Systemische Organisationsanalyse. Günther Mohr

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Systemische Organisationsanalyse - Günther Mohr

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1.5 System Design und System Emergence

      Das Denken über Unternehmen und Organisationen hat durch die Forschung über lebende biologische Systeme wesentliche neue Impulse erhalten. Insbesondere die Eigenbezogenheit von Systemen und die daraus resultierenden Konsequenzen dafür, wie man überhaupt ein Humansystem beeinflussen kann, gaben hier wichtige Erkenntnisse. Die Übertragung auf Humansysteme wie Organisationen und Unternehmen konnte davon profitieren. Dabei haben der Engländer Stafford Beer und der Amerikaner Peter Senge dem Phänomen des »Systems« beziehungsweise dem »Systemischen« in Bezug auf Unternehmen große Aufmerksamkeit geschenkt. Peter Senge unterscheidet zwischen »System Design« und »System Emergence«.

       System Design

      Beim »System Design« geht es um die bewusste Planung und aktive Gestaltung von Organisationssystemen. Diese Sichtweise, dass man eine Organisation aktiv planen und gestalten kann, ist sehr verbreitet. Zahllose Unternehmensberater leben davon, lineare Gestaltungspläne zu entwerfen. Eine Firma wird analysiert, ein Plan entworfen und dann wird versucht, diesen Plan detailliert umzusetzen.

       System Emergence

      »System Emergence« ist die Entwicklung aus der jedem System innewohnenden Eigendynamik. Denn die Erfahrung zeigt, dass in Unternehmen viele maßgebliche Entwicklungen nach John Lennons Satz »Life happens while we make other plans« geschehen.

      Eine Frage ist dabei, ob und wie Unternehmen aus sich selbst heraus einen erfolgreichen Pfad beschreiten können. Auf der volkswirtschaftlichen Ebene unterstellte der theoretische Vater der Marktwirtschaft, Adam Smith, eine »unsichtbare Hand« (»invisible hand«), die dafür sorgt, dass sich eine langfristig gute Entwicklung vollzieht. Er postulierte, dass im Eigeninteresse liegendes Handeln rational ist und dadurch das Gesamte optimiert. [DIE »INVISIBLE HAND« LENKT DEN MARKT] Die Voraussetzungen, die er dafür annahm, waren außerdem, dass Menschen grundsätzlich moralisch handeln und dass Freiheit des wirtschaftlichen Agierens besteht. Verfolgt man die wirtschaftspolitischen Diskussionen, so scheinen die meisten Wirtschaftstheoretiker und Wirtschaftspolitiker weiter an die »invisibile hand« zu glauben.

      Vielleicht gibt es in Unternehmen auch eine unsichtbare Hand, die als unmerklicher Bereinigungsprozess wirkt, der aber im Extremfall auch zur Auflösung der Organisation führen kann. Mehr zur Vorstellung der »invisible hand« in Kap. 2 bei »Radikale Marktwirtschaft«.

       Eigendynamik und »große Männer«

      Jedes Unternehmen hat eine Eigendynamik, eine eigengesteuerte, unabhängige Entwicklung (System Emergence). Die Beachtung dieser Eigendynamik ist wichtig für jede beabsichtigte Einflussnahme. Aber wie kommt die Eigendynamik genau zustande? Hier hat der Satz »Menschen machen Wirtschaft« besonderen Sinn. Aber es sind nicht »die großen Männer«, wie manch individualistische Unternehmenstheorie vorgibt, sondern das spezifische systemische Zusammenwirken der Kraftfelder eines Unternehmens. Selbst wenn einzelne Personen großen Einfluss auf soziale Systeme haben, ist dies nur durch eine flankierende oder unterstützende Haltung anderer Systemkräfte möglich. [DAS ENDE DER GROSSEN MÄNNER] Beispielsweise kann der Vorstandsvorsitzende nur dann seine charismatische Seite in Gefolgschaft umsetzen, wenn andere Systemkräfte wie die Vorstandskollegen oder die anderen Manager ihn dabei unterstützen. Die Auswirkungen dieser Eigendynamik werden häufig erst im Nachhinein deutlich. In den Unternehmen regieren Menschen, die Entscheidungen treffen und Strategien vorgeben. Doch auch wenn nach einem Skandal mancher seinen Chefsessel räumen muss und die Vorstände ausgetauscht werden, ändert sich damit meist nicht das System. So musste sich der Aufsichtsrat eines großen Industriekonzerns wundern. [DER GORBATSCHOW-EFFEKT] Er hatte gerade für den ausscheidenden charismatischen Vorstandsvorsitzenden einen jungen, starken Nachfolger bestimmt. Der versprach alles zu ändern, war aber nach kurzer Zeit genauso weit weg von den realen Erfordernissen wie der alte Chef, der zuletzt nur noch sein Lebenswerk unbefleckt und unbeschadet erscheinen lassen wollte. Äußerst selten findet man den Gorbatschow-Effekt, dass einer, der im System langsam nach oben gestiegen ist, plötzlich das ganze System von oben verändert.

      Es gilt, die beiden Perspektiven, System Design und System Emergence, zusammen zu bringen. Das heißt heraus zu finden, welche Steuerungsdimensionen ein Unternehmen in seiner inneren Dynamik charakterisieren und wie sich darauf Einfluss nehmen lässt.

       Das Chaotische an komplexen Systemen

      Zunächst sollen Sie einmal alle Standardperspektiven auf Unternehmen beiseite lassen. Vergessen Sie Hierarchiediagramme und Charts. Stellen Sie sich vor, Sie kommen von einem anderen Stern und begegnen einer Firma oder einer anderen Organisation, die Sie kennen. Gehen Sie ganz unvoreingenommen an das unternehmerische System heran!

      Ein unternehmerisches System ist ein komplexes System. [JE NACH PERSPEKTIVE FÄLLT ETWAS ANDERES INS AUGE] Es zeigt sich zunächst in sehr vielen verschiedenen Aspekten. Je nach dem, worauf man schaut, gewinnt ein anderer Gesichtspunkt die Aufmerksamkeit. Bei der Zusammenschau der vielen Aspekte erscheint es zuweilen chaotisch.

      Man versucht Ertrag und Umsatz zu erreichen. Zahlen und Zeiten spielen eine große Rolle. Menschen verbringen Zeit miteinander, bewegen sich in Räumen, begegnen sich manchmal. Es gibt Erfolge und Niederlagen. Es wird gefeiert und man giftet sich an. Einige Themen enthalten Sprengstoff, andere sind tödlich langweilig. Manche Beteiligte haben mehrere Rollen, »tragen eine Menge Hüte« und jonglieren mit diesen herum. Andere fühlen sich eher am Rande, manchmal sogar außerhalb, als hätten sie mit der ganzen (Unternehmens-)Sache nichts zu tun. Technik ist allenthalben zu sehen. Waren gehen rein und raus, Datenströme fließen umher. Verschiedene Sprachen werden gesprochen: »betriebswirtschaftlich«, »technisch«, »IT-isch«, »umgangssprachlich«, »fremdsprachlich«. Es gibt Zusammenkünfte von Menschen, ganz so wie sich Menschen schon seit Tausenden von Jahren gerne in größeren Gruppen versammeln.

      Aber gibt es denn dann die Möglichkeit ein unternehmerisches System auch zu steuern? Mit welchen Phänomenen muss man umgehen, um das Organisationssystem zu steuern? Wie sind die Aspekte zu identifizieren, die relevant sind für das Verhalten, Denken und Fühlen der Menschen im unternehmerischen System?

       Ausgetretene Pfade

      Viele versuchen ein Unternehmen zu erfassen, indem sie sich mit Standardbegriffen nähern:

      – »Welche Bilanz hat das Unternehmen?«

      – »Wie ist sein Cash Flow?«

      – »Welche Erträge werden erwirtschaftet?«

      – »Wie ist das Organigramm?«

      Alles keine schlechten Fragen. Aber sind sie relevant, wenn man auf den Erfolg wirklich Einfluss nehmen will? Gerade Topmanager, die diese Informationen kennen, klagen über die unzureichende Beeinflussbarkeit ihres eigenen Unternehmens. Man müsse es nur schlanker machen, dann gehe es wieder. Vom großen Tanker ist die Rede. Darin steckt leider nur manchmal die Demut, nicht alles zu können. Häufiger ist es aber die innere Distanz zum wirklichen Geschehen, die den Manager wie einen Feldherrn im Sandkasten Schlachten schlagen lassen, Truppenverbände bewegen und auch manchmal ganze Bereiche opfern lässt.

       Die Distanz der betriebswirtschaftlichen Messgrößen

      Bisher ist es üblich, auf den ausgetretenen »Zahlen«-Pfaden mit sehr viel Distanz auf die lebendigen Prozesse in Unternehmen zu schauen. Vermeintlich scheinen sie einen Überblick zu geben, tatsächlich erzeugen sie lediglich einseitige Grobmarkierungen, so als ob man

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