Wahlbeteiligung einhergeht. Das lässt sich so interpretieren, dass die Stimmbürgerschaft den Wahlen geringere Bedeutung zumisst, wenn sie erwarten kann, mit der direkten Demokratie einen höheren Einfluss auf die Sachentscheide ausüben zu können. Der empirische Befund stützt also die These eines «Trade-offs» zwischen Wahl- und Abstimmungsdemokratie (vgl. Kap. 11, Abschnitt C.2).

      Aus den Befunden vergleichsweise tiefer Wahlbeteiligung darf allerdings nicht auf eine generell geringere und sinkende Partizipationsbereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer geschlossen werden. Die politische Beteiligung an Aktionen sozialer Bewegungen ist seit den späten 1960er-Jahren stark angestiegen. Der aktive Teil der Bürgerschaft beteiligt sich nicht nur an Wahlen und Abstimmungen, sondern erweitert sein Repertoire durch andere Teilnahmeformen wie das Unterschreiben von Petitionen, das Mitmachen in neuen Bewegungen wie jener der Frauen oder des Friedens, in Umweltorganisationen, der Teilnahme an Demonstrationen oder Streiks, oder dem Boykott bestimmter Konsumgüter. Die Bereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer, sich mit unkonventionellen Partizipationsformen (Dalton 2006) aktiv politisch zu beteiligen, ist dabei im europäischen Vergleich hoch, hängt jedoch in ähnlichem Masse wie die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen vom allgemeinen politischen Interesse ab (Longchamp/Rousselot 2010).

      Ähnliche Werte wie die Wahlbeteiligung weist die Stimmbeteiligung an eidgenössischen Volksabstimmungen aus (vgl. Grafik 3.1). Letztere erreichte in den 1970er-Jahren ihren ersten Tiefpunkt (unter 40 Prozent im Durchschnitt einer Legislatur), stieg dann aber wieder an und erreichte zur Jahrtausendwende sogar höhere Beteiligungswerte als in den Nationalratswahlen. Seit 2007 ist die Stimmbeteiligung allerdings wieder wesentlich tiefer als die nationale Wahlbeteiligung. Die längerfristigen Trends der Stimmbeteiligung sagen jedoch nur bedingt etwas über die Beteiligung an einzelnen Urnengängen aus. So oszillierte die Stimmbeteiligung 2003 zwischen 29 und 50 Prozent, und im Februar 2016 kam es gar zu einer überaus hohen Beteiligung von 64 Prozent. Dies rührt daher, dass die Stimmberechtigten nicht an allen Themen gleich interessiert sind. Sie beteiligen sich stärker, wenn sie sich von einem der Themen des Urnengangs besonders betroffen fühlen, dazu eine starke Meinung haben (Longchamp/Rousselot 2010) und/oder das Resultat als wichtig für die Schweiz betrachten.

      a. Sozialstatistische Merkmale:

      Als Erstes interessiert die Frage, wie weit sich Frauen und Männer, die verschiedenen Altersgruppen, Bildungs- oder Einkommensschichten einer bestimmten, bevorzugten Partei zuwenden. Dazu finden sich für alle eidgenössischen Wahlen seit 1995 Angaben in den «Selects»-Wahlstudien. Nachfolgend die Daten zu den Nationalratswahlen von 2015.

      Die Parteienforschung konstatiert einen langfristigen Wandel der einstigen Milieuparteien hin zu Volksparteien, der sich im Zuge des strukturellen Wandels westlicher Gesellschaften und der zunehmenden Auflösung sozialer Milieus vollzog (Kirchheimer 1965). Diese Entwicklung fand in gewissem Masse auch in der Schweiz statt (anhand der CVP etwa: Altermatt 1989). Tabelle 3.4 zeigt aber, dass sich die Wählerschaft der grossen schweizerischen Parteien in soziodemografischer Hinsicht immer noch unterscheidet. Während die SVP mehrheitlich von Männern unterstützt wird, sehen sich Schweizerinnen eher von der SP und den Grünen vertreten. Altersunterschiede nach Parteipräferenzen gibt es nur geringe; die Wählerschaft der SVP hebt sich hier mit einem etwas grösseren Anteil älterer Bürger von den anderen Parteien ab. Deutlich sind die Unterschiede bezüglich des Bildungsgrades: SP und FDP teilen sich einen vergleichsweise grossen Anteil hoch gebildeter Wähler. Blickt man weiter nach rechts, wird ein grosses Bildungsgefälle ersichtlich: Die SVP-Wählerschaft lässt sich überwiegend bei den Leuten mit Berufslehre verorten. Den grössten Anteil an Wählern mit niedrigem und mittlerem Einkommen weist ebenfalls die SVP aus und nicht etwa die SP. Besser Situierte wählen am ehesten FDP. Wer aber sind die Nichtwähler, welche die Mehrheit der Stimmberechtigten ausmachen?

SVPFDPCVPSPGPSAndereAlle Wählenden
GeschlechtMänner32171117518100
Frauen26161221916100
Alter18–24 Jahre2514924919100
25–34 Jahre3212918821100
45–54 Jahre30161317717

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